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Rezension zu
Nachmittage

Nicht nur für Nachmittage ...

Von: Thomas Lawall
26.01.2023

Vielleicht sollte man aus der Vielzahl der Geschichten in Ferdinand von Schirachs neuem Erzählband eine ganz besondere zur genaueren Betrachtung herausnehmen, wobei dies die Qualität der anderen nicht abwerten soll, um potentiellen Leserinnen und Lesern die Lektüre dieses Buches ans Herz zu legen. Mindestens ein Grund für die besondere Beachtung jener "Nachmittage" bildet ein Treffen in Neapel, im real existierenden Caffè Gambrinus. Ob es sich bei dem 94jährigen Lorenzo ebenfalls um eine reale Existenz handelt, spielt eine untergeordnete Rolle. Jedenfalls soll er, wie man sich erzählt, ein Freigeist gewesen sein. Mit einem solchen sollte man ebenfalls ausgestattet sein, um das ganze Ausmaß von "Vierundzwanzig" erfassen zu können. Schließlich sei es erstaunlich, wie er sagte, was Philosophen "schon 500 Jahre vor Christus durch bloßes Nachdenken" herausgefunden haben, und was die Kirche ohne jedes Erbarmen später bekämpfen sollte. Eine Welt, die ohne jeden Gott und das Gegenteil existiert: "Wir sterben, zerfallen, die Atome ordnen sich neu, nur das sei der ewige Kreislauf." Lorenzo kennt viele Passagen des "wichtigsten Gedichts der Menschheit" auswendig. Lukrez' (Titus Lucretius Carus) "De rerum natura" (Über die Natur der Dinge) entstand im 1. Jahrhundert v. Chr. und eine Abschrift des sechsbändigen Lehrgedichts wurde glücklicherweise im 15. Jahrhundert in einem deutschen Kloster gefunden. Er wird nicht müde, den guten Weg zu beschreiben, auf dem die Menschheit sich befand, bis zum Beginn jener "sehr dunklen Zeit", als man den Menschen das Denken abgewöhnte. Dafür bekamen sie "Schuld, Sünde und Hölle". Nicht alle in diesem Buch versammelten Texte sind von derlei Gewicht und doch ziehen sie in ihrer Bedeutung einen, fast mathematisch präzisen, Strich unter die Summanden einer Addition von Lebenserfahrungen. Die Summe ergibt sich dann wie von selbst. Das können vier Tage in Paris sein, eine besondere Wohnung, das Treffen mit einer befreundeten Psychiaterin, Wittgensteins Zeitbegriff, ein geschichtsträchtiges Haus in Venetien, die Wichtigkeit von Interviews in Japan oder die Vorstellung eines "vollkommen sinnlosen Satzes" des schwedischen Schriftstellers Lars Gustafsson, welcher unter Umständen doch ganz gut zu verstehen ist. "Nachmittage" ist (auch) eine Art erweitertes Tagebuch. Persönliche Notizen schildern Begebenheiten, die das Leben und seine Überraschungen ständig erweitern, in Vielfalt verzweigen und in unwiederbringliche Momentaufnahmen zerlegen, die, wenn sie nicht sofort notiert werden, viel zu schnell schnell wieder verschwinden. Erbauliche Lektüre, nicht nur für Nachmittage.

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