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Rezensionen zu
Zur See

Dörte Hansen

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"Zur See" ist ein Buch, das bei mir erwartungsgemäß einen Nerv getroffen hat. Es geht um das Inselsterben, um den Verlust von Traditionen, Sprache, einer Lebensweise. Das sehen wir hier an der Küste natürlich auch. Wir haben unseren Resthof nur übernehmen können, weil es keine Erben gab, die das konnten oder wollten. Wir leben mit der Vermietung der Ferienwohnungen auch vom Tourismus, geben aber damit auch ein großes Stück Privatleben auf, leben in der Saison auch an den Rändern, gehen erst in den Garten, wenn die Gäste unterwegs sind, lassen die Hunde erst toben, wenn alle weg sind. Wir haben gerne Gäste, trotzdem holt man Luft, wenn mal keine da sind. Wir nehmen das Gemecker über die Flutschutzmauern zur Kenntnis von Menschen, die noch nie eine Sturmflut erlebt haben oder Land unter, wundern uns darüber, dass Menschen nicht verstehen, dass es in einem Nationalparkgebiet Verhaltensregeln gibt und lachen leise innerlich, wenn mal wieder die Beschwerde kommt, es sei nie Wasser da. Wir lieben das Wattenmeer und die Wurster Küste so, dass es fast weh tut und sind doch eigentlich Fremde, Zugezogene. Wie mag es da den Inselbewohnern gehen, die dort geboren sind, aber nicht bleiben können wegen mangelnder Berufsaussichten und fehlendem Wohnraum? Wo kleine Hütten für Millionen gekauft werden als Zweitwohnsitz, nur ein paar Wochen im Jahr genutzt? Wo Weideflächen Golfplätzen weichen und die seltenen Waldgebiete Hotelbauten? Dörte Hansen beschreibt all das mit leiser Trauer, unterschwelliger Wut, aber doch auch nicht ohne Hoffnung am Beispiel der Familie Sander. Ein Sohn Ex-Kapitän und Alkoholiker mit Angst vor der See, eine Tochter Pflegerin im Altenheim, die das Sterben der Sprache, des Gewohnten, Althergebrachten jeden Tag erlebt, ein Sohn, der mit Strandfundkunst die Golfplatzbesucher begeistert, die Mutter Führerin im Museum, das mal ihr Elternhaus war, der Vater Vogelwart in der Einsamkeit, geflohen vor zu vielen Menschen. Ein Buch, das stillen Schmerz in Herz und Bauch hinterläßt, aber auch ein leises Lächeln.

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„Ohne Not fährt niemand zu den Walen, aber keine Not scheint jemals groß genug zu sein, um einen Inselmenschen auf das Festland zu vertreiben.“ S. 18 Dörte Hansen erzählt in ihrem neuen Roman „Zur See“ die Geschichte über die alt eingesessene und nordfriesische Insel-Familie Sander. Vater Jens hat seiner Frau und seinen Kindern den Rücken gekehrt und versteckt sich im Naturschutz, Mutter Hanne ist rastlos, sitzt niemals still vor lauter Verdrängung, Tochter Eske rast mit Cannibal Corpse auf den Ohren durch die Gegend und jagt Touristen von der Straße, der große Sohn Ryckmer ist dem Alkohol verfallen und der kleine Sohn Henrik sucht sein Glück in der Kunst und am Strand. Alle Familienmitglieder haben eine starke Verbindung zur Insel und zur See aber die Brücke zueinander haben sie längst verloren. Und dann kommt es zu zwei unerwarteten Katastrophen, die das Leben der Sanders nachhaltig verändert. Dörte Hansens neuer Roman „Zur See“ ist eines der Bücher, die ich nach dem Zuschlagen am liebsten direkt wieder von vorne angefangen hätte. Hansen braucht nicht viele Worte um Figuren und Welten zu erschaffen, die sich langfristig einprägen, die sich in mein Lesegedächtnis festsetzen und dort noch ewig weiterleben (so auch bei Altes Land und Mittagsstunde). „Zur See“ kommt fast ohne Dialoge aus und trotzdem hab ich jedes Gespräch gehört und gespürt. Hansen greift in ihrem Insel-Roman viele wichtigen Themen wie Overtourism, Inselsterben oder vererbte Traumata auf. Und eins schwingt die ganze Zeit mit - die Liebe zur See. Die Sehnsucht nach Meer, nach Erinnerungen und nach der guten alten Zeit. Ich hatte das große Glück diesen wundervollen Roman auf der nordfriesischen Insel Sylt zu lesen. Im Strandkorb sitzend, mit Sand unter den Füßen, Wind in den Haaren und mit Blick auf die raue Nordsee. Mehr Lesegefühl geht gar nicht. Seit meinem 1. Lebensjahr gehöre auch ich zu den Touristen, die die Insulaner zeitgleich verfluchen und begrüßen. Wo wenn nicht auf Sylt sieht man den krassen Ausverkauf, das Aussterben von Traditionen, die Verdrängung der Einheimischen. Eine Entwicklung, die mich regelmäßig sehr nachdenklich stimmt. „Zur See“ hat einen ganz bestimmten Sound, eine Mischung aus Melancholie, Desillusion und düsterer Sehnsucht, ein Sound der einfach zu 100 % zur rauen Nordsee passt. Für mich ist Hansens drittes Buch ihr bisher bester Roman, ein absolutes Highlight in diesem Bücherherbst. Das mag vielleicht auch ein Stück weit daran liegen, dass ich ein großes Inselherz habe und ich demzufolge eventuell etwas voreingenommen bin aber Leute, ich spüre selbst 7 Tage später immer noch dieses Buch im ganzen Körper. „Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.“ S. 21 Vielen Dank an Penguin und das Bloggerportal für dieses unglaublich starke Lesevergenügen.

