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Rezensionen zu
Gefährten

Ali Smith

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Gefährten von Ali Smith, ins Deutsche übersetzt von Silvia Morawetz Gefährten, die Begleitung zu Ali Smiths Jahreszeitenquartett, spielt zu keiner bestimmten Jahreszeit sondern kann als Addition zu allen vier Jahreszeiten gelesen werden. Während der Corona Pandemie erhält Sandy einen unerwarteten Anruf einer ehemaligen Kommilitonin, die ihre Hilfe benötigt, um ein Rätsel zu lösen: ein Rätsel um ein Schloss, das vor 500 Jahren von einer jungen Schmiedin geschmiedet wurde. Wie in den anderen Bänden des Quartetts springt Ali Smith auch hier in der Zeit und schreibt sowohl über die Gegenwart als auch die Vergangenheit, die wie immer durch ein besonderes Element verknüpft sind. Sie enthüllt unerwartete Verbindungen und Beziehungen und webt sie in eine Geschichte über Einsamkeit und Freiheit, welche wiederum durch das Überthema Flucht verbunden werden: Flucht vor der Einsamkeit, Flucht auf der Suche nach Freiheit. Wie immer überzeugt Ali Smith durch ihren poetischen, eindringlichen Stil und ihre scharfen Beobachtungen in Bezug auf Gesellschaft und Geschichte. Ich kenne niemanden, der so poetisch und kraftvoll schreibt wie Ali Smith, und diese Brillianz wird auch ganz klar in der deutschen Übersetzung aufgegriffen. Das Buch hat mir sehr gut gefallen, konnte aber Sommer nicht als Favorit vertreiben. Als nächstes stehen Herbst und Winter auf meiner Liste, sodass ich das Jahreszeitenquartett abschließen kann, wenn auch in der falschen Reihenfolge. Ein ganz tolles Buch einer brillianten Schriftstellerin, die ich allen, die sich für poetischen, anspruchsvollen Stil begeistern, ganz herzlich empfehlen möchte!!

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Gefährten

Von: Bearnerdette

16.10.2023

Ich glaube entweder mag man Ali Smiths Stil oder man kann nichts damit anfangen. Ich bin Fan seit ich das Vier-Jahreszeiten Quartett gelesen habe. In "Gefährten" geht es um ein seltsames Schloss, das vor fünfhundert Jahren in England von einer Frau geschmiedet wurde. Und es geht um Sandy, deren Vater während der Corona Pandemie im Krankenhaus landet und die von dem Schloss von einer früheren Mitstudentin hört. Wie immer geht es zwischen den Zeilen aber umso viel mehr. Um Politik, um Kunst, um Menschlichkeit. Smith schreibt poetisch, manchmal fragmentarisch, stets gezielt. Wie schon oben erwähnt, entweder man mag ihren Stil oder nicht, ich verstehe sehr gut warum sich die Geister scheiden. Mir aber gibt der Stil viel.

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Der Roman wurde hervorragend von Silvia Morawetz übersetzt und hat mich etwas überrascht. Laut Klappentext geht es um zwei Künstlerinnen, die in zwei, fünfhundert Jahre auseinander liegenden, Jahrhunderten leben. So erwartete ich, dass die Kunst im Vordergrund steht. Es geht in dem Buch aber mehr um die Parallelität von Pest und Corona-Pandemie. Thematisiert wird für die Vergangenheit auch eher die Problematik, als Frau ein Handwerk zu erlernen und eigenständig zu sein. Auch das Leben am Rand der Gesellschaft wird gut dargestellt. Die Gegenwart beschäftigt sich mit dem erzwungenen Alleinsein in der Pandemie und der Übergriffigkeit von Menschen. Alles in allem ein wirklich gutes Buch, das mich intensiv zum Nachdenken gebracht hat ohne meine Erwartungen zu erfüllen.

