Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezensionen zu
Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte

Mirijam Trunk

(7)
(5)
(1)
(1)
(1)
€ 22,00 [D] inkl. MwSt. | € 22,70 [A] | CHF 30,50* (* empf. VK-Preis)

"Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte" von Mirijam Trunk ist ein liberalfeministischer Karriereratgeber. Zum besseren Verständnis ganz knapp: WTF ist eigentlich Liberalismus? Liberalismus hat eine politische, soziale und/oder ökonomische Dimension. Das zu unterscheiden ist wichtig, denn es muss nicht immer alles zusammenkommen. Außerdem kann die Beurteilung der verschiedenen Dimensionen unterschiedlich sein: Während ich sozialliberale Freiheiten für eine wichtige Errungenschaft halte, bin ich von ökonomischem Liberalismus nicht sonderlich überzeugt. Was Liberalismen grundsätzlich vereint: Der Fokus aufs Individuum. Auch das ist zunächst eine Errungenschaft, da der zu starke Fokus aufs Kollektiv individuelle Rechte gefährden kann. Liberalfeminismus ist also ein Feminismus mit Fokus aufs Individuum – und damit verbunden fokussiert er v.a. auf individuelle Veränderung und strebt, im Gegensatz zu bspw. materialistischen Feminismen, nicht nach einem kompletten Systemwandel. Liberalfeminismus nicht schlecht sein, denn Themen wie Selbstbestimmung, Bildungsgerechtigkeit usw. sind wichtig und individuelle bürgerliche Rechte ermöglichen es Frauen bspw. erst, sich durch Scheidung aus gewaltvollen Beziehungen zu befreien. Deshalb geht es mir an dieser Stelle nicht darum, das Buch in Grund und Boden zu diskutieren, nur weil es liberalfeministisch ist. Mirijam Trunk ist 32, wurde mit 27 Geschäftsführerin eines Bertelsmann-Unternehmens und ist mittlerweile in der obersten RTL-Führungsetage angekommen. In ihrem Buch spricht sie mit bekannten Frauen der deutschen Öffentlichkeit, darunter Alice Hasters, Louisa Dellert, Tupoka Ogette, Tessa Ganserer. Frauen, die es geschafft haben, sichtbar zu werden, egal ob in Wirtschaft, Politik oder Kultur. Im Buch geht es einerseits darum, herauszuarbeiten warum Berufschancen ungleich sind, d.h. warum Frauen, Queers, BIPoC etc. benachteiligt sind, und andererseits darum, den Leser*innen mögliche Gegenstrategien zu präsentieren. Trunk bindet viele Statistiken ein, um ihre Argumentation zu fundieren und was mir sehr gefiel: Sie webt die Gespräche mit ihren Interviewpartnerinnen in thematisch untergliederte Kapitel ein, statt Interview an Interview zu reihen. Es geht um die Macht von Sprache, die Wirkmächtigkeit von Traditionen und Klischees, Stärke durch Zusammenschluss bspw. in Netzwerken und darum, zu handeln. Trunk betont die Wichtigkeit, Misogynie oder Rassismus im Arbeitsumfeld auch dann anzusprechen, wenn es unbequem ist, und sich von dem Ziel zu verabschieden, von allen gemocht zu werden. Sie geht auf das Impostor-Syndrom und die Problematik ein, dass Frauen im Arbeitskontext oft Hilfstätigkeiten verrichten (bspw. Geschenke für die Kollegin organisieren), die von Männern in der gleichen Position nicht verlangt werden. Das koste Zeit und Kraft, die man in die eigene Karriere investieren könne – und sich aktiv um die eigene Karriere zu kümmern, sei vor allem wichtig, um top down das System zu verändern, also bspw. mehr Diversität in Unternehmen zu erreichen – Stichwort netzwerken, Mentoring, Vorbild sein. Dass das Buch liberalfeministisch ist, heißt nicht, dass es systemische Ursachen ausblendet. Ganz im Gegenteil werden Ungleichheiten und sogar Kapitalismus offen kritisiert. Liberalfeministisch ist das Buch, weil Strukturen nur bei den Ursachen eine Rolle spielen, nicht aber bei den Lösungen. Denn die Lösung, um die Strukturen zu verändern, liegt in der individuellen Frau, die durch noch mehr Leistung als das cismännliche Äquivalent in eine Erfolgsposition gelangt, von der aus sie das Unternehmen oder gar die öffentliche Wahrnehmung verändern kann. Es ist gut, dass Trunk dabei Selbstkritik übt, etwa immer wieder ihre eigene Herkunft aus einer wohlhabenden bayrischen Familie reflektiert oder die Tendenz, sich als Teamleiterin auch unbewusst trotzdem mit ähnlichen Personen zu umgeben, weil das kontrollierbarer sei. Das Problem besteht bei diesem Buch darin, dass eine Komponente von Diversität – wie es für Liberalfeminismus typisch ist – komplett ausgeblendet wird, nämlich Schicht bzw. Klasse. Denn selbst die Women of Color, die interviewt werden und schlechtere Startbedingungen hatten, alle in diesem Buch versammelten Frauen eint, dass sie mittlerweile ökonomisch ganz gut dastehen. Entweder, weil sie günstige Startbedingungen hatten, oder weil sie wirkliche Ausnahmen sind, die die Regel bestätigen. Sie alle mussten mehr leisten als die meisten Männer in der gleichen Position, aber egal ob weiß oder WoC, cis oder trans: sie sind ökonomisch unabhängig und wie so oft suggeriert auch dieses Buch eben genau das: finanzieller Erfolg = weibliche Unabhängigkeit= Macht, Dinge zu verändern. Nur: Die Veränderung liegt damit noch immer in den Händen Einzelner, die es geschafft haben. Es geht um Karriere, und damit spricht das Buch eine junge, gebildete, urbane Zielgruppe an, die bereits einige Vorteile hat: Sie bringt mindestens soziales und kulturelles Kapital mit, häufig auch ökonomisches, und sie kann sich den Aufstieg leisten.   Daher lautet mein Fazit: Das Buch eignet sich vor allem für junge Frauen am Anfang ihrer Karriere, die systemische Fallen umgehen wollen und sich bereits in einer Situation befinden, in der so etwas wie eine Karriere möglich ist – die aber sichergehen wollen, auch wirklich weit zu kommen. Es hat auch gesellschaftskritische Momente und viele Konzepte werden gut und bündig erklärt. Außerdem ist es durchaus sinnvoll, mal so ein Buch zu lesen, um die Logik dahinter zu verstehen. Wie viele der Tipps man davon übernimmt, ist eine andere Frage.

Lesen Sie weiter

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.