Von:
Elke Metzner
aus Nürnberg
08.05.2008
Als ich das Buch ¿Aufs Unendliches Bezogen¿ fasziniert durchlas, überraschte mich, wie sehr sich unbeabsichtigt der dargestellte Inhalt mit dem letzten öffentlichen Vortrag des C.G.Jung ¿Instituts München vereinbaren läßt.
Unter dem Titel ¿Vom Seelenheil zum Wellnessglück¿ wurde dort aus religionssoziologischer Sicht Kritik geübt am heutigen Wellnesskult, an der verkaufsträchtigen Symbiose von profanierter Religiosität und Gesundheitskult.
Der Taoismus sei zur insgeheimen Weisheislehre der Mittelklasse des Westens aufgestiegen, als kosmozentrierte Religion, die den ¿Tod Gottes¿ bediene, einer Religion des ¿Ewigen Lebens¿ im Diesseits, der Selbsterlösung durch Selbstvervollkommnung, eine Religion, deren Programm zur sinnvollen Lebensführung als Do-it yourself-Maxime ausgelegt ist; eine Lehre der Weisheit fürs Leben, die sich für die Polis nicht mehr interessiere, deren Verantwortungsethik sich vom gesellschaftlichen Ganzen zur individuellen Eigensphäre verschiebt, von der Sozialverantwortung zum bloßen Kümmern um sich selbst.
Freilich finden sich diese scharfen Töne der Kritik an den vielfältigen spirituellen Suchbewegungen unserer Zeit nicht in dem von Eckhard Frick und Bruno Lautenschlager verfaßten Buch.
Leise Töne in dieser Richtung sind jedoch etwa dem Hinweis zu entnehmen, daß man Selbst-Erfahrung nicht ersitzen oder machen könne. Es sei konträr zu vielen zeitgenössischen Vorstellungen, die Selbst- Erfahrung antrainieren, sie produzieren zu wollen. Dies sei eine typisch westliche Vorstellung.
Gewarnt wird vor ¿Spiritualitätsexperimenten¿. Die Kompetenz der Religionen und ihrer Vertreter solle in die Pflicht genommen werden.
¿Sie sollen die Menschen für die größere Wirklichkeit offen halten, zugleich aber die spirituelle Dynamik kanalisieren und zu deren Integration beitragen. Er ( gemeint ist Jung) ermahnt die Institutionen, sich der Aufgabe neu zu stellen.¿
Bei spirituellen Erfahrungen dürfe es nicht um Varianten der Erlebnisgesellschaft gehen, sondern diese Erfahrungen müssen in die Realitätsbewältigung eingebracht werden- nach dem Vorbild des Ignatius von Loyola als ¿contemplativus in actione¿. Sowohl individuell erlebte Realitätserfahrungen als auch äußere politische und soziale Wirklichkeit wird in Verbindung mit spiritueller Tiefe gebracht.
Den beiden Autoren gelingt es, C.G.Jungs Arbeiten aus einer Rezeptionskrise herauszuhelfen. Diese Krise steht meines Erachtens in engem Zusammenhang mit C.G.Jung problematischer Haltung in der NS-Zeit und de, Ausbleiben seiner nachträglichen Bearbeitung dieses ¿Schattenthemas¿.
Um so bedeutsamer ist es, daß beide Autoren in dem Hiob-Kapitel den Niederschlag der historischen Erfahrungen insbesondere des 2.Weltkriegs und seiner Folgen in Jungs Auseinandersetzung mit seinem äußerst ambivalent erlebten Gottesbild darlegen.
Was Freud auf Grund der Erlebnisse des 1.Weltkriegs und der anschließenden politischen Veränderungen zur Formulierung eines dem Erosprinzip gleichmächtigen Thanatos/todesprinzip nötigte, scheint sich bei Jung in seinem Alterswerk in der Auseinandersetzung mit der Gestalt Hiobs zu spiegeln. Geschichtliches Erleben beeinflußt die Theoriebildung beider Männer. Durch den historischen Rahmen, in welchen die Autoren Jungs ¿Hiob¿ stellen, kann eine zentrale Verunsicherung und Erschütterung (wenngleich in der Opferrolle) gespürt werden.
Mit dem Hinweis , daß Jung im Gegensatz zu gläubigen Juden den hebräischen Gottesnahmen inflationär gebrauche, in fehlender Ehrfurcht Gott gegenüber, sowie auch in der immer wieder stattfindenden Ausblendung des Gemeinsamen, das den christlichen Glauben mit seinem jüdischen Mutterboden verbindet -
versäumen die Autoren nicht, auf einen Mißstand in Jungs Haltung der jüdischen Religion gegenüber hinzuweisen, seinem Negieren der jüdischen Religion, welche insbesondere seinem bedeutendsten Schüler Erich Neumann, schmerzliche Enttäuschung bereitete.
Die Autoren weisen darauf hin, daß diese Einstellung bis in die 70er Jahre hinein in der christlichen Theologie Gang und gäbe war.
Dem Vorwurf an die jungsche Psychologie , sich in ihrer Individuationsbemühung nicht auf geschichtliche Ereignisse zu beziehen, gesellschaftliche Verhältnisse außer Acht zu lassen, begegnen die Autoren, indem sie, wie schon erwähnt,
den Zusammenhang von historischen Ereignissen auf das von Jung erfahrene Gottesbild dargestellen ( Hiob).
Sie weisen auch auf die beeindruckende Auswirkung des Gottesbildes des Nikolaus von der Flüe auf die Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft hin .
Im Asklepeios-Kapitel wird Individuation als eine neue Offenheit für Beziehungen, für soziale und politische Verantwortung betont.
Das Vorhaben, die spirituelle Erfahrungsseite in ihrer zeitbedingten Gestalt ernst zu nehmen, die Problematik des sich wandelnden Gottesbildes und der damit einhergehenden persönlichen Entwicklung und Lebensführung darzulegen, gelingt den Autoren überzeugend.
Jungs eindeutige Stellung in der jüdisch-christlichen Tradition wird deutlich und damit auch der Ausgangspunkt seiner Spiritualität.
Alles in allem ist den Autoren und dem Kösel-Verlag zu danken für dieses spannend zu lesende und gut verständliche Buch. Es erscheint ebenso hilfreich für die in psychotherapeutische Ausbildung befindlichen Kollegen wie auch für interessierte Laien zu sein.
Was sonst selten der Fall ist: mir fielen eine Reihe von Freunden ein, welchen ich dieses Buch gerne schenken werde.