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Rezensionen zu
Lenin auf Schalke

Gregor Sander

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Roald Amundsen erreichte als erster Mensch den Südpol, Amelia Earhart flog allein über den Atlantik und Reinhold Messner bestieg alle Achttausender der Erde. In diese Reihe mutiger Reisender können wir nun mit Fug und Recht Gregor Sander stellen, denn er war an einem Ort, den niemand aus freien Stücken aufsucht: Gelsenkirchen – der »Osten des Westens«, die Stadt Deutschlands mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen und der größten Arbeitslosenquote, eine seit der Stilllegung der letzten Bergbauzechen vernachlässigte, geradezu moribunde Stadt. An diesen trostlosen Ort zog es den Autor aus dem hippen Berlin – und damit wir nicht selbst dort hinfahren müssen, hat er mit LENIN AUF SCHALKE ein Buch über seine Reise geschrieben. . Spaß beiseite: Arbeitslosigkeit, ärmere Viertel und soziale Brennpunkte gibt es in jeder Großstadt, das weiß Sander – besonders als Berliner – natürlich auch. Der Grund für seine Reise lag auch nicht in makabrem Elendstourismus, sondern eher in der Erkenntnis, dass in der Literatur immer nur auf die neuen Bundesländer geblickt wird, und zwar meistens von westdeutschen Autorinnen und Autoren. Neonazis leben alle in Sachsen, Dorfromane spielen in Brandenburg und an der Ostsee laufen alle nackt herum. Beispiele für die Gegensicht gibt es wenig bis gar nicht; diesen Spieß wollte Sander umdrehen. Ziel der Reise sollte eine Stadt sein, in der er vorher noch nicht gewesen war und die im kulturellen Kanon noch nicht allzu sehr beschrieben wurde. Gelsenkirchen – Schlusslicht in vielen Statistiken, nicht nur in der Bundesliga –, war schnell auserkoren. . Sander fährt also ins Ruhrgebiet, wohnt in einer dieser alten Zechenkolonien in Ückendorf und wandert wochenlang durch die einstige »Stadt der tausend Feuer«. Wir begleiten ihn auf seiner Spurensuche durch die Viertel, lauschen den vielen Gesprächen mit Einwohnern und Personen aus Politik und Stadtverwaltung, sowie seinen Gedanken zur urbanen Architektur und werden sogar Zeuge der Einweihung einer Leninstatue im Vorgarten der MLPD-Parteizentrale. Das alles liest sich locker von der Hand; Sander schreibt Sätze, die vor lauter Witz und Ironie wahrlich funkeln. Dennoch verliert er – bei allem Spaß, den ihm das Schreiben zweifellos gemacht hat – nie den Kern des Themas aus den Augen: Was gibt es über diese Stadt zu erzählen? Wo verstecken sich die guten Geschichten? . Interessant ist auch die Genrezugehörigkeit des Buches. Für einen Roman ist es zu journalistisch, für einen bloßen Reisebericht stilistisch zu verspielt. Gregor Sander jongliert mit vielen Metaebenen, lässt seinen Ich-Erzähler beispielsweise bei der Zonen-Gaby wohnen oder mit imaginären Bekannten sprechen – besonders in solchen Szenen zeigt der Autor seine ganze Kunstfertigkeit. Natürlich ist vieles in dem Buch ein Spiel mit Klischees, einiges ist übertrieben, manches traurige Realität. Hoch anzurechnen ist Sander aber, dass er niemanden in Gelsenkirchen vorführen will. Nach anfänglicher Skepsis der Stadt gegenüber und den ersten – wie immer Vorurteile bestätigenden – Erlebnissen, kommen auch die schönen Seiten zum Vorschein: die altehrwürdigen Trinkhallen, die glorifizierenden Erinnerungen an die Zeit des Wirtschaftswunders und – natürlich! – die grenzenlose Liebe zum FC Schalke 04. Man kann sich bei LENIN AUF SCHALKE gleichermaßen amüsieren wie informieren, am Ende geht man mit einem versöhnlichen Gefühl aus der Lektüre, eine Stadt besser zu kennen als zuvor. Eine große Leseempfehlung meinerseits, nicht nur für Ostdeutsche. . Übrigens: Ich hatte die große Freude, Gregor Sanders Lesung am 20. Oktober in der Rostocker Hugendubel-Filiale zu moderieren. Wie auf dem Foto zu sehen ist, ging es auch um die Frage, ob Krombacher oder Veltins die bessere Wahl ist. Wir kamen nach der Lesung zu dem Schluss, dass keines der Biere einen lebensverändernden Genuss darstellen. Lieber Gregor, falls Du das hier liest: Der Abend war mir ein Fest!

