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Rezensionen zu
Oh, William!

Elizabeth Strout

Die Lucy-Barton-Romane (3)

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Da ist sie wieder: Lucy Barton, die wir schon aus „Die Unvollkommenheit der Liebe“ kennen. Inzwischen hat sie die sechzig überschritten, von William ist sie nach zwanzig Jahren Ehe geschieden und ihr zweiter Mann David ist gestorben. „Ich muss noch etwas über meinen ersten Mann sagen, William.“ Mit diesem Satz beginnt der neue Roman „Oh William!“ in dem Lucy über ihre komplexe und innige Beziehung zu ihrem ersten Mann resümiert. Das macht sie in einem ganz weichen und leisen Plauderton … fast so, als würden sich zwei Freundinnen zu einem kleinen Kaffeeplausch treffen. Während sie also erzählt, kreist sie langsam um das eigene Ich und stellt sich nach und nach Fragen, die ihr plötzlich in den Sinn kommen und deren Zusammenhänge sie – so scheint es – erst beim Erzählen erkennt. Im Mittelpunkt steht die gescheiterte Ehe mit William. Doch während Lucy mit einem Hauch von Nostalgie ihre Lebensbilanz zieht, fällt auf, dass sich die Zwei immer noch sehr verbunden fühlen. Und so passiert es, dass sie – nachdem William erfährt, dass er offenbar eine Stiefschwester hat – auf eine gemeinsame Reise gehen. Wie immer schreibt die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Bestsellerautorin Elizabeth Strout auch in ihrem aktuellen Roman „Oh William!“ weitherzig und tiefgründig über Menschen, ihre Geschichten, ihrem Glück oder ihrer Verlassenheit. Mehr passiert nicht. Vordergründig gesehen. Doch Strout wäre nicht Strout wenn sie nicht mit ihrer unverwechselbaren melancholischen Erzählstimme die Leser*innen – fast beiläufig – in die komplexen Gefühle ihrer Figuren verflicht und dabei über die großen Lebensfragen nachdenkt: über Familie, Liebe, Verlust und Hoffnung. Und wie sich alles verändern kann, wenn einen Geschehnisse aus der Vergangenheit einholen. „Wie typisch für das Leben“, sagt Lucy. “Über so vieles werden wir uns erst klar, wenn es zu spät ist.“ Ein wunderbarer Roman. Für alle Strout-Fans ein weiterer Lesegenuss. Für alle anderen eine große Leseempfehlung.

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Elizabeth Strout kann so wunderbar den Alltag „gewöhnlicher“ Menschen portraitieren und dabei hoch komplexe, tiefgründige Figuren erschaffen, dass man beinahe glaubt, diese persönlich zu kennen. „Oh, William“ ist ein relativ kurzes Buch, doch der Einblick in das Beziehungsgeflecht rund um die Protagonistin Lucy Barton (die auch schon in anderen Romanen von Strout Auftritte hatte) umfasst beinahe eine richtige kleine Welt. Der titelgebende Mann – Lucys Exmann – spielt dabei zwar eine wichtige Rolle, aber Lucy steht im Mittelpunkt (auch wenn sie es selbst so wahrscheinlich nie beschreiben würde) und ist häufig das verbindende Element – einerseits zwischen den Figuren, andererseits ist sie die Verbindung zu ihrer eignen, aber irgendwie auch zu Williams Vergangenheit; sie ist diejenige, die viele der Beziehungen zusammenhält. Es passiert eigentlich nicht sehr viel, dennoch möchte man unbedingt wissen, wie es weitergeht. Was erfährt man als Leser:in als nächstes, während Lucy nach und nach ihre Gedanken und Gefühle sortiert. Dabei springt sie immer wieder in die Vergangenheit, in ihre, aber auch in Williams Kindheit, die beide von Traumata geprägt sind, die beide ihr Leben lang mit sich tragen und die auch ihre Beziehung(en) beeinflussen. Der geniale Titel ist ein Seufzer, oft ausgesprochen, noch öfter gedacht (auch von mir als Leserin), denn während Lucy alles anpackt und angeht, sich mit ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart auseinandersetzt, ist William da ein sehr stereotypischer Mann seiner Generation: er verlässt sich auf die Frauen in seinem Leben, denen oft nicht mehr als ein „Oh, William!“ dazu einfällt. Ein kleines Buch großes Erzählkunst von Elizabeth Strout.

