Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezensionen zu
Über Menschen

Juli Zeh

(94)
(28)
(5)
(1)
(1)
€ 22,00 [D] inkl. MwSt. | € 22,70 [A] | CHF 30,50* (* empf. VK-Preis)

Ich muss sagen, dass ich selten ein Buch gelesen habe, wo der Titel so perfekt passt. Zeh weiß genau, wie sie Gedanken, Gefühle und Verhalten von und über Menschen einfängt. Es fühlt sich natürlich an das Buch zu lesen. Man taucht ein in eine Welt, die auch die eigene sein könnte. Natürlich war es zwischendurch sehr leicht für mich, sich in Dora einzufühlen, da sie ähnliche Einstellungen zu den meinen hatte, jedoch konnte ich dies auch an Stellen, die meinen eher konträr waren. Wer es also mag, nicht nur schwarz-weiß zu denken und seine eigenen Einstellungen und Handlungen sowie Gedanken zu reflektieren, für den ist dieses Buch genau das richtige! Vorsicht Spoiler! Zeh schafft es in ihrem Buch einen Nazi so sympathisch werden zu lassen, dass man ihn anfängt zu mögen. Dabei hat sie genau das richtige Maß. Vergisst man, dass er Nazi ist, so wird man kurz darauf wieder schmerzhaft daran erinnert und muss sich fragen, wie es sein kann, dass man selber mit einem Nazi sympathisiert. Für mich war das tatsächlich nicht leicht. Aber es zeigt vieles sehr gut: aus der Ferne Dinge zu verurteilen oder auch nur darüber zu urteilen, ist nochmal etwas anderes, wenn man diese kennenlernt. Die Autorin schafft es, dieses an vielen Beispielen zu verdeutlichen. Ich habe mich immer wieder dabei erwischt, in ähnliche Gedanken wie Dora zu verfallen und mich und meine Einstellungen selbst zu reflektieren. Zusätzlich dazu, dass das Buch sehr gut geschrieben ist und sich gut lesen lässt, ist es also ein Werk, was an vielen Stellen zum Nachdenken anregt. Große Props an die Autorin für dieses fantastische Buch.

Lesen Sie weiter

Über Vorurteile und Selbstreflexion

Von: Lesepingu

03.05.2021

"Über Menschen" gilt zu Recht als der neue Bestseller von Juli Zeh. Auf unterhaltsame Art entführt Juli Zeh den Leser in eine Welt, die für die Protagonistin Dora, mit Klischees bestickt ist und ihre unfreiwilligen Vorurteile zunächst vollends bestätigt werden. Aber im Laufe der Geschichte lernt Dora sich selbst besser kennen und auch zunächst unfreiwillig ihre Nachbarn. Sie muss erkennen das nicht immer alles so ist, wie es im ersten Moment erscheint und was die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind. Ich habe "Über Menschen" sehr gerne gelesen. Es hat mich berührt, gefesselt und zum nachdenken animiert. Ein großartiges Buch der aktuellen Zeit - kritisch und treffend.

