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Rezension zu
Lenin auf Schalke

Ohne Ruß und Kohle

Von: Michael Kuhl
01.11.2022

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erleben, sagt die Mundart und setzt zum nächsten Schluck aus abgestandener Pulle an. Sander und seine Kumpanen stehen unter dem Hochbahnviadukt. Bei Konnopke stehen sie und essen und Schlüppi meint, Sander, du musst rüber. Du müsst rüber und über den Westen schreiben. Seit 30 Jahren kommentiert der Westen über den Osten und nie schreibt der Osten über den Westen. Du musst in den Osten des Westens. Kannst bei Gabi schlafen. Weißt schon, Zonengabi im Glück. Sie stoßen an. Besiegelt ist besiegelt. Als Sander wenige Tage später am Ostbahnhof in den ICE einsteigt – nach Hauptbahnhof fahre ich nicht! – gibt Schlüppi ihm noch Proviant für die gute Stimmung auf beschwerlicher Reise mit. Vier Biere aus der Ruhr-Region zur inneren Verbundenheit. Was willst du auch machen mit 17, 18 in Gelsenkirchen – frei nach Rainald Grebe. Gelsenkirchen. Und es hallt nach in den untergegangenen Hochöfen der Bonner Republik. Während Sander den Ausgang sucht, steht Zonengabi im Glück und winkt. Ganz schön gelegen wohnen Gabi und Ömer in Flöz Diekebank. Alte Zechensiedlung in Ückendorf. Nach langer Fahrt ein kurzer Spaziergang zum Skulpturenpark Rheinelbe und Sander denkt an Schlüppis Worte. Was soll ich machen, wenn das große Mitleid kommt? Denk an die Treuhand! „Man müsse den freien Platz nutzen, um Einfamilienhaussiedlungen zu bauen […] Außerdem sollte die Stadt wegen des guten Autobahnanschlusses noch mehr Logistikunternehmen anwerben. Das klingt so traurig, als würde er mir erzählen, dass Gelsenkirchen zukünftig vom Flaschensammeln leben muss. Treuhand, Treuhand, Treuhand!“ (S. 80) Gregor Sander erlebt eine Menge auf seiner Reise in den Pott ohne Ruß und Kohle. Über ausgewählte Episoden seiner Expedition schreibt der Autor und Ich-Erzähler in seinem Reisebericht ‚Lenin auf Schalke‘, der zugleich Sozialstudie und innerdeutsche Nabelschau ist. Die 186 großzügig bedruckten Seiten sind der liebevolle und ungeschönte Blick auf den Strukturwandel á la NRW. Armut über Armut in der ärmsten Stadt Deutschlands, nachzulesen in elf Kapiteln mit viel Humor, ohne selbstgerecht den erhobenen Zeigefinger nach Düsseldorf und Berlin zu richten. ‚Lenin auf Schalke‘ macht Spaß, wenn man dort nicht leben muss. Dabei leuchtet Gregor Sander jene Schattenwelten aus, die das Feuilleton lieber in HoyWo und HaNeu bespricht. Sanders Soziogramm ist facettenreich ehrlich – gemein jedoch nie. Darin liegt die Stärke seines Buches über den Osten im Westen, das sich so schnell wegliest, wie Zigaretten im kalten Ostwind verglühen.

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