"Vor dem mächtigen Kölner Dom steht eine Schildkröte mit einem Schild. Nicht ein Schild im Sinne von Schildpanzer, sondern ein pappiges Pappplakat, das an einem Ast wackelt." Selten fesseln mich die ersten Sätze eines Romans direkt. Maria Keim schafft es in "Was Schildkröten im Schilde führen". Liegt es an den gewählten Worten, der skurrilen Situation oder ist es der Tatsache geschuldet, dass ich gerade an diesem Kölner Dom in den ICE steige, als ich mein Hörbuch starte? Bestimmt ein Bisschen von allem. Die über fünf Stunden Lesezeit vergehen im Zug wie im Fluge. Fesselnd sind sowohl der Inhalt als auch die Stimmen von Nelli Thalbach als "Marlin" und ihrer Oma Katharina Thalbach als Schildkröte (die natürlich keinen Namen hat - sie ist ja kein Mensch!) und alle anderen Charaktere. Großes (Kopf)Kino! Schon der Text auf dem Schild („Wechselwarmes Kriechtier sucht einsigartige Wohngemeinschaft mit möglichst kleinem ökologischen Fußabdruck“) gibt einen Vorgeschmack darauf, was den Zuhörer erwartet: eine vorlaute und besserwisserische („einsigartig“ ist kein Schreibfehler, sondern Programm) Schildkröte mit ökologischem Tiefgang. Ähnlichkeiten zu einem sprechenden sozialistischen Känguru in den Känguru-Chroniken sind nicht von der Hand zu weisen. Die Schildkröte erhält sich jedoch trotz ihrer dauerhaften Mahnungen ihre Niedlichkeit. Das Irreale eines sprechenden umweltaktivistischen Reptils gerät schnell in Vergessenheit und wird als Normalität mitgeschleppt, vielleicht auch deshalb, weil die Handlung trägt. Die Schildkröte hört nie auf, mahnend zu sein, egal ob gegenüber Marlin, Oma, dem überlasteten Vater Marlins, ihrer Biologielehrerin oder den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft „Schildschüler“. Häufig hat man das Gefühl, dass man sich schon viele Gedanken gemacht hat und bekommt noch weitere Aspekte genannt. Der Roman regt zum Nachdenken über das eigene ökologische Verhalten an, wirkt aber nie belehrend. So bin ich aber doch froh, das unterhaltsame Buch nicht im Auto, sondern in der mit Ökostrom betriebenen Bahn zu hören… .