Lesen Sie weiter

"Kohls blühende Landschaften gibt es bis heute nicht, die blühenden Freundschaften von Bracken dagegen schon." (S. 346) Der neue Romantitel von Juli Zeh ist ein gelungenes Wortspiel: Auf "Unterleuten" (2016) folgt nun "Über Menschen", Anklänge an Friedrich Nietzsche nicht zufällig. Beide Romane spielen in unterschiedlichen fiktiven Dörfern in der Prignitz im nordwestlichen Brandenburg, "Unterleuten" im Jahr 2010, "Über Menschen" im ersten Corona-Frühling und -Sommer 2020. Flucht Anstatt vieler Perspektiven gibt es dieses Mal nur die Sicht einer Protagonistin: Dora Korfmacher. Die hat mit 36 Jahren ein immer anstrengenderes, zuletzt unerträgliches Leben in Berlin aufgegeben und ist mit ihrer Mischlingshündin Jochen-der-Rochen in ein kurz vor der Pandemie ohne bestimmtes Ziel erworbenes, heruntergekommenes ehemaliges Gutsverwalterhaus mit grauer Stuckfassade und verwildertem Grundstück gezogen. Aus 80 Quadratmeter saniertem Altbau mit Balkon in Kreuzberg wird Dorfrandlage von Bracken, bröckelnde Straßen, efeuüberwucherte ehemalige Kneipen und komplett fehlende Infrastruktur. Vordergründig hat die Wende ihres Lebenspartners Robert vom überzeugten Klimaschutzaktivisten zum fanatisch-selbstgefälligen Corona-Apokalyptiker den Ausschlag gegeben, es ist aber auch eine Flucht vor der Überforderung im sich immer schneller drehenden Projekte-Hamsterrad einer Werbeagentur für nachhaltige Produkte. Neue Nachbarn Nicht dass Dora nicht gewarnt gewesen wäre: "In die Prignitz? Was willst du denn bei den ganzen Rechtsradikalen?" (S. 45) Unverblümt stellt sich der kahlgeschorene neue Nachbar jenseits der Mauer, Gottfried Proksch, genannt Gote, vor: „Angenehm“, sagt Gote, „Ich bin hier der Dorf-Nazi.“ (S. 45) Gote lebt in einem Bauwagen im eigenen gepflegten Garten neben seinem Haus, beherbergt die wegen Corona vorübergehend bei ihm untergebrachte zehnjährige Tochter Franzi und entpuppt sich als ebenso hilfsbereit wie radikal. Da es bei 285 Einwohnern keine Anonymität gibt, keine Möglichkeit für Dora, sich in der eigenen Blase zu bewegen, kommt sie den 27 Prozent AfD-Wählern zwangsläufig nah: "In Bracken ist man unter Leuten. Da kann man sich nicht mehr so leicht über die Menschen erheben. Wirst dich daran gewöhnen müssen." (S. 128) "Über Menschen" ist eine wohlkalkulierte Zumutung für die Leserinnen und Leser. Kaum hat man sich angesichts der selbstverständlichen Hilfsbereitschaft und väterlichen Zuneigung von Gote leicht entspannt, pöbelt er über „Pflanzkanacken“, erzählt von Pyrotechnik vor Flüchtlingsheimen, beschimpft eine indische Ärztin oder grölt mit Kumpanen das Horst-Wessel-Lied. Heini, ebenso handwerklich begabt wie Gote, würzt seine selbstlosen Hilfseinsätze mit rassistischen Sparwitzchen. Sadie, alleinerziehende Mutter in Dauernachtschicht, mit einer Wirklichkeit, „in der es um Dinge geht, von denen in Prenzlauer Berg niemand etwas ahnt“ (S. 216/217), beklagt ungerechtfertigte Unterstützung für „die Ausländer“. Das schwule Pärchen Tom und Steffen hat einen AfD-Sticker neben der Klingel („Geht ja nicht anders.“ S. 126), obwohl Steffen in seinem Kabarettprogramm Rechte aufs Korn nimmt. Leicht zu lesen, schwer zu verdauen Juli Zeh lässt uns Dora, die mit Youtube-Videos gärtnernde Städterin, beim Erlernen der Dorfregeln und beim Aushalten der Ambivalenzen ihres neuen Lebens zuschauen: "Eine Bedrohung des lebenswichtigen Irrtums, man könne das Gute und das Böse spielend leicht auseinanderhalten." (S. 194) Dora muss, will sie bleiben, Klischees auflösen, lernen, miteinander – statt wie in Berlin übereinander – zu reden und den Glauben an die eigene Überlegenheit aufgeben. Sehr gelungen sind die oft entlarvenden Dialoge voller sprachlicher Missverständnisse und Doras automatisch anspringendem Werbetexter-Hirn. Ob wir diesen Roman auch noch in zwanzig oder dreißig Jahren lesen werden? Ich bin mir nicht sicher. Aber ein interessanter, lesenswerter Diskussionsbeitrag zu aktuellen deutschen Befindlichkeiten ist er auf jeden Fall.