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Holt die Nordsee ins Wohnzimmer...

Von: Christiane Müller aus Braunschweig

10.10.2022

Gut wie die beiden Vorgänger! Ich vermisse aber den bissigen Humor wie z.B. in "Altes Land" . Meine Lieblingsszene ist darin der "Musimaus"-Schnuppertag mit Bernd und seinem Haargummi in Himmelblau, den Ottensen-Eltern und dem sabbernden Reiswaffel-Mädchen - einfach Weltklasse! :-) Die Protagonistin leidet und zugleich ist es saukomisch. Auf der Nordseeinsel im neuen Buch gibt es gar nix Komisches, leider. Ich habe als Insel-Touristin jetzt sogar ein schlechtes Gewissen bekommen.

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Das Kapitänshaus

Von: wal.li

07.10.2022

Die Mitglieder der Familie Sander kommen und gehen im Kapitänshaus auf der Insel. Nun wohnt Hanne dort, zwei Jungs und ein Mädchen hat sie großgezogen. Ihr Mann Jens fuhr lange Zeit zur See. Irgendwann hat Hanne das Warten nicht mehr ausgehalten und Jens die Ehe. Nun beobachtet er die Vögel. Die Tochter Eske hätte die Insel verlassen können, doch ist als Altenpflegerin im einzigen Altenheim der Insel tätig. Ryckmer, der Älteste, hatte auch das Kapitänspatent, allerdings verlor er es und hilft nun auf der Fähre aus. Eine Bedingung gibt es, er muss nüchtern bleiben. Hendrik, der jüngste, ist Künstler. Auf der kleinen Nordseeinsel kennt man sich. Zwar braucht die Fähre nur eine Stunde bis zum Festland, jedoch ist das Inselleben ein anderes. So viele Einheimische leben nicht mehr dort, dafür kommen schon die Touristen, erst eher im Sommer und nun fast während des ganzes Jahres. Früher war es im Sommer anders. Alles drehte sich um die Gäste, selbst die Kinder mussten ihren Platz räumen. Hanne war im Sommer eine andere. Inzwischen sind ihre einfachen Gästezimmer nicht mehr so gut besucht. Dafür lebt Ryckmer wieder daheim, nachdem er seinen Posten verlor. Und auch im Leben das Inselpastors ergeben sich Veränderung, die ihn nicht unbedingt begeistern. Und wieder schenkt Dörte Hansen ihren Lesern einen fesselnden Roman. Das Buch atmet Nordseeluft, wobei neben der Sehnsuchtszeit des Urlaubs und des Sommers auch das Grau der anderen Jahreszeiten nicht ausgespart wird. Das Inselleben verändert sich ebenso wie das Leben im Kapitänshaus. Auch wenn sich die Beschreibungen, sehr norddeutsch dauert es eine Weile bis das erste Wort gesprochen wird, auf die Familie Sander fokussieren, so werden auch kleine Begebenheiten um die anderen Insulaner geschildert. Es ist so normal und doch so anders. Wortkarg sind sie und doch reich an Empfindungen. Kein leichtes Buch, doch sehr beeindruckend. Der Wind, die Brise, das Geschrei der Möwen, die Charaktere der Menschen sind perfekt und liebevoll gezeichnet, ohne irgendetwas zu beschönigen. Es herrscht eben nicht nur Urlaubsfeeling, sondern eben auch mal Wind und Wetter. Wenn sich Dörte Hansen eines Themas annimmt, kann man sicher sein, dass man eine anrührende Geschichte lesen darf. 4,5 Sterne

