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Rezension zu
Über Menschen

Trotzdem weitermachen

Von: mari_liest
01.06.2021

Robert und Dora leben gemeinsam in Berlin und führen ein harmonisches Leben. Bis Greta Thunberg in ihr gemeinsames Leben tritt. Bis zu dem Zeitpunkt an dem Robert zum Klimaschutzaktivisten und Corona-Experten mutiert. Das alles kann Dora noch irgendwie ertragen, doch dann soll sie ihren Job wechseln, keine Plastiktüten mehr benutzen und als Corona-Leugnerin gefälligst auch nicht mehr den Hund spazieren führen. Die Kirsche auf der Torte ist dann das gemeinsame Home-Office, wo Dora merkt, dass sie Robert gleich an die Wand tackern wird und die Flucht sucht. Dora packt ihre Hündin, Jochen den Rochen, kauft sich mit ihrem letzten ersparten ein schniekes Häuschen im brandenburgischen Bracken und macht die Fliege. Dort angekommen lernt sie als erstes ihren neuen Nachbarn kennen, Gote, den selbsternannten Dorf-Nazi. Und so kommt es wie es kommen muss: Dora findet sich einem Gewissens-Dilemma wieder. Dorfgemeinschaft, Nazi, AfD-Wähler, Nachbarschaftshilfe?!? Meine Meinung: „Über Menschen“ ist mein erstes Buch von Juli Zeh und es hat mir wirklich super gefallen. Der Schreibstil ist flüssig, humorvoll, an vielen Stellen tiefgründig. Bin quasi mit der Rakete durchs Buch geflogen. Juli Zeh packt zahlreiche Themen, die uns alle tangieren in dieses Buch. Angefangen von der Klimakatastrophe, über Rassismus, die Flüchtlingskrise, Rechtsextremismus, die Pandemie, kompletter Lebenswandel, naives Städterdenken, etc. An vielen Stellen habe ich laut gelacht, an einer ein Tränchen verdrückt, an sehr vielen hat sich ein leichtes Schleudertrauma angedeutet (Kopfnicken oder Kopfschütteln). Ich fühlte mich stellenweise so verstanden durch die Gedanken von Dora, ihre Zweifel, ihre Hirnwixereien, ihre Art über sich selbst nachdenken zu können. Die persönliche Entwicklung von Dora fand ich sehr spannend. Der Dorfnazi ist vielen Leser*innen extrem sauer aufgestoßen, was ich total verstehe und bitte auch überhaupt nicht verharmlosen möchte!! Ich finde aber doch, dass Juli Zeh hier hineingepackt hat, wie es in einem Dorfleben von Statten gehen kann oder sich zutragen kann (leider auch heute noch). Sie hat es nicht verharmlost, aber auch nicht aufgepeitscht. Jede Figur ist auf ihre Weise mit dem Thema umgegangen (Gote mit seinem Denken des „nicht so schlimm“ und Dora mit dem Nicht-Wissen-wie-umgehen-und-null-Toleranz-Rassismus-Starre). „Egal“, wie man zu diesem unmoralischen Verhalten und Geisteszustand stehen mag: was Juli Zeh getan hat ist, dass sie aus dem Dorfnazi trotzdem noch den Menschen gezeichnet hat (auch wenn man ihn herprügeln möchte!). Sie schafft es mit Feingefühl die Figur „Gote“ zu zeichnen, mit all seinen Problemen, egal ob persönlicher Natur oder gesundheitlicher, mit all seinen Sprüchen und Aussagen. Zeichnet sie dann letzten Endes doch auch die „zerbrechliche“ Vaterfigur, der seine Tochter Franzi, die auch Dora sehr ins Herz schließt, über alles liebt. Dora mag an vielen Stellen naiv wirken und dem Klischee der Tusse aus der Stadt alle Ehre machen, aber das darf sie doch auch. Sie kommt aus der Großstadt, die viele andere Herausforderungen birgt, als das kleine Örtchen wo sich Fuchs und Henne gute Nacht sagen. Es braucht die Vielfalt, dass es Menschen gibt, die in gewissen Bereichen naiv sind, die sich dadurch ihr „positives Wesen“ behalten, und es braucht aber auch die, die sehr kritisch sind. Sonst wären wir alle gleich, würden jeden Tag dasselbe Essen, hätten alle die gleichen Jobs, den gleich hohen Intellekt … Das Ende des Buches hat mich irgendwie überfahren und irgendwie war es vorhersehbar, und das war auch die Stelle, die mir kurz ein Tränchen rausgedrückt hat. Juli Zeh erzählt das Buch aus der Sicht ihrer Protagonistin Dora. Dadurch kommt das Buch nicht immer ganz klischeefrei daher. Das positive an dem Buch finde ich aber, ist, dass die ideologische Sicht auf Dinge nur aus Entfernung immer möglich ist. Sobald man näher dran ist, wird es schwieriger und man muss „trotzdem weitermachen“. Es ist und bleibt (in dem Fall) ein Buch, eine Geschichte, und dass wir den Rechtsradikalismus einfach so „wegmenscheln“, wird (leider) sicher nicht geschehen. „Trotzdem“ klare Leseempfehlung! Und: die Welt braucht mehr Menschlichkeit und weniger Ideologie!

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