»Ganz Gewöhnliche Monster« von J.M. Miro (Band 1 der Talents Trilogy) war eines meiner meistersehnten Bücher 2022. Gleichzeitig hatte ich Angst vor der Geschichte: die Erwartungen zu hoch, die Hoffnungen enttäuscht – wir kennen das alle. Da schiebe ich Geschichten auch gerne einmal auf.
Doch das Buch konnte mich bereits von der ersten Seite an überzeugen.
Wir befinden uns zu Beginn im Jahr 1874. Dem Jahr, in dem Marlows Geschichte seinen Lauf nimmt. Denn letztendlich handelt das ganze Buch von ihm, den leuchtenden Jungen, ohne dazu die Geschichte aus seiner Sicht zu erzählen.
Als Baby landet Marlow in der Obhut einer flüchtigen Dienstmagd, die ihn, gefunden in einem fahrenden Zug, wie ihren Sohn großzieht. Doch um flüchtig zu bleiben, muss man unterwegs sein – und so lässt Eliza, die ehemalige Magd, Marlow zu dessen Sicherheit zurück. In den Händen ihrer Freundin Brynt.
Brynt, die mit ihren zwei Metern, ihren Muskeln und dem langen grauen Zopf eine ungewöhnliche Erscheinung ist – und Amerikanerin noch dazu -, nimmt Marlow mit sich in die Vereinigten Staaten. Bis er in die Obhut seiner eigentlichen Eltern zurückkehren soll.
Zusammen mit der Detektivin Alice Quicke reist Marlow zurück nach Schottland: in das Cairndale-Institut. Ein Heim, das für Kinder wie ihn erbaut wurde. Für Menschen, die etwas besonders können, die etwas besonderes sind.
Für Talente.
Doch es gab einen Grund, weshalb Marlow in einem Zug versteckt war, der ihn weit fortbringen sollte.
Denn es ist jemand auf der Suche nach ihm. Jemand gefährliches.
Die Geschichte wird abwechselnd aus mehreren Perspektiven erzählt und springt auch häufig stark in der Zeit. Aufmerksames Lesen ist da eindeutig vorausgesetzt. Gleichzeitig ist der Schreibstil sehr einfach gehalten, die Sätze kurz – wodurch man schnell durch die Seiten fliegt. Ich persönlich bevorzuge zwar oft, besonders in historisch angelegten Romanen, eine blumigere Sprache (wer Jonathan Strange & Mr. Norrell gelesen hat, weiß was lange Sätze sind), aber das sind persönliche Referenzen.
Wir folgen hauptsächlich einem jungen Mann namens Charlie, der – aufgewachsen in Amerika – in Cairndale landet, einem Mädchen namens Komako, die in Tokyo aufgefunden wurde, sowie der Detektivin Alice Quicke, dem Antagonisten Jacob Marber und Mrs Harrogate, die eine Art Verwalterin für die Angelegenheiten des Instituts ist. Dadurch, dass die Protagonisten zu einem großen Teil Erwachsene sind, hat man nie das Gefühl, ein Jugendbuch zu lesen (eine Befürchtung, die zum Glück zerstreut wurde). Es ist düster und teilweise sehr brutal.
Die verschiedenen Kräfte, die die Talente haben, fand ich allesamt großartig. Seien es Charlies Heilkräfte oder das Staublenken (das besonders), das Komako beherrscht – es war abwechslungsreich und ungewöhnlich. Und auch, wenn man das ein oder andere bereits aus Die Insel der besonderen Kinder kennt (eine Reihe, die ich im Übrigen wahnsinnig gern mochte), hat man trotzdem nie das Gefühl, eine ähnliche Geschichte zu lesen.
Ein wunderbares Buch, das zwar mit einem Cliffhanger endet, einen aber nicht völlig aufgelöst zurücklässt. Besonders für Leser, die, wie ich, eine Schwäche für historische Fantasy haben, eine absolute Empfehlung.