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Ein Buch wie ein Sommersee

Von: ins_lebenlesen

16.05.2023

„Aber wer kann je mit Sicherheit sagen, was ein anderer Mensch fühlt?“ Ich hatte schon lange nichts mehr von Elizabeth Strout gelesen und hatte fast vergessen, wie schön es ist, durch ihre Geschichten zu schwimmen; leicht wie an der Oberfläche eines Sommersees, während ich unter mir die Ungewissheit der Tiefe spüre. Lucy Barton begleitet ihren ersten Mann William, mit dem sie nicht nur durch zwei erwachsene Töchter, sondern auch durch Zuneigung und Freundschaft verbunden geblieben ist, durch eine Lebenskrise. Mit Erstaunen und liebevollem Interesse entdeckt sie ihn und ihr Verhältnis zu ihm neu und in ihrem Ausruf „Oh, William!“ ist alles enthalten, was diese Entdeckungsreise zu Tage fördert. Erzählt wird dabei von den Unsicherheiten des Lebens, von Täuschung und Enttäuschung, vom Abschied nehmen, davon, was Familie bedeutet und davon, dass wir wohl niemals ganz verstehen werden: weder den anderen noch die Welt noch uns selbst. Wie prägt uns unsere Herkunft und können wir ihr entfliehen? Wie viel Einfluss haben wir auf unser Leben? Sind wir wirklich frei zu entscheiden? All diese Fragen wirft sie auf und lässt sie dabei auf wohltuende Weise offen. Alles bleibt vage. Erkenntnis bleibt angedeutet und lässt Raum für eigene Gedanken. Leicht ist der Stoff nicht, aber fließend leicht und mit einem melancholischen Lächeln zu lesen. Ich hab diesen Roman sehr gern gelesen und werde nun noch die Vorgänger „Die Unvollkommenheit der Liebe“ und „Alles ist möglich“ auf meine Wunschliste aufnehmen.

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Leider viel zu zäh

Von: Lisa

26.12.2022

Das Buch klang für mich zu Beginn sehr vielversprechend. Nicht zu dramatisch, spannend oder romantisch, sondern einfach ein wenig á la 'Geschichte die das Leben schrieb'... Und damit liege ich gar nicht mal zu verkehrt. Leider hat sich die Autorin dieses Motto ein wenig zu sehr angenommen. Es wirkt nicht wirklich stringend, es gibt einige Plot-Twists die irgendwie nicht reingepasst haben und irgendwie verliert man gelegentlich den Gedankengang der Autorin, selbst als ich das Buch durchgelesen hatte, war mir immer noch nicht klar, was die finale Prämisse hätte sein können. Man verliert sich, leider nicht im positiven Sinne, in diesem Buch. Die Hoffnung ist immer wieder da, dass ein neuer Plot-Twist endlich Klarheit in die Geschichte bringt. Es entsteht immer wieder der Eindruck, dass man nicht nur als Leser, sondern auch die Autorin während des Schreibprozesses einfach den Faden verloren hat. Leider bin ich sehr enttäuscht, dass ich zu Beginn das Gefühl hatte, es könnte ein entspanntes Buch zum 'Nebenbei' lesen sein, allerdings hat es mich eher verwirrt und unvollendet zurückgelassen. Als kleine Randinfo: Es war mein erstes Buch von Elizabeth Strout, wodurch ich auch den Charakter Lucy in diesem Buch erst kennengelernt habe. Möglicherweise hätte es meinen Eindruck geändert, wäre es nicht mein erstes Buch der Autorin gewesen.