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Wundersam

Von: Literaturreich

06.08.2023

Die britische Autorin Ali Smith schreibt wundersame, schwebende und ungemein poetische Romane. Mit ihrem Jahreszeiten-Quartett Herbst, Winter, Frühjahr und Sommer hat sie dies mit der Schilderung ganz aktueller Vorgänge in ihrem Heimatland verbunden. „Companion-Piece“ ist nun ihr aktuellster Roman im Original betitelt. Mehrdeutig kann er damit ein „Begleitstück“ zu diesen vier Büchern sein. Im Deutschen musste sich die Übersetzerin Silvia Morawetz auf eine Bedeutung festlegen und wählte für den Text von Ali Smith den Titel Gefährten. Gefährten, das können Menschen sein, die wir schon lange kennen. Es können aber auch Unbekannte sein, die den eigenen Lebensweg ein Stück weit begleiten, im positiven wie im negativen Sinn. Gefährten können aber auch, gerade in Phasen der Einsamkeit, Tiere und auch Dinge werden. Denken wir an das Radio, an den Fernsehapparat, den Computer oder natürlich an Bücher. In einer solchen Zeit der Einsamkeit befindet sich die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Sandy Grey und mit ihr Millionen Menschen. Denn Ali Smith lässt Gefährten während der Corona-Pandemie spielen. Die Anfangs- und damit Panikphase ist bereits vorbei, das Leben unter Ausnahmebedingungen hat sich bereits ein wenig eingespielt, es sind genügend Masken vorhanden, Sicherheitsmaßnahmen wurden ergriffen, Beschränkungen erlassen. Eine der wohl am tragischsten, umstrittensten, aber vielleicht auch am notwendigsten war die Beschränkung des Zutritts zu Krankenhäusern. Was in der Zeit der strengsten Auslegung dazu führte, dass Menschen allein sterben mussten, Angehörige nicht zu ihren geliebten Menschen gelassen wurden. Auch Sandy, Mitte 50 und Künstlerin, die Gemälde aus Gedichten schafft, indem sie diese immer wieder übermalt, leidet unter der Ungewissheit, die die Trennung von ihrem Vater bedeutet, der wegen akuter Herzprobleme stationär aufgenommen wurde. Sie darf ihn zwar besuchen, aber nur wenige Stunden in der Woche. Sie macht sich große Sorgen. Zur gleichen Zeit erhält sie einen Anruf von einer ehemaligen Kommilitonin, Martina Ingles, mit der sie nie wirklich viel zu tun hatte, die sich nun aber mit einem Problem an sie, die „Literaturexpertin“ wendet. Martina arbeitet für ein Museum und wurde, als sie ein wertvolles, 500 Jahre altes, kunstvoll geschmiedetes Schloss nach Großbritannien begleitete, am Flughafen festgehalten, da sie zwei Pässe und zwei Staatsangehörigkeiten besitzt. Etwas, dass man augenscheinlich im neuen Brexit-England nicht sehr schätzt. Sieben Stunden in einer engen Zelle festgehalten, meinte sie eine Stimme zu hören, die ihr zuflüsterte: „Curlew oder curfew, du musst dich entscheiden.“ Wieder eine sprachliche Spielerei, die nicht so ohne weiteres ins Deutsche übertragen werden kann. Denn hier ändert nur ein Buchstabe dramatisch die Bedeutung. Im Deutschen ist curlew der Brachvogel – könnte für die Freiheit eines Vogels stehen – und curfew die Sperrstunde – das Eingeschlossensein. Eine Frage, die man sich während der Pandemie ständig stellen musste, die ein Land wie Großbritannien gegenüber der Welt mit dem Brexit und seiner zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik aber bereits entschieden hat: Ihr müsst draußen bleiben. So ist Gefährten von Ali Smith wie schon bereits das Jahreszeiten-Quartett auch eine scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik, an der Abschottung, aber auch an der zunehmenden sozialen Ungleichheit, an Misogynie und Klimapolitik. Das Ganze geschieht aber auf eine leichte, spielerische, sich nicht festlegende, alles in der Schwebe belassende Art. Wer eine stringente Handlung, klare Entwicklungen und Aussagen erwartet, ist bei den Texten von Ali Smith falsch, geht wohlmöglich ratlos aus ihnen hervor. Stattdessen bekommt man witzige Dialoge, Sprachspiele, reichlich intertextuelle Verweise, eine Gedichtanalyse von e.e.cummings und einige herrlich skurrile Vorgänge. Wie beispielsweise den Auftritt der beiden Zwillingstöchter von Martina Ingles, die Sandy die persönliche Veränderung ihrer Mutter vorwerfen, kurzerhand das Haus okkupieren und sie zur Flucht ins zur Zeit leerstehende Haus des Vaters bewegen. Oder die magischen Momente, in denen Sandys Geschichte mit dem zweiten Teil des Romans verwoben wird, der von einer Schmiedin in Pestzeiten handelt, die von ihrem männlichen Umfeld angefeindet, verfolgt, missbraucht wird, und der wohl die geheimnisvolle Stimme im Arrestraum – „curlew oder curfew?“ gehört, die später auch in Sandys Haus auftaucht. Sie ist wohl die Handwerkerin und Schöpferin des antiken Boothby-Schlosses ist, das Martina für das Museum sichern sollte. Aber Ali Smith nimmt uns bei all diesen Dingen nicht an die Hand, sondern lässt uns jede Menge Deutungsmöglichkeiten, balanciert ihre Geschichte in der Schwebe. Das macht diesen so klugen wie warmherzigen Text über den Mensch als Gefährten und die vielen Möglichkeiten des Miteinanderseins, aber auch die Anfeindungen dagegen so offen und anregend.

