Buchhandlung Jost GmbH
Von:
Tobias Wrany
aus Bonn
10.05.2020
Natürlich ist Sue Monk Kidd ein Risiko eingegangen, sich belletristisch an der zentralen Geschichte des christlichen Glaubens zu versuchen und dabei sehr viele, freie, eigene Gedanken einzubringen, insbesondere schon im Grundsätzlichen, was ihre Hauptfigur angeht. Rein literarisch betrachtet kann eingewendet werden, dass sie im ersten Drittel gewisse, ihr wichtigen Punkte eine Spur überdeutlich heraushebt, da fühlt sich ein geistig wacher Leser eventuell zu belehrt. Aber zum Glück legt sich das auch wieder und Sue Monk Kidd erzählt ebenso lebendig, mit viel authentischen Details der damaligen Zeit, was ein ausgesprochen dicht gewebtes Panorama der Hintergründe ergibt, wobei diese innere Glaubwürdigkeit auch für alle ihre Personen gilt. Und sieht man das Ganze nicht aus einem in irgendeiner Form dogmatischen Blickwinkel, sondern neutral und entspannt, ist festzustellen, dass sie den Grundlagen der bekannten biblischen Vorgaben in Sinn und Intention stets ihren respektvollen Tribut zollt und doch ihre ganz eigene Note beizufügen weiß. Und sucht man nach Vergleichstiteln, welche ein ähnliches Lesegefühl erzeugen, fällt auf jeden Fall auch Madeline Millers "Ich bin Circe" ein - wenngleich von gänzlich anderer mythologischer Herkunft.