Special zu Bärbel Schäfer: Meine Nachmittage mit Eva
»Wie ein Schatten fuhr eine Hand sanft über Evas Kopf. Sie lag im ersten Stock des Etagenbettes auf nackten Holzbrettern und bemerkte, dass niemand mehr schrie, Befehle erteilte und Deutsch sprach. Seit Tagen dämmerte sie so dahin. In der Baracke war es bis auf das Stöhnen der Halbtoten still. Draußen fiel leise der Schnee. Es war Januar in Auschwitz. Sie war fast drei Monate hier, als der russische Soldat die Baracke betrat. Es dämmerte. Er beugte sich mit seinem Ohr ganz nah an Evas Mund. Spürte ihren Atem. Das Kind lebte. Vorsichtig schob er die Leichen, die ihren knochigen Körper bedeckten, beiseite und befeuchtete ganz zart mit einem Schneeball ihre aufgeplatzten Lippen. Der Mann hob sie hoch, und das Winterlicht bohrte sich unerträglich grell und schmerzhaft in Evas Augen. Die Fellmütze rutschte ihm tief in die Stirn. Darauf leuchtete der rote Stern. Eva versuchte ein Lächeln. Es war dieser Moment, in dem sie Adolf Hitler besiegte.«
Bärbel Schäfer
