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Rezensionen zu
Töchter Haitis

Marie Vieux-Chauvet

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Haiti ist ein Land, das mich literarisch schon eine Weile begleitet, allerdings habe ich bisher eher zeitgenössische Autor*innen gelesen. Deshalb war ich umso gespannter auf diesen Klassiker der haitianischen Literatur. Marie Vieux-Chauvet wurde 1916 in Port-au-Prince geboren, „Töchter Haitis“ war ihr erster Roman, der 1954 erschien. Er spielt in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in ihrer Geburtsstadt und handelt von den damaligen politischen Ereignissen sowie den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit. Mittelpunkt der Geschichte ist die junge Lotus, die zwar aufgrund ihrer helleren Haut und ihres Vermögens eher zur Oberschicht gehört, allerdings aufgrund der Tatsache, dass ihre Mutter ihr Vermögen durch Prostitution verdient hatte, von den meisten Nachbar*innen geächtet wird. Lotus lässt sich durchs Leben treiben, und erst als sie dem Revolutionär Georges Caprou begegnet und sich in ihn verliebt, beginnt sie, die Ungerechtigkeiten der haitianischen Gesellschaft nicht nur zu erkennen, sondern auch ändern zu wollen. An einigen Stellen des Romans wird deutlich, dass er vor fast 70 Jahren erschienen ist, denn natürlich blickt Lotus zu Georges auf, sie lässt zu, dass er sie aufgrund ihres Geschlechts nicht ernst nimmt und ist trotzdem gewillt, alles für ihn zu tun. Doch über diese dem Zeitpunkt des Entstehens geschuldeten Details lässt sich hinwegsehen, denn die Autorin entwirft ein lebendiges Bild vom Leben in einem von den Nachwirkungen des Kolonialismus und dem damit einhergehenden colorism und den kaum zu überwindenden Klassengrenzen geprägten Land. Es ist eine Art Coming-of-age-Geschichte, allerdings geht das Erwachsenwerden hier mit einer politischen Bewusstseinswerdung und einer Radikalisierung im Kampf gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten einher. Ungerechtigkeiten, die sich mit den unterschiedlichen Präsidenten verändern, sodass sich die Revolutionär:innen plötzlich dem Volkszorn ausgesetzt sehen, weil ihre Hautfarbe zu hell ist und obwohl sie doch eigentlich für die Befreiung der einfachen Bevölkerung kämpfen. Grenzen werden nicht durchlässig, sie verschieben sich nur, und Lotus muss sich irgendwann fragen, wie weit sie gehen kann und will. Dieser Roman ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie ein Klassiker durch eine einfühlsame Übersetzung und umfangreiche Anmerkungen zu den Übersetzungsentscheidungen sowie den im Original belassenen kreolischen Ausdrücken einem modernen Publikum nahegebracht werden kann. Auch das Nachwort hilft bei der Einordnung des Textes. Ich habe diesen Roman jedenfalls sehr gern gelesen und freue mich nun auf das nächste Buch von Marie Vieux-Chauvet, das im Frühjahr im #manesseverlag erscheint. Haitianische Literatur darf mich gern noch lange begleiten!

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Wer letzten Sommer die St. Kunigundis Kirche in Kassel zur Documenta besucht hat, wurde mit Kunst des Künsterkollektivs Atis Rezistans aus Haiti konfrontiert. Ich merkte dort wie wenig ich über die Geschichte des Landes wusste. Umso besser, dass nun Marie Vieux-Chauvet wiederentdeckt wurde und ihr Roman Haitis Töchter nun endlich auch ins Deutsche übertragen und im Manesse Verlag erhältlich ist. Marie Vieux-Chauvet war eine haitianische Schriftstellerin. Dieser Roman wurde 1954 auf Französisch veröffentlicht und ist nun endlich auch auf Deutsch zu lesen. Ein Genuss, denn die Übersetzung von Nathalie Lenmmens aus dem Französischen ist extrem gut gelungen! Es geht um eine junge Frau, der französische Vater hat sich aus dem Staub gemacht, die Mutter prostituiert sich und sie sucht Schutz in einer verfallenen Villa. Ein Blick auf ein Haiti am Ende des 2. Weltkrieges, aber doch so brandaktuell, beleuchtet es die Diskriminierungen auf verschiedensten Ebenen. Sie wird von anderen als hellhäutig, ergo privilegiert wahrgenommen, dabei ist sie einsam und kämpft auch ums Überleben. Durch ihre Weiblichkeit ist sie den Männern schutzlos ausgeliefert. Was auch sehr gegenwärtig ist, wie sie als Frau sich in ihrer Einsamkeit wiederfindet und machtlos gegenüber den Strukturen. Bis sie einen Mann kennenlernt, der wiederum auch sie schamlos ausnutzt. Ein wirklich äußerst gelungener Roman, den es wiederzuentdecken gilt! Nach der Lektüre war ich recht fassungslos, dass erst jetzt eine Übertragung ins Deutsche vorgenommen wurde. Ich freue mich auf die nächste Übersetzung mit „Der Tanz auf dem Vulkan“. Fazit: Mehr Klassikerinnen!

