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Rezension zu
Zur See

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Das Erbe der Walfänger

Von: EKrafczyk
19.03.2023

Über Jahrhunderte lang verlief das Leben nach einer klaren Ordnung: Die Männer fuhren hinaus auf die See, auf Walfang, waren monatelang weg oder kamen gar nicht mehr zurück. Die Frauen warteten, zogen die Kinder groß, lebten mit der Angst und der Hoffung, ob das Schiff samt Ernährer sicher in den Hafen wieder einlaufen würde. Zäune aus den Knochen von Walen künden von der stolzen Vergangenheit - doch inzwischen sind sie beliebte Fotomotive für Touristen. Die Nachfahren der Walfänger sind zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden. Und weil alte Kapitänshäuschen oder überhaupt jegliche Immobilie als Zweit- und Ferienwohnsitz gefragt ist, wird Wohnraum für viele Inselbewohner unbezahlbar. In ihrem Roman "Zur See" beschreibt Dörte Hansen an Hand der alteingesessenen Familie Hansen diese Inselgesellschaft im Umbruch. Lakonisch, unaufgeregt, beobachtend und leicht distanziert ist der Schreibstil und so spricht auch Nina Hoss als Sprecherin der Hörbuchfassung. Angenehm zu hören, ohne dahinzuplätschern. Rykmer Sander scheint gleichsam für den Niedergang zu stehen - ein Kapitän, dann wegen seines Alkoholismus, immer weiter absteigend. Nun fährt er Touristen auf der Fähre, und Urnen und Angehörige zur Seebestattung. Das ist irgendwie hochsymbolisch. Seine Schwester Eske, eine Altenpflegerin, pflegt die alte Generation der Insulaner in ihren letzten Jahren und Monaten. Wenn sie Fahrzeuge mit fremden Kennzeichen sieht, drängt sie sie an den Straßenrand, hetzt sie gewissermaßen, um ihrem Unwillen gegen den Tourismus einen Ausdruck zu geben. Einst mussten die Inselkinder in der Saison im Verborgenen leben, um die Fremden in ihrem Urlaub nicht zu stören. Das ist nun die kleine Rache. Der jüngste Bruder, der mit Treibholzskulpturen gutes Geld macht, scheint der golden boy der Insel zu sein. Doch ein happy end wird es nicht geben. Der Inselpastor wiederum ist eine Art Zwitterwesen - vor langen Jahren auf die Insel gekommen, hat es gewissermaßen zwei Gemeinden zu betreuen: Die Urlauber und die Einheimischen, die Sommergemeinde und die im Rest des Jahres. So ist er wie ein Mittler zwischen den Welten, aber auch der Erklärer für die Leser. Die Sehnsucht nach dem Meer zieht die Fremden auf die Insel, ohne dass sie wirklich Zugang zur Gemeinschaft finden oder den Weg dorthin suchen. Und das Verhältnis der Insulaner zur See, die Nahrung gibt und Leben nimmt, war von jeher ambivalent. Schon der Mangel an Dialogen legt den Fokus auf Beschreibung von Landschaften, Stimungen, Gedakengängen. Das Kopfkino wird in Gang gesetzt mit Meeresrauschen, Wind und weitem Himmel, weckt die Sehnsucht nach dem Meer verbunden mit dem Wissen, dass der Zugang begrenzt ist. Hansen erzählt unaufgeregt, ruhig, dem langsamen Tempo auf der Insel angepasst. Die alte Heimat der Walfänger ist hier gleichzeitig ein Sehnsuchtsort und eine Utopie, in der die Vergangenheit nur noch Fassade ist.

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