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Gescheitert, aber nicht zersprungen. Rezension zu Elizabeth Strouts »Oh William!« »Es gab Zeiten in unserer Ehe, da habe ich ihn verabscheut. Ich spürte mit einem Grauen, das sich wie ein dumpfer Ring um meine Brust legte, dass da hinter seiner liebenswürdigen Distanz, hinter seiner sanften Art eine Mauer war.« (S. 28) Alte Liebe. Verheiratet sind Lucy und William schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Und doch, wann immer sie Hilfe benötigen, sich in einem emotionalen Tief befinden, sind sie der erste Gedanke des jeweils anderen. Daran kann keine weitere Beziehung, keine erneute Ehe mit anderen Männern oder Frauen etwas ändern. Die tiefe Bindung, die sie bei ihrer Hochzeit eingingen, ließ sich nie abschütteln. Wenn man diesen Begriff in ihrem Alter noch benutzen möchte, kann man sie getrost als »beste Freunde« bezeichnen. Denn zusammen erlebten die beiden die wohl schönsten Tage ihres Lebens. Der Anfang und das Ende? Lucys Leben begann in Illinois, in einer kleinen Siedlung, geprägt und geplagt von Armut, von Mangel und vom Vergessen. Vergessen von den einstigen wirtschaftlichen Aufschwüngen, von dem Wohlstand der Vereinigten Staaten. Sie war das Kind einer von vielen armen Familien. Sie wusste früh, was es bedeutet hungrig in den unruhigen Schlaf zu sinken und am nächsten Tag hungrig zu bleiben. Sie kennt die Tage, an denen sie nicht in die Schule durfte, weil sie ihren Eltern helfen musste. Sie ist kein Beweis dafür, dass man auch aus solchen Verhältnissen ausbrechen könne, dass der soziale Aufstieg nur eine Sache von Fleiß und Wollen sei. Sie ist das Trotz in der Statistik. Sie kämpfte sich durch, schaffte es in der Schule aufzuholen und am Ende aus der Armut auszubrechen. Auf diesem langen, schweren Weg traf sie einen Mann, der mit ihr bis an das Ende und zurück gehen würde, selbst wenn er sich nicht an ihrer Seite befand: William. Sie lernten sich kennen und lieben, heirateten und bekamen zwei Töchter. Diese beiden Töchter waren seit jeher eine Stütze ihrer Beziehung, wenn auch nicht die einzige. Sie lebten zusammen, bis ihr Gerüst in sich zusammenbrach, sie sich selbst nicht mehr ertrugen und getrennte Wege gehen mussten. Doch selbst nach ihrer Scheidung blieben die beiden eng verbunden, suchten bei einander Trost in dunklen Tagen und teilten die Freude die der Sonnenschein bringt. Sie konnten sich nicht ganz gehen lassen, so blieben sie eben in der Nähe, lokal und emotional. Immer wieder verliebten sie sich neu, doch keine der Beziehungen und Ehen wollte halten. Nach jedem Bruch suchten sie Trost und wussten genau, wo dieser zu finden war. William und Lucy, das Paar, das die Liebe hinter sich ließ und in einer ganz besonderen Freundschaft ihr Leben teilte. Vielleicht konnten die neuen Beziehungen nicht halten, weil sie zu sehr an sich hielten. Vielleicht mussten ihre Leben so verlaufen wie sie es taten, weil sie sich nie loslassen konnten. So blieben sie verflochten und verbunden. Über das Buch. »Oh William!« ist ein Buch über die Liebe des Lebens, die auch nach der Trennung bestehen bleibt, sich nie abschütteln lässt. Es ist die Aufarbeitung des enormen Verlustes nach einem gemeinsam verbrachten Leben, ist ein Rückblick auf die Gründe, weshalb manche Beziehungen scheitern und doch nicht zerspringen. Denn genau das ist die Liebe zwischen Lucy und William: gescheitert, aber nicht zersprungen. In einem beruhigendem Tempo begleitet Strout durch die innere Welt Lucys, lässt sie immer wieder zu ihrer großen Liebe William blicken und zeigt dabei auf, wie ein eigenständiges Leben sich doch um eine einzige Person drehen kann. Lucy braucht keinen Mann, tat sie noch nie. Aus jeder schwierigen Situation konnte sie sich selbst herausholen. Und doch genoss sie stets die Nähe Williams, wusste, dass er sie nicht auffing und rettete weil sie es alleine nicht hätte schaffen können, sondern weil er sie in ihren Kämpfen unterstützen wollte, ihr Stabilität und Zuneigung geben und ihre Hand halten mochte, als sie sich schlaff und besiegt fühlte. William und Lucy sind ein besonderes Paar darin, dass sie keines sind. Mit einer Selbstverständlichkeit schreitet Strout Seite für Seite voran, sodass sich das Erzählte nur richtig, nur gut anfühlen kann. Darin liegt bemerkenswertes schriftstellerisches Können. Fazit. Elizabeth Strout schreibt in einer besonderen Leichtigkeit, die die Trauer und den Verlust nahezu in Vergessenheit begräbt. Dieses Gefühl wurde von Sabine Roth in der deutschen Übersetzung hervorragend beibehalten. Das Alltägliche in Literatur zu verwandeln ist eine Kunst für sich. Strout meistert diese Kunst auf beeindruckende Art und Weise und hinterlässt einen bleibenden Eindruck, verstärkt durch die gute Ausarbeitung der Charaktere. Die Bilder die erzeugt werden, gehen Hand in Hand mit der Sprache der Autorin. Obwohl die Handlung nur sehr unterschwellig stattfindet, kaum merklich, minimalistisch schon fast, berührt sie doch. Streckenweise fehlt es an Feinschliff, aber das Gesamtwerk bleibt doch schön und schnörkellos in Erinnerung. Strout führt mit Worten durch Erinnerungen einer besonderen, gleichzeitig aber alltäglichen Liebe. Sie erhebt den Alltag auf einen fast schon poetischen Rang. Ohne Zweifel steht fest, dass »Oh William!« zwar mein erster, aber nicht mein letzter Strout gewesen sein wird. Übersetzt wurde das Buch aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Roth. Bei diesem Buch handelt es sich um ein vom Luchterhand in Kooperation mit dem Bloggerportal zur Verfügung gestelltes Rezensionsexemplar. Das Buch erschien im November 2021 im Luchterhand Verlag.