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Ali Smith schreibt literarisch großartig, in kunstvollem Stil! Gepaart mit einem inhaltlichen Wirrwarr aus Realität und Imagination macht dies den Roman nicht leicht zu lesen; der Rezipient muss definitiv dranbleiben und eine gewisse Portion an Durchhaltevermögen mitbringen. Es wird aber belohnt: Die Sprünge in den ineinander verwobenen Erzählsträngen, die teils chaotisch anmuten, lösen sich in einem großartigen Finale auf! Mir hat der Roman wunderbar gefallen, auch wenn ich anfangs irritiert war von der oberflächlichen Inhaltslosigkeit – wenig schlimm, wenn einem der Schreibstil so viele Feinheiten schenkt und sich zwischen den Zeilen eine ganze Romanreihe ansiedeln ließe.

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„Gefährten“ ist mein erstes Buch der Bestsellerautorin Ali Smith. In der Vergangenheit wurde diese vor allem für ihre Jahreszeiten-Reihe gefeiert. Grund genug, sich endlich einmal einen Roman von Smith genauer anzuschauen. In „Gefährten“ werden wir in das Leben von Sandy Grey hineingesogen. Sie ist Künstlerin, ihr Vater liegt im Krankenhaus und es herrscht wegen Covid-19 Distanzpflicht. Eines Tages erreicht Sandy ein Anruf von einer alten Uni-Freundin Martina. Wobei Freundin zu viel gesagt ist. Die beiden hatten eigentlich nur einmal richtig Kontakt, als es darum ging ein Gedicht von E. E. Cummings zu entschlüsseln. Das war Sandys Steckenpferd. Martina arbeitet nun für ein Museum und sollte ein besonderes Boothby-Schloss aus dem Mittelalter für das Museum transportieren. Doch es kommt zu Komplikationen am Zoll. Und auf einmal hört Martina seltsame Stimmen, die ihr etwas von Curlew oder Curfew ins Ohr flüstern. Sandy soll ihr helfen, das Rätsel zu lösen und hat auf einmal selbst Begegnungen der anderen Art. Erst überrascht sie eine junge Einbrecherin in ihrem Haus. Und dann stehen die Zwillinge von Martina vor der Tür und nehmen Sandy in die Zange. Die Schönheit von Ali Smiths Prosa ist absolut unbestreitbar! Ihre Sprache wirkt poetisch und vielschichtig. Vieles wird ineinander verwoben und es gibt zahlreiche Wortspiele, die im englischen Original sicherlich noch besser funktionieren. Allein schon das Curlew / Curfew Rätsel. Denn Curlew ist ein Vogel mit einem langen gebogenen Schnabel. Curfew dagegen ist nicht nur Sperrstunde, sondern spielt natürlich auch auf die Ausgangssperre während der Pandemie an. Soziale Isolation ist ein zentrales Thema der Geschichte. Überhaupt nimmt Ali Smith hier viele aktuelle Themen auf. Ein Zwilling ist zum Beispiel Transgender und streitet daher mit den Eltern. Gen Z trifft hier auf Baby-Boomer. Und dann gibt es aber auch wieder Rückblicke auf die Geschichte des Boothby-Schlosses und die Frau, die es vermeintlich erschaffen hat. Diese erhält im letzten Teil des Buches ihren großen Auftritt. Obwohl ich die sprachliche Geschicklichkeit von Ali Smith absolut anerkennen kann nach dieser Lektüre, hat bei mir die Verwirrung aber doch die Oberhand gehabt. Auf den ca. 250 Seiten war einfach so viel los. Wirklichkeit trifft hier auf Traumwelt, Gegenwart wird mit Vergangenheit vermischt. Es dreht sich um Isolation und um die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Und über allem steht die Magie der Worte und der Literatur. Das hat mich ziemlich erschlagen – und ratlos zurückgelassen. Zwar lässt Smith ihre Protagonistin Sandy selbst sagen: Eine Geschichte ist niemals eine Antwort. Eine Geschichte ist immer eine Frage. – Aber mich hat sie dieses Mal mit sehr vielen Fragezeichen über dem Kopf zurückgelassen. Vielleicht fehlte mir hier die Jahreszeiten-Reihe, um den Anschluss zu haben?