Lesen Sie weiter

"Über Menschen" ist ein Roman, dessen Titel nicht stimmiger sein könnte, wie hier gewählt. Es ist ein Roman über Menschen und ein kleiner Einblick in deren Gedankengut. Nur Juli Zeh gelingt es sachlich und mitunter auch emotionslos Tabuthemen und aktuelles Geschehen in einen Roman einfließen zu lassen, um ihn dadurch noch einprägsamer für mich als Leserin zu gestalten. Um ihrem unerträglichen Alltag zu entfliehen, der durch Pandemie und Klimaschutz gegründet wird, zieht es Dora nach Bracken. Raus aus der Großstadt und fern dem Lockdown, versucht sie zur Ruhe zu kommen. Sie trifft auf Menschen, die ihr in Berlin sicherlich niemals begegnet wären, was diesen Roman einfach so herrlich sarkastisch wirken lässt. Wunderbar ist allerdings, das Menschen, auch wenn sie sich komplett von meiner Gesinnung entfernt leben und ihre Eigenarten mich vielleicht auch abstoßen würden, "Über Menschen" beleben können und es definitiv authentisch wirken lassen. Die politische Gesinnung in Bracken ist absolut AfD angehaucht und muss von Dora erstmal verarbeitet werden, bzw. muss sie den Menschen hinter der Wahlentscheidung sehen. Es wirkt kurios und absolut verrückt und dennoch sind es letztendlich diese Nachbarn die Dora unterstützen, während ihr Freund Robert im fernen Berlin seinen Idealen nachjagt. Es ist absolut verrückt und durch die Realität in der wir uns befinden, ein Roman der in das Zeitgeschehen passt. Sehr eindrücklich ist die Veränderung der Persönlichkeit von Dora beschrieben, die innerhalb der Story über sich hinauswächst. Mr hat sehr zugesagt, wie sie sich weiterentwickelt. Zuvor kam sie mir eher so vor, als hätte sie innerhalb ihrer Beziehung zu Robert wenig Freiraum und auch innerhalb ihrer Ursprungsfamilie wenig Selbstbewusstsein mitbekommen hat. Nun trifft sie ihre Entscheidungen selbstständig und kann sich irgendwann auch komplett auf ihre urige Nachbarschaft einlassen. Sie übernimmt für sich und andere die Verantwortung und wird nicht mehr gegängelt. Der Umzug nach Bracken ist für Dora eigentlich die beste Entscheidung, die sie hätte treffen können, auch wenn sie gekündigt wird und nicht weiß, wie sie ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Hündin bestreiten soll. Die Freundschaften die sie schließt werden ihr zwar das Herz brechen, aber eine innere gute Verwandlung hervorrufen. Manchmal schreibt das Leben Geschichte und eine Story über Menschen ist ebenfalls sehr gelungen gewählt. Wieder einmal war "Über Menschen" ein gelungenes Buch der Autorin, welches ich mit Begeisterung gelesen habe. Ich habe schon erwähnt, das die Autorin eine eigenwillige und mitunter auch emotionslose Art des Schreibens für sich gefunden hat, die mir aber dennoch sehr zusagt, da zwischen den Zeilen gelesen "Über Menschen" wirklich hochkarätig ist. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung!

Lesen Sie weiter

(K-) eine heile Welt?