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Lucy Barton und ihr Mann

Von: US

03.04.2022

Diese Geschichte handelt wieder von Lucy Barton. Ihr Leben wurde schon in zwei anderen Büchern der Autorin beschrieben. Dieses Mal geht es um ihre Ehe, um ihren Mann William. Zwei Menschen, die sich liebten, trennten und trotzdem füreinander da waren. Die Art, wie diese Geshcichte erzählt wird ist schon etwas ungewöhnlich. So richtig warm geworden bin ich damit nicht. Die Dialoge zwischen Lucy und ihrem Mann sind größtenteils Erinnerungen, eher belanglos als ereignisreich. Gedankengänge der Frau, sprunghaft und nicht fesselnd. Mich konnte das Buch überhaupt nicht begeistern.

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Eine wunderschöne Beziehungsgeschichte….

Von: Zeitzumlesen

27.02.2022

Irgendwie scheine ich ein Talent dafür zu haben, Bücher von Elizabeth Strout in der „falschen“ Reihenfolge zu lesen. Denn beim Lesen von „Oh, William!“ stellte ich wieder einmal fest, dass es um die sympathische Hauptperson herum, um Lucy Barton, schon mindestens ein weiteres Buch gibt🙈. (Auch die „Olive Kittridge“ Bücher habe ich übrigens in der falschen Reihenfolge gelesen..😉). Klappentext: In ihrem neuen Roman erzählt Lucy Barton von der komplexen und innigen Beziehung zu ihrem ersten Mann William, von den Anfängen, als sie noch studierten, von ihren beiden Töchtern und vom schmerzvollen Ende ihrer Ehe… Das Elizabeth Strout-Fieber hat mich auch bei „Oh, William!“ sofort wieder gepackt. Diese ganz besondere, feine Schreibweise Strouts ist so angenehm und ruhig zu lesen. Obwohl so einiges passiert… Und durch die detaillierten Beschreibungen sind mir die Geschichte und ihre Personen schnell vertraut. Die innige Beziehung Lucys zu ihrem ersten Mann William, das schmerzhafte Ende ihrer Ehe, die neuen Partner der beiden…hier wird eine jahrzehntelange, sehr verlässliche Beziehung geschildert, die sich durch Trennung nicht wirklich auseinander bringen lässt, sondern eher Veränderungen mit sich bringt. Ohne allerdings ihre Innigkeit einzubüßen oder an Verlässlichkeit zu verlieren. Für mich war es ein echtes Lesehighlight🙏