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Gefährten

Von: Letteratura

29.05.2023

Wir befinden uns inmitten der Pandemie, zur Zeit der Lockdowns. Sandy, eine Künstlerin in ihren 50ern, die aus Gedichten Gemälde erschafft, hat sich zurückgezogen in das Haus ihres Vaters, der im Krankenhaus liegt. Sie meidet auch deshalb Gesellschaft, weil sie ihn, den Risikopatienten, nicht gefährden möchte. . Dann erhält sie einen etwas merkwürdigen Anruf einer ehemaligen Studienkollegin, an die sie sich allerdings kaum erinnert. Die erzählt ihr von einem seltsamen Ereignis am Flughafen, setzt dabei eine Nähe zwischen ihnen beiden voraus, die Sandy so nie empfunden hat. Und dieser Anruf, dieses Eintreten oder Wieder-Eintreten der anderen in das Leben der Protagonistin, zieht weitere Begegnungen nach sich, als sich unerwartet die (erwachsenen) Kinder der früheren Bekannten, ein Zwillingspaar, bei Sandy meldet, und zwar zunächst einmal hauptsächlich mit überraschenden Vorwürfen. . Ich bin ein großer Fan von Ali Smiths Büchern, obwohl sie mich durchaus immer wieder auch verwirrt mit ihren Geschichten. Bei „Gefährten“ war das wieder so, vielleicht in höherem Ausmaß. Mehr als einmal habe ich mich gefragt, wo die Geschichte hinführt, was die Autorin mir sagen möchte – dabei sollte ich längst wissen, dass ich in Smiths Romanen keine einfachen Antworten finden werde. Dass sie mir große Freiheiten lässt, wie ich das Gelesene verstehen, einordnen möchte. Dass es die eine Deutung natürlich nicht gibt. Zum Glück. . In „Gefährten“ schlägt Smith wie schon in „Beides sein“, dem Roman, der vor ihrem Jahreszeitenquartett erschien, einen Bogen in eine weit zurückliegende Vergangenheit. In einer mittelalterlichen Welt begegnen wir im aktuellen Roman einem jungen Mädchen, das unter der Pest und ihren Folgen leidet. Die Parallelen zur Coronazeit sind offensichtlich. Plump ist das aber keine Sekunde. . Smith fängt wie immer aktuelle Ereignisse ein, macht Debatten zum Thema, vor allem zeigt sie wieder einmal, dass sie eine Meisterin ist, wenn es darum geht, (skurrile) Szenen zu erschaffen, mit wenigen Worten malt sie sie, schildert merkwürdige Begegnungen derart intensiv, dass es einen sofort mitten hineinzieht. Auch ihre Dialoge, vor allem die zwischen Sandy und den Zwillingen, zwischen Vertreter:innen ganz unterschiedlicher Generationen also, sind absolut auf den Punkt und dabei auch noch ziemlich witzig. . Smith spielt außerdem mit Sprache – das Ersetzen eines einzigen Buchstaben durch einen anderen (in diesem Fall curfew: Ausgangssperre – curlew: Brachvogel ) verändert die Bedeutung komplett. Und doch bleibt vieles nur angedeutet, überlässt sie es ihren Leser:innen, wie sie „Gefährten“ aufnehmen und verstehen möchten. Man kann großen Gefallen an dem Roman finden, ganz abgesehen davon, ob man sämtliche literarische Anspielungen nun erkennt oder nicht. Lässt man all dies zu und sich treiben in und durch die Seiten von Smiths Geschichte um Sandy, dann wird man belohnt werden mit starken, differenzierten Figuren, grandios geschriebenen Szenen über unwahrscheinliche Begegnungen zwischen Menschen, absolut treffenden Dialogen und einem Abbild unserer Welt, das die Autorin in all ihrer Absurdität und Alltäglichkeit sehr fassbar macht. Ali Smith at her best.