Von: Stefanie Reich

15.04.2021

Dieses Buch war mein erstes Buch, das ich von Juli Zeh gelesen habe. Es beginnt mit der Beschreibung der Gartenarbeit der 36-jährigen Hauptfigur Dora und ihren Gedanken in der Einsamkeit ihres neu gekauften alten Hauses im fiktiven Ort Bracken in Brandenburg. Die ersten Seiten musste ich mich an ihre Sprache, Gedankensprünge und Rückblenden gewöhnen und manche Sätze auch zweimal lesen. Aber dann ist es ein Genuss, weil in einem Satz so viel verpackt ist und ich oft dachte: „Ja, genau so ist es.“ Ihre aktuellen Beschreibungen der Corona-Zeit, machen das Buch zu einem Zeitdokument und ich musste öfters daran denken, dass in mehreren Jahrzehnten hoffentlich die Leser denken: „Das kann doch nicht wirklich so gewesen sein!?“ Letztlich geht es in diesem Buch um verschiedene Lebensentwürfe, verschiedene Gesinnungen und trotzdem auch um Zusammenhalt; vor allem anfangs erzählt Juli Zeh viel in Rückblenden aus dem Leben von Dora und wie es zu ihrem Umzug kam. Oft musste ich Lachen und genauso oft blieb mir das Lachen dann doch im Hals stecken, zum Beispiel beim ersten Zusammentreffen mit ihrem Nachbarn Gote („Angenehm. Ich bin hier der Dorfnazi.“) Mit Gote entwickelt sich eine Freundschaft trotz der inneren und äußeren Widersprüche. Im Laufe der Geschichte bekommt Dora ihre Kündigung und ihr Leben in Bracken wird somit nicht vorläufig, sondern es ist ihre einzige Alternative. Aus ihrer Berliner Blase herausgetreten kämpft Dora mit der Realität, die eben nicht nur schwarz oder weiß ist. Doras Gedankenspiele sind mal lustig, mal nicht politisch korrekt und der Leser muss sich fragen, wo stehe ich? Manche Beschreibungen sind schwer auszuhalten, z.B. das Nazitreffen im Nachbargarten und ich habe das Unbehagen und die Wut von Dora gespürt. Und letztlich bringt es ein Freund von Dora auf den Punkt: „Es geht nicht darum, Widersprüche aufzulösen, sondern sie auszuhalten.“ Genau das ist die Schwierigkeit und meistens neigt man dazu vor solchen Situationen wegzulaufen oder sie zu ignorieren, damit das eigene Weltbild nicht ins Wanken gerät. Im Laufe der Geschichte vertieft sich die Freundschaft mit Gote und ich habe mich gefragt, wie die Geschichte zwischen den beiden endet. Wie dann die Geschichte weitergeht und an Dramatik gewinnt, möchte ich nicht verraten, aber letztlich ist es eine logische Fortführung der Geschichte. Leider! Ich musste ein paar Tränen verdrücken. Als ich die letzte Seite gelesen hatte, konnte ich das Buch nicht gleich aus der Hand legen und in meinen Alltag zurückkehren. In meinem Kopf war noch so viel in Aufruhr. Fazit: Ich habe für dieses Buch eine kurze Eingewöhnungsphase mit mehreren kurzen Lesezeiten gebraucht, dann es aber auf einen Rutsch fertig gelesen. Es ist keine Heile-Welt-Geschichte, sondern eine Reale-Welt-Geschichte und man kommt nicht umhin, sich selbst Gedanken über die eigene Weltsicht und persönlich gefühlte Wirklichkeit zu machen.

Lesen Sie weiter

über Menschen in Zeiten von Corona

Von: Melea

08.04.2021

Berlin im Corona- Modus, dazu ein überspannter Freund mit Übermotivation fürs Klima: Werbetexterin Dora hält es in ihrer WG nicht mehr aus, eine Veränderung muss her. Sie zieht mit Hund in ein kleines brandenburgisches Dorf mitten ins große Nix. Wer hier kein Auto hat – so wie Dora – hat es schwer. Das alte Haus, 4000 qm vernachlässigter Garten und ein Dorf mit schrägen Bewohnern bescheren der mutigen Aussteigerin eine erlebnisreiche Zeit, bei der man sie als Leser gerne begleitet. Neben den heiß diskutierten Themen, die Corona mit sich brachte (Lockdown, Homeschooling, Querdenker und Coronaleugner…) geht es hier auch um die vielen unterschiedlichen Charaktere, die Nachbarn in dem 285 Seelendorf (Dora eingerechnet). Dem Klischee wird Juli Zeh gerecht, als hier Nazis, Rassisten und AfD-Wähler auftauchen, aber sie zeigt auf, dass diese Eckdaten die Menschen nicht ausmachen, zwingt den Leser zu Reflexion. Man muss mit Dora neu denken und hinterfragen, was hinter welcher Fassade steckt, erschrickt vielleicht mit ihr über ein Vorurteil, dessen man sich gewahr wird. Eventuell wird daraufhin die eine oder andere klemmende Schublade im Hirnkastel geöffnet, gelüftet und neu sortiert, vielleicht bestärkt es Manchen aber auch in seiner Sicht auf die Einstellungen. Mal drüber nachdenken schadet ja nicht. ;) Mir hat das Buch gefallen, es war unterhaltsam, teils humorvoll, regte aber auch zum Nachdenken an und porträtierte unsere aktuelle Zeit.