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Zur See

Von: Letteratura

06.10.2022

„Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.“ S. 21 Das Meer, Strände, das Watt, Inseln in Nord- und Ostsee, viele Menschen fühlen sich von ihnen angezogen. Die See ist eine Naturgewalt, so faszinierend wie schwer zu verstehen, tief und weit und im Zweifel gnadenlos. Die meisten von uns kennen das Meer nur aus dem Urlaub, träumen vielleicht ab und zu von einem Leben an der Küste oder auf einer der Inseln, und natürlich sind unsere Vorstellungen davon romantisch und unrealistisch. Dennoch ist der Gedanke reizvoll. Dörte Hansen widmet sich in ihrem dritten Roman „Zur See“ dem Leben auf einer kleinen, nicht näher bezeichneten Nordseeinsel und zeigt, wie hart und einsam es dort sein kann. Da ist die Familie Sander. Jens, der Vater, hat die Familie vor über 20 Jahren verlassen, um eine Art Eremitenleben zu führen, ihn interessieren nur noch seine Vögel. Seine Frau Hanne lebt nun allein in dem Haus, wenn nicht gerade der älteste Sohn Ryckmer da ist. Der ist Trinker und hat sein Kapitänspatent verloren, schlägt sich durch, die Mutter kontrolliert seine Alkoholmengen. Tochter Eske arbeitet im Insel-Seniorenheim, hört Heavy Metal, um runterzukommen und ist hin- und hergerissen zwischen dem Heimweh nach der Insel, wenn sie einmal nicht da ist und der Verachtung für die Touristenströme, die die Insel regelmäßig heimsuchen. Verachtet hat sie auch immer, wie ihre Mutter sich veränderte, wenn sie Gäste im Haus hatte. Als die Kinder noch nicht erwachsen waren, vermietete Hanne jeden Sommer einige Zimmer im Haus, ein enges Zusammenleben mit den Gästen war das, Platz musste für sie auch von den Kindern gemacht werden, und Eske beäugte das stets misstrauisch. Ohne die Insel kann sie aber auch nicht sein. Der jüngste Sohn Henrik ist um die 30, und er ist der erste Mann in der Familie überhaupt, den es noch nie auf ein Schiff gezogen hat, offenbar mit sich im Reinen und mit künstlerischen Ambitionen. Eine weitere wichtige Figur ist Matthias Lehmann, der Inselpfarrer, den wir in einigen Kapiteln begleiten in seinem Alltag. Wir lesen von den Ansprüchen, die die Inselbewohner ununterbrochen an ihn haben, der Tatsache, dass er nur sehr begrenzt Privatmann sein darf. Seine Frau ist nur noch sporadisch auf der Insel, sie hat beschlossen, zum Teil auf dem Festland zu leben. Eine Zerreißprobe für die Ehe. Ich habe „Zur See“ von der ersten Seite an geliebt, und das liegt sicher an Dörte Hanses unvergleichlichem Ton, der den Roman zu etwas Besonderem macht. Denn das Buch lebt nicht etwa davon, dass im Leben der Protagonist:innen besonders viel geschehen würde, auch wenn sich die Dinge für sie ändern und das durchaus gravierend. Dennoch ist es Hanses Sprache, die mich so sehr gefesselt hat, diese so ungewöhnliche Mischung aus Lakonie und Melancholie, die es schafft, den Pragmatismus im Leben der Leute zu transportieren, sie lebendig werden zu lassen mit ihrer typischen norddeutschen Kühle, die aber keineswegs Kälte oder Gefühllosigkeit bedeutet. Hansen räumt auf mit der Seefahrtsromantik, die uns immer wieder ans Meer treibt, zeigt Getriebene und Verlorene, erzählt vom Wandel der Zeit, der auch vor dieser Nordseeinsel nicht Halt macht. Davon, dass kein Seefahrer sich je ein Seebegräbnis wünscht, davon, dass Jugendliche sich früh entscheiden müssen, ob sie gehen oder bleiben wollen, davon, dass die Einheimischen ihren Alltag nach dem Fahrplan der Fähre ausrichten und ihr Privatleben in die frühen Morgenstunden und die Abendstunden legen, wenn sie die Insel für sich haben und zumindest die Tagestouristen sie nicht beäugen können. Die Liebe zum Meer treibt „Zur See“ einem nicht aus, und das ist wohl auch nicht das Ziel des Buchs. Es ist eine anrührende und realistische Geschichte um diese Menschen und ihr Vermächtnis, geschrieben in einer wunderbaren leichten und doch poetischen Sprache, voller gelungener Bilder und treffender Gedanken, und getragen von tiefer Melancholie. Ein wunderbarer Roman. „Aber kein Mensch, kein Hund, kein Mond ist halb so treulos wie die See, die niemanden vermisst, […]. Die sich so lieben lässt und keinen je zurückgeliebt hat.“ S. 251

