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Rezensionen zu
Kafka und der Tote am Seil

Jon Steinhagen

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€ 18,00 [D] inkl. MwSt. | € 18,50 [A] | CHF 25,50* (* empf. VK-Preis)

Regelmäßig zu Beginn eines neuen Jahres bin ich sehr mutig, was das Überschreiten meiner Lesegewohnheitsgrenzen angeht. Je älter das Jahr, desto stromlinienförmiger wird mein Leseverhalten dann meist wieder. Kennt Ihr das auch? Und tatsächlich, auch dieses Mal hat es mich wieder im Januar erwischt, ich sah ein Buch in der Buchhandlung liegen und dachte: Das probiere ich doch mal aus! „Kafka und der Tote am Seil“ von Jon Steinhagen heißt der Titel, den ich auserwählt habe und er ist in der Tat nicht gerade Bestandteil meines normalen Beuteschemas. Das im Penhaligon erschienene Buch ist eine Krimigeschichte, die absurder nicht angelegt sein könnte. Das Ganze fußt auf der gewagten Hypthese, was wäre, wenn Franz Kafka nicht, wie landläufig angenommen wird, mit gerade mal 40 Jahren an Tuberkulose gestorben wäre, die seinen Kehlkopf so angegriffen hatte, dass er zuletzt kaum noch sprechen und nur noch unter Schmerzen essen oder trinken konnte? Wenn er stattdessen im Sanatorium, in dem er behandelt wurde, am nächsten Tag einfach aufgewacht wäre und eine äußerst beflissene, eloquente, zugewandte Krankenschwester an seiner Seite gehabt hätte, die ihn umsorgte? Und was, wenn diese Pflegerin gar kein Mensch, sondern eine sehr große Kakerlake gewesen wäre, die sich auch noch, quasi als Sahnehäubchen, mit dem Namen Gregor Samsa vorgestellt hätte? Absurd, schräg, outside the box – Grund genug jedenfalls für mich, dem Irrsinn dieses Buchs mal genauer auf den Grund zu gehen. Kafka fühlt sich nach seiner vermeintlichen Todesnacht wirklich wie neu geboren, so kraftvoll und gesund, wie lange nicht mehr. Natürlich traut er seinen Sinnen nicht, als er die Kakerlake, seinen Gesundheitszustand und die Tatsache entdeckt, dass sein Krankenzimmer verriegelt ist. Er vermutet verständlicherweise einen (Fieber-)Traum oder eine Art Zwischenstadium auf dem Weg in den endgültigen Tod. Es wird auch nicht besser, als nach einiger Zeit ein Inspektor namens Beide durch selbige abgeschlossene Tür hereinkommt und Franz Kafka mit den überraschenden Worten begrüßt: „Auf Sie habe ich gewartet.“ Man merkt, hier ist nichts, wie es normalerweise ist, hier läuft auch keine Unterhaltung gradlinig, sondern biegt unerwartet mal hinter der nächsten Skurrilitätenecke ab, um ins Leere oder doch wenigstens Absurde zu laufen. Was passiert hier? Kafka ist zwar wieder unter den Lebenden, doch um ihn herum sind keine vertrauten Personen mehr, die er vor seiner „Wiedergeburt“ kannte (so wartet er erfolglos auf einen Besuch seiner Familie, seiner Freunde oder seiner Geliebten Dora), das „Personal“ ist also auch für Kafka selbst neu. Dementsprechend kryptisch ist auch die Art, wie sich der Inspektor mit Visitenkarte bei ihm vorstellt: „Inspektor von was?“, fragte Franz. „Von allem Möglichen“, sagte Beide. „Aber vor allem Verbrechen – Sie können die Karte behalten – , denn so weit ist es gekommen, aber wenn Sie mich fragen, dann war die Welt seit jeher verbrecherisch, und letztlich habe ich deswegen etwas zu tun, habe ich etwas zu tun …“ Und so wird Kafka nach und nach von Beide als zusätzlicher Inspektor eingeführt, Beide braucht ihn zur Unterstützung bei der Aufklärung einer Mordserie in Wien, die nicht abreißen will. Ist Beide wirklich von der Polizei? Man weiß es nicht, sollte es aber bezweifeln. Diese Mordserie scheint unweigerlich verknüpft zu sein mit einem zweiten Erzählstrang, den Hans Henker dominiert. Er ist der Hängekünstler (oder?), ein Mann, der es vermag, immer größere Massen von Menschen als Publikum ins Varieté zu locken, die ihn alle mindestens einmal erlebt haben wollen. Den Mann, der sich Abend für Abend vor aller Augen auf der Bühne erhängt … und dennoch am nächsten Abend wieder putzmunter auf der Bühne steht. Hat dieser Mann etwas mit den zahlreichen erhängten Leichen zu tun, die sich derzeit in der österreichischen Metropole anhäufen? Und warum sollen ausgerechnet Franz Kafka, der (im ersten Leben) doch eher erfolglose Schriftsteller, und sein Insektenkompagnon die Richtigen sein für die Aufklärung dieses Falls? Ein Buch, das schräger (ich glaube, ich erwähnte es) nicht sein könnte und ich musste oft kichernd den Kopf schütteln ob der blanken Absurdität der „Handlung“, ob der ständigen Plottwists und aller anderer Überraschungen. Wirklich ans Herz gewachsen ist mir vor allem Gregor, die treue Seele, ein Schätzchen sondersgleichen, ein „Haustier der besonderen Art“. Ich muss zugeben, ich würde ihn gern mal ausleihen 😉 Die anderen Charaktere sind natürlich in ihrer Skurrilität nie dazu gedacht, als Projektionsfläche für die Lesenden zu dienen, die Möglichkeit, sich mit einer der Figuren zu identifizieren ist nicht gegeben, darauf zielt dieser Krimi aber auch nicht ab. Hier geht es um Klamauk, Albernheit, Übertreibung – und das alles wird Fans von fantastisch-absurden Kriminalgeschichten mit Sicherheit abholen. Wer Lust auf das Eintauchen in eine komplett erfundene Parallelwelt im dunklen Wien der 1920er-Jahre hat, wird hiermit Spaß haben. Wo hört Zeitvertreib auf und fängt Zeitverschwendung an, habe ich neulich so schön überspitzt Katharina Mahrenholtz bezüglich einer ganz anderen Lektüre fragen gehört – auch bei dem vorliegenden Buch darf man sich diese Frage stellen und die Antwort wird je nach Leser sehr unterschiedlich ausfallen.

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