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Rezension zu
Und am Ende werden wir frei sein

Heute wäre sie ein Gutmensch

Von: hihihi
28.01.2020

„Und am Ende werden wir frei sein“ erzählt die Lebensgeschichte der Amerikanerin Caroline Ferriday, die sich während des zweiten Weltkrieges für französiche Waisenkinder einsetzt und später Überlebende des Konzentrationslagers Ravensbrück dabei unterstützt, die Folgen medizinischer Experimente – Verstümmelungen – behandeln zu lassen. Der Roman ist, was die historischen Abläufe angeht, erschreckend realistisch. Es war bekannt, daß politisch unerwünschte Menschen, auch Kinder, in eigens dafür errichteten Lagern zu Tausenden ermordert werden. Dies zu verhindern, besispielsweise durch militärische Zerstörung der zuführenden Bahngleise, hatte u. a. für den damaligen US-Präsidenten keine Priorität. Entschädigungen an Überlebende oder deren Familien blieben aus. Selbst auf ein Anerkennen, daß die damalige Inhaftierung in Konzentrationslagern tatsächlich Unrecht war, mußten zu viele Überlebende zu lange warten. Die Perspektive der jungen, gut situierten Amerikanerin verpackt die schweren Themen in „leichte Lektüre“. Glaubhaft und in der heutigen Situation gut nachvollziehbar ist die Fassungslosigkeit der jungen Frau darüber, wie ihre reichen FreundInnen die Realität des Krieges und die Not der Menschen anderswo auf der Welt vollkommen ausblenden können. Heute müßte sich Caroline „Gutmensch“ nennen lassen. Ebenfalls historisch ist die Ärztin Herta Oberhäuser, die es geschafft hat, als Arbeiterkind ihr Studium abzuschließen. Als einzige Frau wurde sie bei den Nürnberger Ärzteprozessen verurteilt. Es ist sicher nicht leicht, sich in eine KZ-Ärztin hineinzuversetzen, wahrscheinlich bleibt der Charakter deshalb eher blass. Herta möchte gleichberechtigt ihren Beruf ausüben und stößt an Grenzen, die ihr die frauenfeindlichen Vorstellungen der Nazis setzen. Wie daraus die Motivation entsteht, sich zu beweisen und dafür buchstäblich über Leichen zu gehen, macht die Täterbiografie nachvollziehbar, ohne die Verantwortung der Einzelnen für ihre Taten zu relativieren. Die Figur der Polin Kasia, die im Widerstand aktiv ist und deshlab mit Teilen ihrer familie nach Ravensbrück verschleppt wird, ist historischen Personen nachempfunden, deren Biographien die Autrorin recherchiert hat. Kasia und ihre Mithäftlinge werden zu „Versuchskaninchen“ für Herta und ihre Kollegen. „Am Ende werden wir frei sein“ - doch wann ist das Ende? Nach dem Krieg ist Kasia noch lange nicht frei. Die subjektive Schuld am Tod der Mutter und die Erinnerung an die Schrecken des Lagers bestimmen ihre Beziehungen zu Ehemann und Tochter – kein Happy End, sondern mühsame Arbeit an jedem Tag des Überlebens. Mir hat gut gefallen, daß die Autorin mit ihrem Buch daran erinnert, daß die TäterInnen nach wenigen Jahren wieder unbehelligt in der Öffentlichkeit leben konnten und ihren Beruf ausüben durften – im Falle der Herta Oberhäuser zu Kasias Entsetzen sogar „Kinder berühren“. Für das Buch spricht auch, daß die Brüche Raum bekommen – die fehlende Vorstellungskraft der Amerikanerin, was im Nachkriegs-Leben der Polinnen von Bedeutung ist und was eher nicht (Handtaschen!), auch die Instrumentalisierung einer Betroffenen für das Erreichen eigener Ziele unter Inkaufnahme von deren Retraumatisierung. Ist es möglich, überhaupt erlaubt, das Grauen der Konzentrationslager in einen „leichten“ Roman zu verpacken, garniert mit Liebesgeschichten? Wer will das beurteilen? Das steht nur den Überlebenden selbst zu. Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Aufzeichnungen von Überlebenden aus Ravensbrück standen der Autorin zu Verfügung. Kann sie dadurch den Menschen gerecht werden, die den realen Schrecken miterleben mußten? Ich bin ihr allein für den Versuch dankbar. Vielleicht erfahren auf diese Weise viel mehr Menschen davon, welche Verbrechen gar nicht weit weg von uns begangen wurden.

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