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Rezensionen zu
Lenin auf Schalke

Gregor Sander

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Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erleben, sagt die Mundart und setzt zum nächsten Schluck aus abgestandener Pulle an. Sander und seine Kumpanen stehen unter dem Hochbahnviadukt. Bei Konnopke stehen sie und essen und Schlüppi meint, Sander, du musst rüber. Du müsst rüber und über den Westen schreiben. Seit 30 Jahren kommentiert der Westen über den Osten und nie schreibt der Osten über den Westen. Du musst in den Osten des Westens. Kannst bei Gabi schlafen. Weißt schon, Zonengabi im Glück. Sie stoßen an. Besiegelt ist besiegelt. Als Sander wenige Tage später am Ostbahnhof in den ICE einsteigt – nach Hauptbahnhof fahre ich nicht! – gibt Schlüppi ihm noch Proviant für die gute Stimmung auf beschwerlicher Reise mit. Vier Biere aus der Ruhr-Region zur inneren Verbundenheit. Was willst du auch machen mit 17, 18 in Gelsenkirchen – frei nach Rainald Grebe. Gelsenkirchen. Und es hallt nach in den untergegangenen Hochöfen der Bonner Republik. Während Sander den Ausgang sucht, steht Zonengabi im Glück und winkt. Ganz schön gelegen wohnen Gabi und Ömer in Flöz Diekebank. Alte Zechensiedlung in Ückendorf. Nach langer Fahrt ein kurzer Spaziergang zum Skulpturenpark Rheinelbe und Sander denkt an Schlüppis Worte. Was soll ich machen, wenn das große Mitleid kommt? Denk an die Treuhand! „Man müsse den freien Platz nutzen, um Einfamilienhaussiedlungen zu bauen […] Außerdem sollte die Stadt wegen des guten Autobahnanschlusses noch mehr Logistikunternehmen anwerben. Das klingt so traurig, als würde er mir erzählen, dass Gelsenkirchen zukünftig vom Flaschensammeln leben muss. Treuhand, Treuhand, Treuhand!“ (S. 80) Gregor Sander erlebt eine Menge auf seiner Reise in den Pott ohne Ruß und Kohle. Über ausgewählte Episoden seiner Expedition schreibt der Autor und Ich-Erzähler in seinem Reisebericht ‚Lenin auf Schalke‘, der zugleich Sozialstudie und innerdeutsche Nabelschau ist. Die 186 großzügig bedruckten Seiten sind der liebevolle und ungeschönte Blick auf den Strukturwandel á la NRW. Armut über Armut in der ärmsten Stadt Deutschlands, nachzulesen in elf Kapiteln mit viel Humor, ohne selbstgerecht den erhobenen Zeigefinger nach Düsseldorf und Berlin zu richten. ‚Lenin auf Schalke‘ macht Spaß, wenn man dort nicht leben muss. Dabei leuchtet Gregor Sander jene Schattenwelten aus, die das Feuilleton lieber in HoyWo und HaNeu bespricht. Sanders Soziogramm ist facettenreich ehrlich – gemein jedoch nie. Darin liegt die Stärke seines Buches über den Osten im Westen, das sich so schnell wegliest, wie Zigaretten im kalten Ostwind verglühen.

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Die Betrachtung geht immer nur von Westen nach Osten. Zeit dies zu ändern, findet Schlüppi und schickt seinen Kumpel in den Westen. Aber nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo es weh tut, nach Gelsenkirchen. Aus der „Stadt der tausend Feuer“ ist mittlerweile eine arme Stadt geworden. Arbeitslosigkeit prägt das Stadtbild. Wie viel Osten gibt es so tief im Westen zu entdecken? Auf diese Spurensuche begibt sich Gregor Sander mit „Lenin auf Schalke“. Was sich so lustig anhört, ist auch humorvoll geschrieben. Allerdings ist der ernste Hintergrund durchaus zu lesen und Sander nähert sich dem „Pott“ bzw. Gelsenkirchen so, dass bei allem Spaß am Wort der Respekt vor den Menschen und der Lage vor Ort bleibt. Er beschreibt in „Lenin auf Schalke“ viele Klischees, aber sowohl im Osten als auch im Westen und trifft in meinen Augen genau den richtigen Ton, um sich dem Thema anzunähern. Denn die Menschen im Ruhrgebiet sind hart im Nehmen und immer für einen guten Spruch zu haben. Den Spieß einmal umzudrehen und zu schauen, wie der Westen mit Strukturwandel umgeht, ist eine gute Idee, denn in der Tat werden solche Reportagen nur über Oststädte, die schon deutlich bessere Tage gesehen haben, geschrieben. Aber es gibt diese Städte auch im Westen der Republik und vergleichbare Entwicklungen. Es werden Zeiten verherrlicht, die zwar im wirklichen und im übertragenen Sinne viel Kohle gebracht haben, aber gar nicht immer so herrlich waren. Denn, wenn man sein Leben in einer Zeche verbracht hat, war man mit Eintritt ins Rentenalter nicht mehr topfit. Als Schlüppi dann nach Gelsenkirchen kommt, nimmt die ganze Geschichte noch einmal Fahrt auf und nach den vorher eher sachlichen Recherchearbeiten geht ans Eingemachte und in die Kneipen bzw. nicht. Wenn der eine Teil des Gelsenkirchner Herzens aus Kohle besteht, ist der andere Teil der dort ansässige Fußballverein, Schalke 04. Auch hier nähert sich Gregor Sander mit Respekt und Ironie und passenderweise geht es auf „Das Schalke-Fan-Feld“ (dies sind 1904 Grabstätten). Gregor Sander findet die Stellen, an denen es weh tut, die traurig sind und gleichzeitig nicht ohne eine gewisse Ironie betrachtet werden können. So ist der Schalker Markt, auf dem alles begann mit dem großen S04, heute eine Parkplatz. Ömer ist natürlich stolzer Büdchenbesitzer, denn das Ruhrgebiet ohne Büdchen geht nicht. Auch die Ostseite in ihm kommt nicht zu kurz und so ist es bei allem Witz und aller Ironie ein Buch über Identität. „Lenin auf Schalke“ ist ein kurzweiliges Buch, sehr gut und unterhaltsam geschrieben und es bringt den Osten und den Westen ein wenig näher zusammen, denn so weit sind wir gar nicht voneinander entfernt.

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