Lesen Sie weiter

MEINUNG: Juli Zeh war eine Autorin, die ich schon lange für mich entdecken wollte. Nun habe ich letzten Monat Leere Herzen von ihr gelesen und da stand für mich fest, dass ich auf jeden Fall weitere Romane von ihr lesen möchte. Ihr neuer Roman Über Menschen kam da gerade recht. Der Roman ist keine Fortsetzung von Unter Leuten, auch wenn der Titel das vermuten lässt.  Dora, Wahl-Berlinerin, hält es in der Stadt mit ihrem Freund und Corona-Umständen nicht mehr aus und kauft ein Haus in dem kleinen, fiktiven brandenburgischen Dorf Bracken und zieht mit ihrer Hündin Jochen dorthin (ganz viel Liebe für diesen Hund, den ich sofort ins Herz geschlossen habe). Dora zieht ins sprichwörtliche Nirgendwo, wo man ohne Auto eigentlich nicht zurecht kommt und Dora hat kein Auto, was das Ganze noch zusätzlich erschwert. Sie trifft in Bracken auf allerlei Menschen, die sie so nicht gewohnt ist und die ihre eigenen Vorstellungen ziemlich auf den Kopf stellen. Ich habe mir zunächst gedacht, bei aller Sympathie zu Juli Zeh, ob ich wirklich ein Buch über Corona lesen möchte, einem Thema, was seit über einem Jahr so alltäglich ist. Juli Zeh setzt das Thema sehr dosiert ein, aber natürlich ist es auch der Auslöser für Doras Flucht aufs Land. Natürlich findet man sich hier wieder, aber es ist eben auch schon wieder ein Jahr später und ich habe mich dabei erwischt als ich dachte "ach damals". Viele Maßnahmen, wie die Masken sind heute alltäglich geworden und es seltsam zu lesen, wie es vor einem Jahr damit anfing. Ich habe am Anfang ein bisschen gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen. Mir fehlte zunächst ein bisschen der rote Faden. Es las sich fast ein bisschen wie Kurzgeschichten. Juli Zeh wechselt auch häufig zwischen Gedanken und eigentlicher Handlung. Den Mittelteil fand ich sehr stark und mochte das Buch dann gar nicht mehr aus der Hand legen. Dora ist für mich als geborene Berlinerin die typische zugezogene Berlinerin, die in der Werbebranche arbeitet. Trotzdem war sie mir sofort sympathisch. Ich fand es bewundernswert, wie sie einfach gewohntes Stadtleben hinter sich lässt und ein Haus mit 4.000 Quadratmeter Grundstück erwirbt und dennoch ist es genau das, was sie in dem Moment zu brauchen scheint. Auch ihre Familienverhältnisse sind Teil der Geschichte und man lernt sie dadurch noch besser kennen. Besonders amüsant fand ich ihren Vater Jojo, einem sehr angesehenen Arzt. Dora scheint es gewohnt zu sein sich immer um alles selbst zu kümmern.  Interessant sind die Begegnungen mit den Einwohnern Brackens, allen voran ihrem direkten Nachbarn Gote, der sich selbst als Dorf-Nazi bezeichnet. Außerdem sind da noch Tom und Steffen, die offen zu geben, die AfD zu wählen. Zu recht wird Dora hier massiv mit einer Gedankenwelt konfrontiert, die sie entschieden ablehnt, die ich ablehne und die wohl auch andere LeserInnen ablehnen werden. Juli Zeh zeigt aber dennoch auch auf, dass man diese Leute nicht auf das reduzieren kann. Es sind auch Menschen, die z.B. hilfsbereit gegenüber Dora sind und das führt, ohne dass ich auch solches Gedankengut gut heißen möchte, zu starken Ambivalenzen in Doras Gefühlslage. Ich habe mich beim Lesen auch dabei erwischt, dass ich z.B. den Gote irgendwann auch gern hatte und Dora ging es genauso. Ich kann mir allerdings auch gut vorstellen, dass dem ein oder anderen LeserIn nicht besonders gut gefallen wird.  FAZIT: Über Menschen habe ich gern gelesen. Als geborene Berlinerin sind kleine Orte in Brandenburg Teil meiner Jugend und Kindheit und ich konnte mir vieles gut vor meinem geistigen Auge vorstellen. Juli Zeh ist eine kluge Beobachterin und greift auch hier wieder aktuelle Themen auf. Ich musste ein bisschen in die Geschichte rein kommen, aber dann hat es mich gepackt.