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Es gibt Bücher, da weiß man im Vorfeld schon, dass sie Bestseller werden. Dörte Hansens neuer Roman „Zur See“ gehört dazu - und das absolut berechtigt! Er erzählt von den Menschen einer Nordseeinsel. Menschen, die seit Generationen Seefahrer in ihren Familien haben. Die Familie Sander ist eine von ihnen. Jens, der Vogelwart, seine Frau Hanne und ihre erwachsenen Kinder. Da ist Sohn Ryckmer, dem sein Kapitänspatent entzogen wurde, der in der Kneipe den Alltag vergessen will und von Killerwalen im Mittelmeer, von Portugiesischen Galeerenquallen, Elmsfeuern und grünen Lichtern auf See erzählt. Tochter Eske, eine Altenpflegerin, die Heavy Metal braucht und auf Tätowierungen steht. Und Henrik, der Jüngste, der erste Sander, der kein Seefahrer wurde, der nicht mehr als seinen Strand und seine See braucht. Ein Künstler, immer auf der Suche nach Treibholz für seine Objekte, seine Treibgutwesen, mit denen er spricht wie mit seinem Hund und seinen Freunden. Dörte Hansen erzählt von den Einheimischen und ihrem Verhältnis zu den Touristen, welche ins Leben der Inselleute eingreifen, Besitz ergreifen und die Insel sowie die Menschen dort verändern. Die Autorin lässt einen eintauchen in ein Buch mit einer ganz besondere Atmosphäre. Für mich ist diese Lektüre ein Lese-Highlight, das weit oben steht auf meiner ganz persönlichen Bestenliste. Meisterhaft geschrieben - unbedingt lesen!

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Die Familie Sander lebt seit Generationen auf einer Nordseeinsel. Seit Generationen fahren die Männer zur See und die Frauen bleiben zurück. So war es jahrhundertelang. Doch nun ändern sich die Zeiten, die Moderne hält Einzug. Ein Wandel, der nicht nur die Familie sondern auch die ganze Insel erfasst. Im Sommer spuckt die Fähre unzählige Touristen vom Festland aus, die Fischer fischen nicht mehr, denn vom Fischfang können sie nicht mehr leben. Sie bieten stattdessen Touristen-Kutterfahrten an, verkaufen sich und ihre Kultur ebenso wie die Frauen, die ihre Tracht ausschließlich für Museumsführungen anziehen und die ihre Sprache nur noch sprechen, wenn Studenten ihnen ein Aufnahmegerät unter die Nase halten. Mit ihrem Schreibstil, ihren Schilderungen der norddeutschen Lebensweise und Mentalität, hat Dörte Hansen mich von der ersten Seite an begeistert. Als Norddeutsche, wenn auch nicht als Inselkind, habe ich mich sofort mit den Protagonisten verbunden gefühlt. Neben der Familie Sander werden auch andere Inselbewohner vorgestellt. Besonders in Erinnerung geblieben, ist mir der Pastor, der sich nicht nur von seiner Frau, sondern auch von seinem Glauben getrennt hat. Dörte Hansen beleuchtet den Wandel einer Inselwelt, die Veränderung, die das Leben für alle mit sich bringt auf sehr ruhige Weise, norddeutsche Gelassenheit eben. Trotz der teils sehr melancholischen Stimmung, schimmert immer wieder Humor durch. Vielleicht nicht immer offensichtlich, aber wir Norddeutschen sind da ja auch etwas ruhiger, nech? Eine klare Leseempfehlung! Und liebe Touristen, ja genau so sehen wir euch, bitte nicht böse sein. Am Ende haben wir das Meer einfach am liebsten für uns allein.

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Phänomenal geschrieben! Wow!