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Der erste Satz: «Ich muss noch etwas über meinen ersten Mann sagen, William.» Lucy Barton (die Heldin aus den Romanen «Die Unvollkommenheit der Liebe» und «Alles ist möglich») erzählt wieder aus ihrem Leben. Sie ist Witwe, ihr zweiter Mann David ist verstorben und sie kommt gut alleine klar. Schon lange führt sie mit ihrem ersten Ehemann William, nun Anfang siebzig, ein fast freundschaftliches Verhältnis. Sie telefonieren häufig miteinander, rufen sich gegenseitig an, wenn sie einen Rat benötigen. Denn obwohl sie neue Partnerschaften fanden, blieb ein fester Draht der Verbundenheit, schon über die Töchter und Familienfeste. Lucy erzählt während der Handlung immer rückblickend auf ihr Leben, auf das gemeinsame Eheleben; ihre Schwiegermutter ist darin ein wichtiger Anker. Doch dann erschüttern zwei Ereignisse William fast gleichzeitig und er entschließt sich, in der Familienvergangenheit zu forschen, bittet Lucy, ihn auf seiner Reise zu begleiten. Ein Roadmovie, ein zartes Herantasten an alte Gefühle. «Aber im Kern bleiben wir alle Geheimnisse. Mythen. Wir sind alle gleich unerforschlich, das will ich damit sagen.» Man könnte diesen Roman als Lebensbilanz eines alten Paares bezeichnen. Elisabeth Strout ist eine scharfe Beobachterin, und so beschwingt-melancholisch man durch die Seiten fliegt, erkennt man irgendwann die raffinierten Erzählkonstruktion, die in der Gradlinigkeit immer wieder spannende Ausschläge hat, aufdeckt. Die Figuren sind komplex und die Autorin schafft es, in diese Geschichte, in der eigentlich nicht viel passiert, enorme Spannung hineinzubringen, und einen Trompetenstoß ins Ende zu legen. Die Urangst, allein zu sein oder zu scheitern, trägt die Geschichte. Lucy, die aus bitterarmen Verhältnissen stammt und es dank eines Stipendiums und der Hilfe ihrer Lehrerin es zum Universitätsabschluss schaffte, war bereits als Studentin mit dem Assistenten William ein Paar. Ihre Eltern waren lieblos, «Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter je irgendeines ihrer Kinder berührt hätte, außer um es zu schlagen.», wer gelogen hat, dem wurde der Mund mit Seife ausgewaschen. Nichts zieht sie zurück zu dieser Familie. Schwiegermutter Cathrine hat sich ihrer angenommen. Noch nie hat sich Lucy in Gesellschaft von reichen Menschen wohlgefühlt, da sie nie weiß, was man von ihr erwartet, ihre Herkunft wird sie nie ablegen können. Protz ist ihr zuwider. Sehr eindrucksvoll geschildert ist ihr erster Urlaub, mit William und Cathrine auf den Caimans, umgeben von Servicepersonal, Swimmingpoolleben – eine Lucy, die panisch versucht, ihr Zimmer wiederzufinden, völlig überfordert ist, besonders, sich bedienen zu lassen. Trotz aller Herzlichkeit entpuppt sich die Schwiegermutter als reichlich übergriffig. Lucy, die ihr Leben lang von Angst getrieben wurde, nicht ohne Schlaftabletten einschlafen kann; erst David hat ihr Ruhe gegeben. «Es gab Zeiten in unserer Ehe, da habe ich ihn verabscheut. Ich spürte mit einem Grauen, das sich wie