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Rezensionen zu
Die Kolonie

Jinkang Wang

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Dystopie-Highlight

Von: Japan Connect (Fabienne)

21.05.2023

Diese dystopische Gedankenexperiment konnte mich total begeistern! Wir befinden uns auf einer kleinen Farm in Zentralchina während der Kulturrevolution, auf die intellektuelle Jugendliche zur Umerziehung verdonnert wurden. Das Klima ist toxisch. Alle wollen weg von dem Ort und zurück in die Stadt. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht: Kriminalität, Denunziationen und Intrigen stehen auf der Tagesordnung. Vor diesem Setting kommt dem Jugendlichen Yan Zhe die Idee, die Ameisenessenz, die sein Vater, ein gefeierter Entomologe, extrahiert hat, anzuwenden. Mit dieser Essenz werden die Menschen zu altruistischen Arbeitenr:innen. Ob das gut gehen kann? Das Buch ist ein Highlight, wenn man keine SF erwartet, sondern weiss, dass wir es hier vielmehr mit einem dystopischen Gedankenexperiment zu tun haben.

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Individuum oder Gesellschaft? Egoismus oder Altruismus? Kapitalismus oder Kommunismus? Das waren und das sind die großen Dichotomien, die großen ideologischen Auseinandersetzungen der vergangenen zwei Jahrhunderte. Spätestens mit Karl Marx‘ und Friedrich Engels‘ „Die deutsche Ideologie“ und natürlich dem revolutionären „Kommunistischem Manifest“ von 1848 ging ein Gespenst in der Welt um – das Gespenst des Kommunismus. Ausdruck der Hoffnung verarmter und ausgebeuteter Menschen und zugleich Symbol der Angst der Privilegierten. Und wie es bei religiösen wie säkularen Glaubenssystemen so ist, blieb es nicht bei der Auseinandersetzung mit Worten, sondern es folgten Taten. Zahlreiche Kriege und Massenmorde führten schließlich zum sogenannten Kalten Krieg, in dem die Fronten zwischen den kapitalistischen Staaten und den sozialistisch-kommunistischen Staaten eingefroren wurden. Jinkang Wang erzählt in „Die Kolonie“ in einer Art Hyperbel eine kleine Geschichte aus Zeiten der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ in China. Die Geschichte ist nicht nur eine Kritik an den „10 Jahren Chaos“ und den unzähligen Toten, die dieses Martyrium gekostet hat. Es ist eine Geschichte über Menschen, wie sie sind und was sie sein wollen und wie sehr Ideal und Real auseinanderfallen und was das anrichten kann. Der Verlag Heyne wirbt auf dem Umschlag damit, dass sich Wang Jinkang „mit seinem gesellschaftskritischen Roman ‚Die Kolonie‘ … in China an die Spitze der Science-Fiction-Autoren geschrieben hat“. Das mag zwar sein, aber wie so häufig weckt der Verlag damit eine Erwartungshaltung bei den Leser*innen, die dieser Roman nicht gerecht wird. Die Kolonie ist ein herausragender Roman. Eine grandiose Hyperbel, großartig verpackte und spannend zu lesende Gesellschaftskritik oder besser noch: Menschenkritik. Zugleich eine Erzählung über Geschichte und Kultur Chinas. Allerdings berührt der Roman nur minimal Aspekte der Science-Fiction, wie sie heute verstanden wird. Da sind Enttäuschungen mit entsprechenden Rezensionen vorprogrammiert. Dabei ist Wang Jinkangs Meisterwerk eher ein Vertreter des „ursprünglichen Science-Fiction“, wenn man Mary Shelleys Frankenstein als Begründung des Genres ansieht. Wenn man sich dessen als Leser*in bewusst ist, oder wenn man sowieso immer Open-Minded an Romane herangeht, dann bekommt man eine Geschichte, die vor allem durch die brillante Beobachtungsgabe des Autors lebt. Es ist ein geradezu soziologisches oder sozialpsychologisches Werk, welches erschütternderweise auch noch auf wahren Begebenheiten beruht. Bis auf den Hyperbel-Anteil natürlich. Mitten in der Kulturrevolution verschickt das kommunistische Regime in China Millionen bürgerliche Jugendliche aufs Land, um dort von den Bauern „umerzogen“ zu werden. Schließlich sei der Kern der Revolution das Proletariat und nicht das Bürgertum. Herausgerissen aus ihren Familien und ihrer gewohnten Umgebung finden sich die Jugendlichen in kleinen landwirtschaftlichen Kommunen ein, welche von kommunistischen Kadern geführt werden. Auf einer dieser, von den Städten weit entfernten, Farmen begegnen sich die Studentin Guo Qiuyun und ihre Jugendliebe Yan Zhe wieder. Konfrontiert mit den harten Bedingungen der Landwirtschaft und den autoritären Funktionären bzw. deren bigotter Lebensweise will Zhe mittels eines von seinem Vater entwickelten Serums, die Farm in einen idealen Ort des menschlichen Zusammenlebens verwandeln. Dabei denkt Wang Jinkang die Gemeinschaft, den Sozialismus und Kommunismus konsequent hyperbolisch zu Ende. Bilden nicht Ameisen die perfekte kollektivistische Organisationsform? Und wäre hundertprozentiger Altruismus, totale Kooperation nicht der Traum des Gemeinwesens? Das Besondere an Wang Jinkangs Gesellschaftskritik ist dabei, dass er nicht einfach nur eine simple Anklageschrift verfasst, sondern die unterschiedlichen Perspektiven würdigt. Ein wenig so wie der Geist, der stets das Gute will und dabei das Böse schafft – in Umkehr von Mephistopheles. Und auch wenn die chinesische Geschichte hier Pate steht, ist die Transferleistung zu allen ideologischen Verblendungen, zu allem Fanatismus, auch dem wissenschaftlichen, nicht allzu schwierig.

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