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Dieser sehr bewegende und mit Preisen ausgezeichnete Roman erschien erstmals im Original 1954. Er stellt ein intimes, aufwühlendes Sittenbild der damaligen Zeit in Haiti dar. Und der Bogen, der hier inhaltlich gespannt wird, ist wahrlich groß und überdeckt sehr viele verschiedene Grundthemen. Hauptsächlich ist dieses Buch, so sehe ich es, ein Aufschrei gegen alle patriarchalischen Strukturen des Landes, gegen die stete Unterdrückung der Frauen, und ein Manifest gegen Rassismus. Es herrschte ein Streit zwischen den ethnischen Gruppen des Landes, der seinen vorläufigen (im Roman fiktiven) Höhepunkt in Eskalationen und brutalen Machtspielen zwischen zwischen Schwarzen und Mulatten findet. Nur drei Jahre nach Erscheinen des Romanes zeigte sich im Land die wahre Wirklichkeit, welche der fiktiven Vorlage im Lande um nichts nachstand. Zur Erzählung selbst: Es ist die Geschichte der Ich-Erzählerin Lotus, eine Mulattin, welcher wir schon als Kind begegnen und bei einer sehr intensiven Reise durch die Stationen ihres Lebens begleiten dürfen. Aufgewachsen als Tochter einer Prostituierten, voererst angeekelt von der Erwerbstätigkeit ihrer Mutter, fühlt sich Lotus in keiner Gesellschaftsschicht wohl oder aufgehoben. In der Schule hängt sie mit Freundinnen ab, aber im privaten Bereich wird der Umgang untereinander von den Eltern nicht erlaubt. Als ihre Mutter stirbt, erbt Lotus zwei Häuser – in einem lebt sie samt Bedienstete, das andere wird vermietet und beschert ihr ein Einkommen. Lotus macht im Laufe der Zeit eine Wandlung durch, wird von einer arroganten, boshaften Göre zu einer helfenden, mutigen Frau mit Herz und Kämpferin für die Emanzipation. Und all das geschieht immer mit den begleiteten Umständen der politischen Gegebenheiten. Auch die Gesellschaftspolitik, der Umgang der Menschen untereinander, Patriarchat, Rassentrennung, Unterdrückung verstand die Autorin sehr geschickt in ihren wirklich lesenswerten Roman einzuweben. „class, color, race & gender“, wie es im Klappentext heißt, war radikal in jener Zeit, und sind die grundlegenden Themen von Vieux-Chauvet. Die Sprache ist klar, flüssig, erzeugt einen Sog und weckt wirklich großes Interesse an der Geschichte. Auch die vielen kreolischen Wörter, welche bewusst von der Übersetzerin im Text gelassen wurde (und im Anhang in einer editorischen Notiz erläutert werden) stören dabei nicht. Auch befindet sich am Ende ein sehr aufschlussreiches und interessantes Nachwort über Marie Vieux-Chauvet von Kaiama L. Glover. Aufgewachsen in Port-au-Prince, Haiti, musste sie 1968 in die USA flüchten und ins Exil gehen. Ihre kritischen Texte passten dem Regime nicht. Die Autorin (1916-1973) hat fünf Romane geschrieben, nächstes Frühjahr bringt der Verlag ein weiteres Buch von ihr heraus. Man kann sich darüber sehr freuen. Ganz klare Leseempfehlung