ein dumpfer Ring um meine Brust legte, dass da hinter seiner liebenswürdigen Distanz, hinter seiner sanften Art eine Mauer war. Nein, schlimmer noch: Unter dieser geballten Liebenswürdigkeit lauerte etwas Infantil-Mürrisches, über seine Seele huschte gleichsam ein Schatten, und ich sah einen dicklichen kleinen Buben mit vorgeschobener Unterlippe vor mir, der die Schuld bei anderen suchte, bei dem und bei jenem - er gab die Schuld mir, hatte ich oft das Gefühl, er machte mich für Dinge verantwortlich, die mit unserem jetzigen Leben nicht zu tun hatten.» Lucys Vater hat im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft, kam traumatisiert nach Hause zurück, er hat die Gaskammern von Dachau kennengelernt. Williams Vater war ein deutscher Soldat, ein Kriegsgefangener, der als Zwangsarbeiter auf den Kartoffelfeldern von Maine schuften musst; wo er Cathrine kennenlernte. Er ging zurück nach Deutschland am Ende des Krieges, kehrte zurück und wurde ein betuchter Bauingenieur. Cathrine hatte für ihn ihren ersten Mann verlassen. Niemals würde Lucys Vater diesem Feind die Hand geben. Williams Großvater, ein deutscher Kriegsgewinnler, hat dem ihm eine Stange Geld vererbt. Doch letztendlich nagt es an der Seele des Enkels, dass er es angenommen und behalten hatte, anstatt zu spenden. Lucy und William führen eine gute Ehe – rein oberflächlich gesehen. Doch als Lucy herausbekommt, dass William sie seit längerem betrügt, gehen auch andere Schubladen in ihrem Kopf auf. Die Töchter sind aus dem Haus und so verlässt sie ihren Mann. Er ist perplex – heiratet aber schnell die Geliebte, eine Ehe nicht gut funktionieren wird. Seine Frau verstirbt auch nach ein paar Jahren. Lucy ist nun glücklich mit David. Und William heiratet wiederum schnell: eine junge, sehr attraktive Frau, die das Alter der Töchter hat. Doch plötzlich plagen William nächtlichen Angstattacken, er wacht in Panik auf, kann nicht mehr einschlafen. Es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür. Er spricht mit Lucy darüber. Fein ausgewogene Charaktere mit Stärken, Schwächen und Geheimnissen. «Oh, William» oder ein ach – ein humorvoller, liebevoller Kommentar von Lucy – es wird auch selbstkritisch, nicht bei William bleiben. Der Roman liest sich wie ein gemütliches Gespräch auf dem Sofa. Lucy resümiert über ihr Leben und das derer, die ihr nahe stehen. «William, du hast deine Mutter geheiratet.», darum hängst du immer noch an ihr, oh William! Ein kluger Roman, Empfehlung! Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Für ihren Roman »Mit Blick aufs Meer« bekam sie 2009 den Pulitzerpreis. »Die Unvollkommenheit der Liebe« wurde für den Man Booker Prize 2016 nominiert. »Alles ist möglich« wurde 2018 mit dem Story Prize ausgezeichnet, erhielt ein überwältigendes Presseecho in den USA und stand in allen großen Medien auf den Empfehlungslisten. Die Übersetzungsrechte ihres neuen Romans wurden in bisher 17 Länder verkauft. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

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