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"Hat irgendetwas davon überhaupt stattgefunden? Ich hatte keine Ahnung." (S. 96) Lockdown. Die Menschen stehen vor den Fenstern des Krankenhauses, Masken lassen ihre Mimik irrelevant werden. Sandy ist eine von ihnen. Seit einigen Tagen liegt ihr alter Vater im Krankenhaus, sein Leben auf Messers Schneide, nur ist es nicht das Virus, das die Welt zu einer anderen gemacht hat, das ihn hierherbrachte; es ist das Herz, das nicht mehr stark genug ist. Sandy kümmert sich um sein Haus und seinen Hund Shep, doch auch ihr geht es nicht gut. Die Angst um ihren Vater lähmt sie, sogar die Sprache, Wortspiele, ihre treuen Begleiter, können sie nicht von ihrer Sorge ablenken. "Mich kümmerte nicht, welche Jahreszeit es war. Oder welcher Wochentag. Zu der Zeit war für mich alles Mist einer einzigen Mistigkeit. Ich verachtete mich sogar für dieses kleine Wortspiel, auch wenn das nicht meine Art war, denn ich liebte Sprache schon mein Leben lang, sie war bei mir die Hauptperson und ich ihre ewig treue Gefährtin. Doch zu der Zeit konnten sogar Wörter und alles, was sie konnten und nicht konnten, mich mal kreuzweise." (S. 12) Doch dann erhält sie einen unerwarteten Anruf: ihre ehemalige Studienkollegin Martina Pelf, mit der sie zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Kontakt stand, erzählt ihr von einem merkwürdigen Traum. Ein junges Mädchen, eine Bachstelze; sie könne sich nicht erklären, was es damit auf sich habe, doch Sandy, oh Sandy, sie wisse es doch bestimmt. Es ist, als verschiebe sich eine Bewusstseinsachse, entspinnt sich aus diesem Anruf ein verqueres Abhängigkeitsverhältnis, ist es plötzlich nicht nur Martina, sondern ihre ganze Familie, die ihr die Luft zum Atmen nimmt. Währenddessen kämpft ein junges Mädchen, die Hände von Ruß beschmutzt, in einer anderen Zeit um ihr Überleben – und ist der Gegenwart doch näher als gedacht. „Wenn wir Wörtern Lebendigkeit zugestehen, sind Bedeutungen auch lebendig, und wenn Grammatik lebendig ist, sind die Zusammenhänge zwischen alldem ein Antrieb für alles und überhaupt nichts Trennendes. ... Wenn man akzeptiert, dass nichts festgelegt sein muss, wird man beweglicher." (S. 107f) . Wenn man so mag, fasst diese Passage aus Ali Smiths neuem Roman "Gefährten" (in der Übersetzung von Silvia Morawetz) die Besonderheit ihres Schreibens und der Art und Weise, wie ihre Geschichten konstruiert sind, wunderbar zusammen. Sie entledigt sich gestalterischer Konventionen und fordert dazu auf, sich von der Sprache, dem feinen Spiel mit Worten und Bedeutungsebenen, scheinbaren Wahrheiten treiben