Von: Kristall86 aus An der Nordseeküste

02.10.2022

Ich muss wirklich zugeben, es war erschreckend und faszinierend zugleich zu lesen was Dörte Hansen hier niedergeschrieben hat. Diese Frau schafft es so gekonnt mit ihren Protagonisten die Menschen an der See zu charakterisieren, das man nur so staunt. Wie ich darauf komme? Ich wohne hier direkt an der Nordseeküste, kenne die alten und neuen Geschichten, kenne das Wetter, kenne die See da sie lange Zeit mein Arbeitsplatz war und der meines Mannes. Die See formt sie Menschen und nicht umgedreht. Die See ist unberechenbar. In ihrem Buch „Zur See“ spricht Hansen in der dritten Person. Macht das Sinn? Und wie! Denn nur so bleibt eine gewisse Distanz zwischen uns Lesern und den Figuren erhalten die es auch braucht. Wenn wir alle Seelen in diesem Buch an unser Herz lassen würden, kämen wir bei den ganzen Geschichten nicht weit. Sie würden uns zu sehr belasten. Hansen erzählt von Ryckmer Sanders, seiner Mutter Hanne, seinem Vater Jens, Schwester Eske kommt darin vor und auch Bruder Henrik. Kurzum: die ganze Sanders-Familie wird hier beleuchtet, aber auch der Inselpfarrer kommt zu Wort und seine Frau und am Rande auch noch so einige andere Charaktere. Hansen erzählt uns aus deren Leben und was die See immer wieder damit zu tun hat. Jeder der Figuren hat seinen Seelenrucksack zu tragen, jeder hat sein Päckchen zu schleppen. Schlussendlich ist alles hausgemacht, außer das was die See anrichtet. Der gestrandete Wal ist einerseits Naturereignis aber auch eine Metapher zugleich. Keine Angst, religiös wird es nicht aber die Gedanken kommen einem beim lesen automatisch auch wenn man damit nichts am Hut hat. Unsere namenlose Nordseeinsel wird von Touristen belagert (auch das kenne ich nur zu gut, denn ich wohne selbst in einem Ferienort an der Küste) und schlussendlich ist es Fluch und Segen zugleich. Das Wasser schwemmt sie an und nimmt sie wieder mit wenn die Saison vorbei ist und die Insulaner wieder ihre Insel für sich haben. Sie leben davon aber wollen es eigentlich nicht. Trauriges Spiel welches heute leider ganz ernste Realität geworden ist. Wenn man die großen Inseln in Nord- und Ostsee ansieht, weiß man was Hansen hier im Buch damit meint. Vieles Altes geht und Neues kommt - nicht immer gut austariert. Es ist nicht alles Gold was glänzt und die alten Häuser und Geschichten über die Seefahrer und die Nachkommen bekommen eine gewisse blasse Note. Dörte Hansen verurteilt nicht in diesem Buch, sie fügt zusammen was zusammen gehört und was entstanden ist. All das ist Realität und keine Fiktion! Es gibt hier solche Typen wie Henrik oder Ryckmer! Wirklich! Ihre fein akzentuierten Erzählungen, ihre raue und kurz-angebundene Sprache zeigen perfekt, fast erschreckend perfekt, das Bild hier an der See auf. Es könnte überall spielen. Hier an der Nordseeküste, auf Sylt oder Rügen. Die Menschen sind so unberechenbar wie die See selbst aber sie hat immer noch die Überhand. Die See ist der rote Faden. Die Naturereignisse stellt Hansen ebenfalls als Metapher aber auch als eben jene Naturgewalt dar. Beides passt und ist stimmig, genau wie der Rest der Geschichte. Hier stimmt alles! Egal ob die Charaktere (Hansen muss ein feine Beobachtungsgabe haben diese so zu analysieren), die Örtlichkeit, die See selbst und die Geschichten hinter allem. Ja, ich war erschrocken über so manche Erzählung und Beschreibung. Hansen trifft ganz tief ins Mark und sagt das, was wir Bewohner der Küste hier nicht wirklich laut in die Welt hinaus posaunen würden - dafür sind wir zu still. Die Autorin poppelt hier in Wunden herum die weh tun, aber das muss manchmal sein. Egal, ob gewollt oder Nebeneffekt. Sie nennt Themen die eigentlich niemand gern hören will, die ein wenig schmerzen in den nordsichen Ohren aber es muss sein. Hansen streut Salz in die Wunden und zeigt dadurch das wahre Gesicht. Besser und eindrucksvoller hätte sie es nicht schreiben können.

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