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Rezension zu
Sie werden in den Tränen ihrer Mütter ertrinken

Psychose oder Zukunftsvision?

Von: Letteratura
24.05.2021

Am Anfang steht ein Anschlag, der anders enden wird, als geplant: Drei junge Attentäter*innen wollen einen Comicbuchladen in Göteborg in die Luft sprengen. Zwei Männer und eine junge Frau mischen sich zunächst unter die Anwesenden, die dort zu einer Veranstaltung zusammengekommen sind. Sie ist diejenige, die alles filmen und online stellen soll, doch ihr kommen plötzlich Zweifel. Statt die Besucher des Ladens umzubringen, erschießt sie ihre Mittäter. Ungefähr zwei Jahre später treffen wir die junge Frau wieder: Sie befindet sich nun in einer Psychiatrie. Ein Schriftsteller besucht sie, sie wollte ihn sehen und mit ihm reden, denn seine Texte haben sie angesprochen. Man ist versucht, etwas des Autors Johannes Anyuru in ihm zu sehen. Die junge Frau überreicht ihm ein Manuskript, das sie geschrieben hat. Darin erzählt sie von einer Zukunft, aus der sie, so ist sie überzeugt, hierhergekommen ist, eine düstere Zukunft, ungefähr 15 Jahre entfernt, islamophob und fremdenfeindlich, eine Zukunft, in der alle „Schwedenfeinde“ letztlich getötet werden. Sie nennt sich Nour und sie erzählt von einer Kindheit, die es auch deshalb nicht gegeben haben kann, da sie, so erzählt man dem Autor, eine Schwedin namens Annika sei, die zum Islam konvertiert ist, doch sie beteuert, niemanden aus dieser, angeblich ihrer schwedischen Familie, zu kennen. „Sie werden in den Tränen ihrer Mütter ertrinken“ – der Titel mag erst einmal abschrecken, klingt er doch durchaus etwas schwülstig und kitschig. Doch es ist ein Zitat aus dem teils poetisch geschriebenen Roman, und es fügt sich passend ein. Erzählt wird einerseits aus der Perspektive des Autors, andererseits lesen wir die umfangreichen Aufzeichnungen Nours, dies sozusagen gemeinsam mit dem Autor. Der Roman ist ebenso sehr seine Geschichte wie ihre. Nach und nach erfahren wir mehr über ihn, darüber, wie er sich gegen seinen Willen hineinziehen lässt in die Welt der jungen Frau, darüber, wie er das Erlebte mit seiner Frau einzuordnen versucht, wie es langsam seine Sicht auf die Dinge verändert. Es ist auch eine Geschichte über sein Leben als Muslim in Schweden, eine Auseinandersetzung mit dem Islam und Terror im Namen des Islam und über die ganz persönlichen und sehr konkreten Auswirkungen all dessen auf das Leben des Autors. Anyurus Roman ist ein komplexes Buch. Im Roman wird die Begegnung mit Nour zum konkreten Auslöser einer Veränderung im Leben des Autors, denn obwohl er die Aufzeichnungen der jungen Frau als Hirngespinst einer Kranken abtun will, gelingt das nicht und er gerät selbst in einen Strudel aus Gedanken und Ängsten. Als Leserin fragt man sich unentwegt, was es mit dem Manuskript eigentlich auf sich hat. Ist es tatsächlich lediglich Ausdruck der Psychose seiner Verfasserin? Wie passt die Zukunft, von der sie schreibt, in ihre Vergangenheit? Was bedeutet all das im Kontext des Romans? „Sie werden in den Tränen ihrer Mütter ertrinken“ behandelt sein Thema aus einer für uns eher ungewohnten Perspektive so mutig wie differenziert. Wer klare und eindeutige Antworten sucht, der wird mit dem Roman wohl seine Probleme haben. Anyurus Roman verwirrt und möchte verwirren, verliert dabei jedoch nie seine Grundspannung und schert sich nicht um Leseerwartungen. Ein forderndes Buch, dessen Lektüre sich lohnt.

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