zu lassen, den Blick zu öffnen. „Gefährten“ steht insofern mit dem Jahreszeiten-Quartett in Verbindung, ist ihr "Companion Piece", als dass es wiederum den Zeitgeist, ja, Themen und Motive aufgreift, die zu den jeweiligen Zeiten „State of the World“ waren: Brexit, Europapolitik, die Flüchtlingskrise, der Klimawandel. Und nun eben: Corona. Pointiert und mit einer gewissen Situationskomik fängt sie diese neue gegenwärtige Realität durch die Augen ihrer Protagonistin ein, und spiegelt damit gleichermaßen die soziale und politische Situation des Landes wider. Unmerklich fließen die scheinbare Wirklichkeit und magischer Realismus ineinander: Ausgehend von dem Anruf und der unmöglichen Traumgeschichte ihrer Bekannten meint Sandy eben jenes Mädchen in ihrem Haus zu sehen, das verwundet bei ihr Schutz sucht; auf ihrer Schulter ein Brachvogel. Sie beginnt an sich und ihrer Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln: "Shep, sagte ich. Ich weiß, Halluzinationen sind eins der Symptome bei dem Virus. Ich bin krank, stimmt's? Ich halluziniere Pelfs. Ich erfinde das Gegenteil von Isolation, damit mir die Isolation nichts ausmacht. Ja?" (S. 167) . Das Gegenteil von Isolation, von Einsamkeit: Gemeinschaft. Gefährten. Sie sind das wiederkehrende Motiv, wärmend und hoffnungsbringend in dieser ungewissen Zeit. So viele Gestalten können sie annehmen, mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt: eine Liedzeile, ein Glauben, ein Haustier. Und für Sandy eben: Sprache. Seit ihrer Kindheit ist sie ihr Zuflucht; fasziniert von den Möglichkeiten, sie wahrzunehmen, zu lesen, ist sie das Zentrum ihrer Arbeit geworden: Anhand von Gedichten malt sie Bilder, legt Schicht um Schicht Wörter übereinander und verbindet sie zu Wort-Bild-Ellipsen. Doch die Gegenwart – in Form von Martinas Kindern, den Pelf-Zwillingen – fordert sie, ganz im Sinne von Smiths Stil, die Gegenwart der Sprache neu zu kennenzulernen, Akronyme, Internetsprache. Schnelllebigkeit. . Einer Collage gleich fügt Smith verschiedene Szenen aus dem Leben der Protagonistin zusammen, beschreibt die Beziehung zu ihrem Vater, ihre Verbindung zur Sprache und zum gegenwärtigen Geschehen, stellt Leben und Tot gegenüber, Tragödie und Farce, Oberfläche und Tiefe (oh, diese sprachlichen Easter Eggs!). Und dann: CUT. Zeitenwechsel, aus Curfew wird Curlew. Die Unterschiede, die ein Buchstabe ausmachen kann. Unterdrückung und Tod im sechzehnten Jahrhundert: eine junge Frau, die die Schmiedekunst lernt, dem Tode geweiht und entkommen, ihrem Gefährten, dem Brachvogel immer nahe.

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