Lesen Sie weiter

Jochen der Rochen

Von: wal.li

05.04.2021

Der erste Lockdown in der Corona-Pandemie läuft. Die Menschen sind alle irgendwie seltsam geworden. Jeder hat Recht und es wird nicht miteinander geredet. Robert, Doras Freund ist besonders überzeugt, dass das Klima gerettet werden muss und die Corona-Maßnahmen einzuhalten sind. Dora hat vor einiger Zeit ein heruntergekommenes Haus in Brandenburg erworben und nun nimmt sie ihren kleine Hündin Jochen und zieht aufs Land. Auch dort sind die Menschen seltsam, aber anders. Will Dora dort bleiben? Immerhin kann sie jederzeit in die Stadt, wenn sie denn irgendwelche öffentlichen Verkehrsmittel findet. Erstmal fängt sie an, ein Gemüsebeet anzulegen und dann wird sie weitersehen. Das Landleben in Brandenburg hat nicht so einen guten Ruf. Zu oft liest man von den Rechten, die dabei sind dort die Oberhand zu gewinnen. Doch lauert wirklich an jeder Ecke ein Rassist? Eines merkt Dora schnell. Eine verschlossene Tür bedeutet hier nicht viel. Sie müht sich auf ihrem viertausend Quadratmeter Grundstück ab. Und plötzlich muss sie sich fragen, ob sie unter die Heinzelmännchen geraten ist. Der Garten wird gerodet, ein Bett wird gebaut. Etwas beängstigend. Froh ist Dora, dass ein Nachbar die Straße runter sie nach dem Einkaufen mitnimmt. Sie beginnt zu verstehen, wieso in ländlichen Gegenden die meisten Leute ein Auto haben. Der neue Roman beginnt mit einer Beschreibung des Lebens in der heutigen Pandemie-Zeit. Die Lektüre nimmt dabei etliche Stunden in Anspruch, weil man dasitzt und denkt: eher nicht, vielleicht oder stimmt, stimmt genau. Man ist im positiven Sinne gezwungen zu reflektieren und nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Umgang der Menschen untereinander. Das Bild ist trostlos und die Frage, wie man wieder zu einer zugewandten Kommunikation kommen könnte, kann nicht einfach beantwortet werden. Doch als Dora so langsam von dem Dorf und seinen Menschen auf- und eingenommen wird, wird man beim Lesen auch in die Handlung hineingesogen. In der Anonymität der Stadt kann man sich seine Freunde aussuchen. Die Nachbarn im Dorf sind einfach da und man sollte versuchen, sie zu nehmen. Wie schwierig das sein kann, merkt man an Doras Beispiel. Auch wenn das Buch die Welt nicht ändert, so wäre es doch ein guter Ansatz sich selbst zu ändern. 4,5 Sterne

Lesen Sie weiter

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.