Dörte Hansen: Zur See

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Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Klug und mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Wandel einer Inselwelt, von alten Gesetzen, die ihre Gültigkeit verlieren, und von Aufbruch und Befreiung.

Leseprobe

1
Knochenzäune

Auf einer Inselfähre, irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland, gibt es einen, der die Leinen los- und festmacht, und immer ist er zu dünn angezogen für die Salz- und Eisenkälte eines Nordseehafens. Falls er an Herbst- und Wintertagen eine Mütze trägt, bedeckt sie keinesfalls die Ohren. Handschuhe trägt er nie. Zwischen seinen steifen Fingern klemmt, sobald das Schiff an- oder abgelegt hat, eine Kippe. Sein Haar ist lange nicht geschnitten worden, seine Haut von Meerwasser und Alkohol gebeizt, und immer hustet er in seinen ungekämmten Bart und spuckt das, was da hochgehustet wird, ins Hafenbecken. Und immer sieht die Jacke, die er trägt, so aus, als hätte sie den Ahnen schon gehört.
Der Mann, der Leinen los- und festmacht, ist nie freundlich zu den Fremden, die vom Festland auf die Insel fahren. Mit schroffen Gesten weist er beim Verladen ihre Wagen in die Spuren, treibt mit knappen Kopfbewegungen die Fahrradfahrer und die Fußgänger aufs Schiff, die sich wie Schafe von ihm scheuchen lassen.
Der Decksmann friert aus einem Grund, den er wohl selbst nicht kennt. Er tut nur das, was schon die Vorbesitzer seiner Jacke taten: das kleine Frieren üben, weil irgendwann das große Frieren kommen wird. Der große Sturm, die große Flut oder die eine große Welle. Wer dann nicht frieren kann, ist schon verloren.
Und, ja, auch schwimmen kann der Mann an Deck, auch wenn es von den Seeleuten von jeher heißt, sie wollten es nicht lernen. Er hat es früh gelernt, von seiner Mutter.

Dass Festlandfrauen sich in ihn vergucken, kennt er schon. Dass sie ein bisschen in den wilden Bart verliebt sind, in seine alte Seemannsjacke und in den kleinen Ring aus Gold in seinem Ohr, das will er doch stark hoffen.
Für die Dauer einer Überfahrt, für eine Stunde oder zwei, ist er das Standbild eines Inselmannes. Steht an Deck, macht Leinen fest und los und lässt die Messingknöpfe mit dem Ankermuster glänzen. Übt das Frieren, pfeift ein altes Lied. Und Winde wehn.

Sein Vater, seine Brüder, seine Onkel frieren jetzt vielleicht auf einem Krabbenkutter, einem Frachter, einem Seenotrettungskreuzer, einem Ausflugsdampfer, einer Bohrinsel, und alle halten klaglos eine kleine Unterkühlung aus, als müssten sie den Vorfahren Respekt bezeugen.
Sie alle sind die Nachkommen von Männern, die das große Frieren noch beherrschten: Grönlandfahrern, die auf Walfangschiffen in die Arktis segelten.
Und etwas hat sich eingedrückt und auf sie abgefärbt, ist in sie eingesickert von diesen Schiffsjungen und Harpunierern, Steuermännern, Kapitänen, die jedes Jahr vom Frühjahr bis zum Herbst ins Nordpolarmeer fuhren, ihre Kleider niemals trocken, ihre Körper niemals warm.
Irgendetwas in dem Mann, der zu dünn angezogen ist, erinnert sich an diese Zeit, auch wenn sie schon dreihundert Jahre her ist.
Vielleicht steckt es in den Knochen seiner rot gefrorenen Hand, in seinen Rückenwirbeln, in der Haut auf seiner Stirn, in seinen Blutgefäßen, in den Wurzeln seiner Zähne, seines Bartes.
Und vielleicht glauben das auch alles nur die Fremden, die vom Festland kommen und ihn auf der Fähre stehen sehen, das Original, den waschechten Insulaner, der sie kaum eines Blickes würdigt.

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Dörte Hansen: Mittagsstunde

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Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.

Dörte Hansen: Altes Land

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Das „Polackenkind“ ist die fünfjährige Vera auf dem Hof im Alten Land, wohin sie 1945 aus Ostpreußen mit ihrer Mutter geflohen ist. Ihr Leben lang fühlt sie sich fremd in dem großen, kalten Bauernhaus und kann trotzdem nicht davon lassen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo ehrgeizige Vollwert-Eltern ihre Kinder wie Preispokale durch die Straßen tragen – und wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel mehr gemeinsam, als sie ahnen.

Mit scharfem Blick und trockenem Witz erzählt Dörte Hansen von zwei Einzelgängerinnen, die überraschend finden, was sie nie gesucht haben: eine Familie.