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Autorin Marie Vieux-Chauvet wurde 1916 in Port-au-Prince (Haiti) geboren. Sie entstammt einer großbürgerlichen Mulattenfamilie. Ihre Mutter kam von den Antillen und ihr Vater war ein haitianischer Politiker. Sie war mit Pierre Chauvet verheiratet. Sie schrieb Theaterstücke und insgesamt fünf Romane. Ihr Roman „Töchter Haitis“ erschien 1954. Nachdem François Duvalier Präsident wurde und sich als Papa Doc zum Diktator aufgeschwungen war, bedeutete das für sie massive Einschränkungen. Sie ging ins US-amerikanische Exil und lebte dort in New York. Marie Vieux-Chauvet starb 1973. Inhalt Der Roman „Töchter Haitis“ ist in der Zeit der Umbruchphase in Port-au-Prince 1940 angesiedelt. Im Zentrum des Romans steht die junge Waise Lotus Degrave. Sie lebt in Port-au-Prince in der geerbten Villa ihre Mutter. Sie ist Mulattin und gehört der mulattischen Gesellschaftsschicht an. Ihre zweifelhafte Herkunft, ihre Mutter war eine wohlhabende mulattische Prostituierte und ihr Vater ein weißer französischer Marineoffizier, versperrt ihr den Zugang zur Gesellschaft. Sie führt ein sorgenfreies Leben, verfügt über ausreichend finanzielle Mittel, um ihren Unterhalt ohne Arbeit zu bestreiten. Sie verachtet Männer. „Meine ärgsten Feinde waren die Männer, denn sie hatten mir meine Mutter gestohlen.“ (S. 14) Erst als sie Georges Caprou kennenlernt, ändert sich ihre Einstellung. Zu ihm fühlt sie sich hingezogen, der erste Mann, vor dem sie Achtung hat. Georges Caprou, ein attraktiver junger Revolutionär, verändert ihr Leben. Er zeigt die Missstände auf, das Elend vor ihrer Tür und weckt ihr politisches Interesse. Sie unterstützt ihn bei seinem revolutionären Kampf. Der Sturz der Regierung ist erfolgreich, aber schon bald wird die Rivalität zwischen Mulatten und Schwarzen erneut angefacht. Lotus und Georges Caprou müssen fliehen. Sprache und Stil „Töchter Haitis“ zeigt die Ungleichbehandlung aufgrund von Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe und Geschlecht und die Korruption und Brutalität des haitianischen Staates. Es gärt in der Bevölkerung der Unterdrückten. In dieser Zeit, als die Umbruchphase sich abzeichnet, setzt der Roman ein. Lotus erlebt Haiti als Polizeistaat, der nicht davor zurückschreckt, einen Dieb, der eine Kochbanane gestohlen hat, weil seine Familie hungern muss, brutal zu behandeln. Die rohe Gewalt erfährt ebenso seine Frau, die versucht, ihm zu helfen. Lotus merkt, dass ihr dieses Schicksal der Gewalt noch bevorsteht. „Heute schlug man Diebe, und eines Tages würden auch diejenigen geschlagen werden, die für Gerechtigkeit und das Wohl des Volkes kämpften“. (S. 21) Die ersten Zeichen des Auflehnens gegen Gewalt, Ausbeutung und eine Korruptionsgesellschaft werden sichtbar. Lotus stellt sich mutig dagegen. „Weiße Herren, ihr beutet den Schwarzen aus […].“ (S. 66) Sie zeigt ihre mutige, souveräne Haltung gegenüber einer zermalmenden Gewalt. Lotus steht nicht als Protagonistin, deren Leben im Detail gezeigt wird, sondern stellvertretend für die Gesellschaft und die Frauen im damaligen Haiti. Lotus steht immer in der Mitte, weder schwarz noch weiß, weder arm noch richtig reich. Sie steht am Rand der Gesellschaft, allein als Frau, lebt allein in einem großen Haus, getrennt von den ärmlichen Hütten. Die Nachbarn beäugen sie misstrauisch. Auf der politischen Ebene, die Revolution, steht Georges, der die patriarchalische Seite zeigt. „Die Lage war ernst. Nach und nach erfasste eine neue Geisteshaltung eine kleine Gruppe schwarzer Intellektueller, die für sich und die übrigen Schwarzen jene Achtung, jenen Respekt einforderten, die ihnen ebenso zustanden wie allen anderen Haitianern.