Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Lenin auf Schalke

Gregor Sander | LENIN AUF SCHALKE

Von: Bookster HRO
04.11.2022

Roald Amundsen erreichte als erster Mensch den Südpol, Amelia Earhart flog allein über den Atlantik und Reinhold Messner bestieg alle Achttausender der Erde. In diese Reihe mutiger Reisender können wir nun mit Fug und Recht Gregor Sander stellen, denn er war an einem Ort, den niemand aus freien Stücken aufsucht: Gelsenkirchen – der »Osten des Westens«, die Stadt Deutschlands mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen und der größten Arbeitslosenquote, eine seit der Stilllegung der letzten Bergbauzechen vernachlässigte, geradezu moribunde Stadt. An diesen trostlosen Ort zog es den Autor aus dem hippen Berlin – und damit wir nicht selbst dort hinfahren müssen, hat er mit LENIN AUF SCHALKE ein Buch über seine Reise geschrieben. . Spaß beiseite: Arbeitslosigkeit, ärmere Viertel und soziale Brennpunkte gibt es in jeder Großstadt, das weiß Sander – besonders als Berliner – natürlich auch. Der Grund für seine Reise lag auch nicht in makabrem Elendstourismus, sondern eher in der Erkenntnis, dass in der Literatur immer nur auf die neuen Bundesländer geblickt wird, und zwar meistens von westdeutschen Autorinnen und Autoren. Neonazis leben alle in Sachsen, Dorfromane spielen in Brandenburg und an der Ostsee laufen alle nackt herum. Beispiele für die Gegensicht gibt es wenig bis gar nicht; diesen Spieß wollte Sander umdrehen. Ziel der Reise sollte eine Stadt sein, in der er vorher noch nicht gewesen war und die im kulturellen Kanon noch nicht allzu sehr beschrieben wurde. Gelsenkirchen – Schlusslicht in vielen Statistiken, nicht nur in der Bundesliga –, war schnell auserkoren. . Sander fährt also ins Ruhrgebiet, wohnt in einer dieser alten Zechenkolonien in Ückendorf und wandert wochenlang durch die einstige »Stadt der tausend Feuer«. Wir begleiten ihn auf seiner Spurensuche durch die Viertel, lauschen den vielen Gesprächen mit Einwohnern und Personen aus Politik und Stadtverwaltung, sowie seinen Gedanken zur urbanen Architektur und werden sogar Zeuge der Einweihung einer Leninstatue im Vorgarten der MLPD-Parteizentrale. Das alles liest sich locker von der Hand; Sander schreibt Sätze, die vor lauter Witz und Ironie wahrlich funkeln. Dennoch verliert er – bei allem Spaß, den ihm das Schreiben zweifellos gemacht hat – nie den Kern des Themas aus den Augen: Was gibt es über diese Stadt zu erzählen? Wo verstecken sich die guten Geschichten? . Interessant ist auch die Genrezugehörigkeit des Buches. Für einen Roman ist es zu journalistisch, für einen bloßen Reisebericht stilistisch zu verspielt. Gregor Sander jongliert mit vielen Metaebenen, lässt seinen Ich-Erzähler beispielsweise bei der Zonen-Gaby wohnen oder mit imaginären Bekannten sprechen – besonders in solchen Szenen zeigt der Autor seine ganze Kunstfertigkeit. Natürlich ist vieles in dem Buch ein Spiel mit Klischees, einiges ist übertrieben, manches traurige Realität. Hoch anzurechnen ist Sander aber, dass er niemanden in Gelsenkirchen vorführen will. Nach anfänglicher Skepsis der Stadt gegenüber und den ersten – wie immer Vorurteile bestätigenden – Erlebnissen, kommen auch die schönen Seiten zum Vorschein: die altehrwürdigen Trinkhallen, die glorifizierenden Erinnerungen an die Zeit des Wirtschaftswunders und – natürlich! – die grenzenlose Liebe zum FC Schalke 04. Man kann sich bei LENIN AUF SCHALKE gleichermaßen amüsieren wie informieren, am Ende geht man mit einem versöhnlichen Gefühl aus der Lektüre, eine Stadt besser zu kennen als zuvor. Eine große Leseempfehlung meinerseits, nicht nur für Ostdeutsche. . Übrigens: Ich hatte die große Freude, Gregor Sanders Lesung am 20. Oktober in der Rostocker Hugendubel-Filiale zu moderieren. Wie auf dem Foto zu sehen ist, ging es auch um die Frage, ob Krombacher oder Veltins die bessere Wahl ist. Wir kamen nach der Lesung zu dem Schluss, dass keines der Biere einen lebensverändernden Genuss darstellen. Lieber Gregor, falls Du das hier liest: Der Abend war mir ein Fest!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.