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Rezension zu
Vladimir

Über das Verschwimmen von Schuld und Unschuld.

Von: literaturnova
12.07.2022

»Aber am Tag seiner Entlassung ist es bewölkt, kühl und regnerisch, das letzte Aufseufzen des trostlosen Frühlings in Upstate New York, bevor er dem Sommer weicht. Wahrscheinlich besser so, sage ich mir.« (S. 332) Alles perfekt? Wenn sie darüber nachdenkt, kann sie sich über wenig in ihrem Leben beklagen. Sie hat einen Ehemann, der ihre Distanz akzeptiert und eher als Mitbewohner mit ihr zusammen lebt, hat eine Tochter, die aus ihrer bockigen Jugendphase seit einigen Jahren herausgewachsen ist, einen erfüllenden Job als Dozentin für Literatur an einer Universität und ein wunderschönes Haus in New York. Eigentlich könnte es so schön, so einfach, so ruhig sein. Wäre da nicht der Hang ihres Mannes, die Studentinnen seiner Kurse in regelmäßigen Abständen zu verführen, oder sich von ihnen verführen zu lassen. Genau kann das wohl niemand sagen, der nicht dabei war. Doch genau diese Verführungen haben nun ein Nachspiel. Vermehrt wurden Stimmen von ehemaligen und derzeitigen Studentinnen laut, die eine Entlassung des Dozenten fordern. Er habe seine Macht gegenüber den Studentinnen ausgenutzt und sie damit zu sexuellen Handlungen genötigt. Für seine Frau allerdings ist klar: Zu einer sexuellen Beziehung gehören immer zwei Personen und die Studentinnen seien von seiner Machtposition ihm gegenüber angezogen worden. Es handel sich um einvernehmliche Affären, ihr Mann sei kein Vergewaltiger. Sie wusste immer davon. Sie hatten die Ehe einvernehmlich geöffnet, auch wenn John wesentlich öfter von dieser Öffnung Gebrauch machte als sie. Die Verschiebung des Fokus. Plötzlich aber dreht sich die Stimmung auch gegen sie. Ihre Studentinnen beginnen sie zu fragen, wie sie mit einem sexuell übergriffigen Mann zusammen sein können. Sie drängen sie förmlich dazu ihn zu verlassen. Immer wieder diese eine Frage: »Wann verlassen sie ihn endlich«? Ja, wann eigentlich? Und warum tat sie es bisher nicht. Sie ist eine finanziell und emotional unabhängige Frau, angesehene Dozentin. Liebt sie ihn überhaupt noch? Oder ist das Zusammensein ein Ergebnis jahrelanger Routine, die man nicht so einfach aufgeben möchte, weil sie doch einen gewissen Komfort bietet? Der Neue. Und nun kommt er ins Spiel: Vladimir Vladinski. Wie sie auch Autor eines Buches, wird er neuer Dozent an ihrer Universität. Sie verstehen sich auf Anhieb und er bittet sie, sein Buch zu lesen und eine möglichst kritische Rezension zu verfassen. Er halte viel von ihr, deswegen läge ihm eine ausführliche Rückmeldung ihrerseits sehr am Herzen. Sie sagt zu, nimmt das Buch zu Hand und kann es kaum noch beiseite legen. Der Schreibstil, der Inhalt, die Komposition des Gesamten. Sie ist sich sicher: Das Buch wird ein Erfolg. Vladimir ist zwar verheiratet, doch irgendwas an ihm zieht sie dennoch an. Sie bekommt immer häufiger ein Kribbeln wenn sie an ihn denkt. Er wird zu ihrem heimlichen Objekt der Begierde. Während sich John vor Gericht wegen seiner Liebschaften verantworten muss, beginnt sie eine mit Vladimir. Zumindest in ihrem Kopf. Er wird es erst später bemerken, wird erst spät wissen, in welcher Lage er sich nun befindet. Was es ist und worum es geht. »Vladimir« ist eine Geschichte über die eigene Befreiung, über das Abrechnen mit Tabus. Es ist ein Buch über den Kampf einer Frau, die, obwohl ihr Leben erfüllt zu sein scheint, plötzlich eine Leere spürt, die nur einer füllen kann: Vladimir. Zwischen Liebschaften, dem Zerbrechen einer Ehe, dem Kampf gegen die von ihren Studentinnen attestierte Mitschuld am Verhalten ihres Mannes und der Sehnsucht nach mehr, schwebt die Protagonistin umher und versucht zu retten, was zu retten ist und den Rest untergehen zu lassen. Sie lässt sich halbherzig vom Verfahren gegen ihren Mann berichten, denn so richtig interessiert es sie im Moment nicht. Sie denkt nur an einen. Wie unabhängig kann man von seinem Partner oder seiner Partnerin wirklich sein? Ist man mitschuldig, wenn man nicht eingeschritten ist? Trägt man selbst eine Schuld, wenn man weggesehen hat? Und wenn ja, welche Art von Schuld? Julia May Jonas schickt ihre Protagonistin in den Kampf um Schuld und Unschuld, um das Bewahren des eigenen Lebens, der eigenen Stellung. Ein Roman, der aktuelle universitäre Diskussionen aufgreift, der den gleichen Nerv zu treffen scheint, den schon die #metoo-Bewegung zu erreichen schaffte. Sie erschuf einen Raum, in dem Schuld und Unschuld verschwimmen, in dem die eigene Position längst nicht mehr so klar ist wie sie einst war. Ästhetik, Sprache und was noch fehlt. Sprachlich gehoben, führt die Autorin doch erstaunlich gut durch die Erzählung. Sie nimmt sich Zeit und Raum um wichtige Aspekte zu behandeln, lässt aber nichts wegfallen. Sie beweist viel Feingefühl beim Schreiben, schreibt die Charaktere mit der nötigen Ernsthaftigkeit und einer passenden Gefühlswelt. Es gelingt, die Charaktere während des Romans mental wachsen zu lassen, die Probleme aufzugreifen, ohne sie wirklich final zu lösen. Sie lässt offen, was offen bleiben muss und schließt ab, was abgeschlossen werden muss. Neben dem inhaltlichen fällt auch die Ästhetik des Covers direkt in das Auge. Ein Bild eines Mannes, gehüllt in Lila und Schwarz. Schlicht und doch zu Interpretationen einladend. Ein Coverbild passend zum Buch. Thematisch aktuell und sprachlich gut geschrieben. Das Buch lässt einem auch Tage nach Beenden nicht los. Die Gedanken überschlagen sich und die Frage nach Schuld und Unschuld werden wohl auch eine ganze Weile lang nicht beantwortet werden können. Lest das Buch und macht euch selbst ein Bild, in allen Farben, die zur Verfügung stehen. Ein Bild, dessen Interpretation immer wieder unterschiedliche Ergebnisse erzielen wird. Darin liegt die gesamte Spannung des Werkes. Übersetzt wurde das Buch aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné. Bei diesem Buch handelt es sich um ein vom Blessing Verlag in Kooperation mit dem Bloggerportal zur Verfügung gestelltes Rezensionsexemplar. Das Buch erschien im Februar 2022 im Blessing Verlag.

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