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Wissen Sie welche Stadt gemeint ist, wenn es da heißt: „Stadt der tausend Feuer“? Wenn man dieser Frage nachschiebt, dass man auch gut und gerne „Stadt der tausend Kneipen“ sagen könnte heute, dann lichtet sich das Dunkel und wir sind angekommen. Ganz unten. In einer Stadt, die es schafft alle Ranglisten anzuführen: Ärmste Stadt Deutschland, Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit und dem geringstes Pro-Kopf-Einkommen Deutschland. Gewonnen hat diese Titel: Gelsenkirchen. Einst der glorreiche Ort der Kohle, die alle Lampen der BRD zum glühen brachte, heute im Abstiegskampf und das nicht nur beim identitätsstiftenden Schalke. Der Schweriner Autor Gregor Sander machte sich also auf in die tiefste westdeutsche Provinz, nahm viele Skurrilität, Begegnungen und Orte auf und schrieb dann diese fiktive (!) Erkundungsreise. Der Autor war vor Ort und natürlich ist es ein Abbild des Erlebten, aber eben kein dokumentarisches erzählen. Er gibt uns den Ossi-Blick auf den marodesten Ort Deutschland im Westen. Sander erkennt dort ungute Strukturen wie den Rechtsruck in der Gesellschaft und das Gefühl abgehängt zu sein, aber auch den unendlichen Lokalpatriotismus, die Liebe zur Heimat, die man von außen nur auf den 2. Blick verstehen kann, denn die Menschen sind voller sympathischer Selbstironie und überschätzen sich keineswegs. Das Buch ist stellenweise witzig, aber hat immer den notwenigen Ernst, die Lage zu erkennen und zu reflektieren. Aus der sanierten Ost-Sicht auf einen Fleck Deutschland im Westen zu schauen, macht das ganze besonders spannend. Der Blick ist unverstellt, ohne Vorurteile und immer sinnierend. Schön auch, dass der Dialekt durchklingt (sicher ein Vorteil, wenn man das Hörbuch zum Buch genießt!) Fazit: Trauen Sie sich erst mit diesem Stück Literatur Gelsenkirchen zu nähern, um dann im zweiten Schritt den Ommas, den Schalke-Fans und den Malochern selbst zu begegnen. Sehr gelungenes Buch!

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Als gebürtiger Schweriner kennt er den Osten, hat auch schon darüber geschrieben, aber jetzt sollte sich der Autor Gregor Sander mal im Westen umschauen. Denkt zumindest sein Kumpel Schlüppi und empfiehlt ihm Gelsenkirchen. Der Osten im Westen, die ehemalige Kohlestadt im Ruhrgebiet, die sämtliche Negativ-Rankings anführt. Ärmste Stadt Deutschlands, höchste Arbeitslosigkeit, niedrigstes Pro-Kopf-Einkommen. Wo die Touristenattraktionen aus Abraumhalden, alten Zechenhäusern und einer Lenin-Statue bestehen. Unterkunft findet Sander bei Schlüppis Cousine Zonengabi (ihr erinnert euch an das Titanic Titelbild?), die mit ihrem Freund Ömer ein Bergmannshäuschen im Flöz Dickebank bewohnt, und noch immer mit Auftritten bei Vereinsfeiern etc. das Ossi-Klischee bedient, mit dem sie bekannt wurde, und davon offenbar mehr schlecht als recht leben kann. Ömer hat die Trinkhalle, das Büdchen, seines Vaters geerbt. Keine Goldgrube, aber man kommt über die Runden. Allein oder mit diesen beiden, später auch mit Schlüppi, stromert er durch die Viertel, steht mit den arbeitslosen bergleuten Biere kippend am Tresen, versucht die Seele Gelsenkirchens jenseits von Buer (dem wohlhabenden Stadtteil) zu ergründen. Taucht ein in die Armut und Tristesse jenseits der Ruhrgebietsromantik, zeigt die Verwerfungen und Brüche auf, entdeckt aber auch die Heimatverbundenheit der Zurückgebliebenen. Nie voyeuristisch, nie überheblich, jederzeit mit dem gebotenen Respekt und Empathie. Herausgekommen ist dabei eine Sozialreportage über den Niedergang eines Ortes und die Auswirkungen auf dessen Bewohner, ein unsentimentaler Blick auf deren Leben. Aber gleichzeitig ermöglicht uns Sander auch Einblicke in die ostdeutsche Seele, nicht nur der Nach- sondern auch der Vorwendezeit. „Lenin auf Schalke“ zeigt, es müssen nicht die Ozarks, West-Virginia oder Detroit sein. Wer sehen will, wie sich geschlossene Zechen und/oder das Abwandern der Industrie und damit der Wegfall von Arbeitsplätzen auf die Menschen auswirkt, denen damit die Lebensgrundlage entzogen wird, muss nur nach Gelsenkirchen schauen.

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