Von:
Heide Föllner
aus Neckartenzlingen
06.10.2014
Jo Baker erzählt eine weltbekannte Geschichte aus anderer Perspektive. Welch mutiger und interessanter Ansatz! Nicht die Nöte und Wehwehchen der Bessergestellten bilden den Mittelpunkt, sondern die Sorgen derjenigen, die für Wohlstand und Wohlbehagen sorgen. Und da ich deren Leben eh viel spannender finde, als die Heiratssorgen verzogener Adelstöchter, ist es kein Wunder, dass ich Jo Bakers Roman vor dem „Original“ von Jane Austen gelesen habe (naja – eigentlich ist es ja eher eine Vorlage).
Wunderbar schnörkellos und ohne Kitsch erzählt Baker die Geschichte der Dienstboten. Wie lief ihr Alltag ab, welche Träume hatten sie, welche Sorgen drückten und welche Geheimnisse hatten sie. So schnörkellos, wie ihr Alltag eben war. Endet bei Austen die Szene, wenn sich der Dienstbote zurückzieht, beginnt sie bei Baker an dieser Stelle. Meldet sich Besuch an, wird bei Austen wohl erzählt, wie die Aufregung um Kleider und Frisuren unter den Damen des Hauses ausbricht. Baker schildert, wie die Herausforderung eines passenden Menüs in der Küche bewältigt wird. Und es soll keiner sagen, das Leben der Köchin, des Hausdieners oder des Dienstmädchens wäre eintönig oder gar stumpfsinnig gewesen. Auch sie träumen von einem guten Leben, genießen kleine Freuden mehr als die Herrschaften es vermögen und erleben täglich, dass man gemeinsam fast alles schaffen kann.
Das Ganze ist ein großes Lesevergnügen. Sarah und James sind wunderbare Charaktere. Die eine noch auf dem Weg, ihren Platz in der Welt zu finden und der andere schon mit vielen prägenden Erlebnissen und einer geheimnisvollen Vergangenheit, die sich nach und nach erschließt (auch wenn das Geheimnis seiner Herkunft doch schnell erahnt werden kann).
Einziger kleiner Wermutstropfen ist für mich das Ende, das relativ kurz erzählt wird. Hier hätte ich gern noch ein wenig mehr erfahren.
Ich vergebe 4,5 Sterne und werde nun wohl auch in absehbarer Zeit zu „Stolz und Vorurteil“ greifen.
Fazit:
Auch für Leser, die „Stolz und Vorurteil“ nicht kennen, ein wunderbarer Roman über das Leben im ausgehenden 18. Jahrhundert aus einem ganz anderen Blickwinkel. Absolut lesenswert!