“ (S. 163) Gemeinsam kämpfen sie. George schleust heimlich seine Freunde in ihr Haus, das nun ein gefährlicher Ort für sie wird. „Schwarze Anführer wollen dem Volk beweisen, dass allein die Mulatten für sein Elend verantwortlich sind. " (S. 182) War ihr zu Hause jemals ungefährlich? Sie ist von jeher verwundbar. Wegen ihrer Herkunft scheint die patriarchalische Welt sie als Freiwild betrachten zu können. Lotus begibt sich mehr und mehr aus ihrer sicheren Umgebung hinaus und kann nun „Sehen“. Sie sieht das Elend um sich herum, sie beginnt zu begreifen, dass ihre Tat, die Mädchen bei ihrer Arbeit aufzuwecken, ohne selbst aktiv zu werden, nutzlos war. Jetzt beginnt sie zu helfen und merkt, wie dringend Hilfe nötig ist. Und auch George ist inzwischen bereit, Lotus anzuerkennen. Sie erkennt ihre eigene Hilflosigkeit. Das Buch „La Conscience“ von Victor Hugo (S. 120) steht stellvertretend für ihr „Gewissen“. Sie muss etwas verändern. Die Religion und Vodou helfen ihr dabei. Nebenbei erfahren wir etwas über den Kult von Vodou und Religion, die beide in Haiti nebeneinander existieren. Der Doktor sagte, sie werde töten, auf die Frage, wen: „Ihre Seele, vielleicht“. Lotus Leben bekommt plötzlich einen Sinn. Ihr Denken zieht in eine andere Sphäre, so als ob sie nun lebendig geworden wäre, ihr Sein nimmt eine andere Form an, „sie wurde fortgetragen hin zu den Wolken, die den tiefblauen Himmel säumten.“ (Vgl. S. 121) „Wie durch ein Wunder war alle Traurigkeit, alles Grauen verschwunden, ich spürte wie Blitze mich durchzuckten, wie eine Vielzahl von Dingen mich belebte […]“. (S. 121) Die Sprache ist schnörkellos und eindringlich. Gelegentliche Tempussprünge im Text sind gewollt. In der Übersetzung wird als „Besonderheit eines haitianischen Textes“ (S. 282) beibehalten. Kreolische Begriffe und idiomatische Wendungen werden übernommen und, sofern sie nicht übersetzt werden, in Anmerkungen bzw. Glossar erklärt. Diese Umsetzung verleiht dem Roman Authentizität.  Anmerkungen, Glossar, Nachwort und Editorische Notiz runden den Roman ab. Fazit „Töchter Haitis“ muss in den geschichtlichen Kontext eingeordnete werden. Ich empfehle für ein besseres Verständnis des Romans „Haitis Töchter“ zunächst das Nachwort auf (S. 266 f.) und die Editorische Notiz auf (S. 281 f.) zu lesen. Bis heute hat der Roman an Aktualität nichts verloren. Es ist eine fiktionale Erzählung und gleichzeitig eine historische Geschichte. Haitis Töchter präsentiert die Absurdität der 1940er-Jahre eines rassistisch geprägten Landes. Marie Vieux -Chauvet ist Zeugin der Zeit, wie Machtpolitiker durch rassistische Hetze, Korruption und Ausweglosigkeit politischer Organisationen die haitianische Bevölkerung skrupellos manipulierten und sich nicht um die Nöte, insbesondere um die rechtlosesten Teile der Bevölkerung kümmerten. „Mit Lotus Degrave bietet Marie Vieux-Chauvet uns ein Brennglas, durch das sie eine Gesellschaft sichtbar macht, die sich bis heute wieder auf polarisierenden ethnischen Absolutheitsansprüchen errichtet. Das war radikal in ihrer Zeit.“ (S. 280)

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