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Rezension zu
Das pinke Hochzeitsbuch

Eindringlich und sanft

Von: Fraedherike
04.01.2023

„In der deutschen Sprache hatte ich keine Erinnerung [an die Flucht der Eltern]. Ich hätte alles erfinden müssen. Jedes Detail.“ (S. 71) Lange hatte er die Geister der Vergangenheit verdrängt, doch als ihn ein Anruf aus seiner Heimat erreicht, kommt alles wieder hoch: seine Großmutter ist gestorben. Die Frau, die ihn aufzog, als seine Eltern ihn in diesem Sommer 1984 nicht vom Bahnhof abholten. Er war gerade vom Sommercamp zurückgekommen, acht Jahre alt und Sommersprossen auf der Nase, und so froh, endlich wieder Zuhause zu sein. Alleinegelassen, wie ein unnützer Regenschirm. Als Pfand, während die Eltern mit seiner kleinen Schwester, kaum dass das Kriegsrecht in Polen gelockert wurde, nach Deutschland flohen. Was folgt, sind unerwartete Freiheiten – und Panik: Er wird von der Geheimpolizei befragt, das Wort Waisenhaus klingt in seinen Ohren. Ein Jahr später schließlich bekommt er die nötigen Ausreisepapier, nicht zuletzt dank seiner Großmutter, sie, die ihn vor den hinhaltenden Anrufen seiner Eltern bewahrte. Aber war es wirklich so? Wollte er nicht eigentlich ihre Stimme hören, das Versprechen, dass sie bald wieder vereint sein würden? Am Totenbett seiner Großmutter stehend sieht er plötzlich eine sich immer weiter ausbreitende Schrift an der Wand, die den Augen der anderen Trauergäste verborgen scheint. Und immer raumgreifender flechten sich die Erinnerungen ineinander, übereinander, bis er schließlich nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden kann. Wessen er sich jedoch sicher ist: Auch Jahrzehnte später sind die Narben nicht verheilt. Wird der Tod der Großmutter ihn mit seinen Eltern aussöhnen können? „Vielleicht bedeutete tot zu sein, als ein Schatten seines früheren Ichs herumzulaufen, der allen etwas ins Ohr flüsterte, um ein Leben vorzutäuschen.“ (S. 205) Schwermütig erzählt Przemek Zybowski in seinem Romandebüt „Das pinke Hochzeitsalbum“ mit dem sanften, um Rat suchenden Blick eines kleinen Jungen und aus der distanzierten, eher kühlen Perspektive des Mannes, der er geworden ist, von einem Leben zwischen Rast und Aufbruch, zwischen zwei Welten, die durch eine Grenze voneinander getrennt sind. Als blättere er durch ein Fotoalbum, beschreibt Zybowski abwechselnd Szenen der Vergangenheit, die den Erzähler in seiner Kindheit prägten, und lässt seinen Blick wieder in der Gegenwart schweifen, reflektierend, einordnend. Es sind die Momente der Einsamkeit und Ungewissheit ob seiner Zukunft, dem Verbleiben seiner Eltern, Enttäuschung und Zerrissenheit, nirgends dazuzugehören – weder zu den Nachbarsjungen, die ihn beim Fußballspiel torpedieren, noch später in Deutschland, wenn er wieder Wörter und Artikel vertauscht, abermals seinen Namen nennen muss, den niemand aussprechen kann –, die ihn mürbe machen. Das Einzige, das ihm Halt gibt, ist der Phoenix, der ihm eines Nachts erscheint, sein stiller Begleiter. Zwischen den Zeilen werden all die ungesagten Worte umso lauter zurückgeworfen, und ich konnte spüren, wie schnell sie durch seinen Kopf wirbelten, wie sich eine warme, bedrückende Atmosphäre über mich legte. Doch ein neues Bild, der Sprung in die Gegenwart, vertrieb sie: Der Erzähler des gegenwärtigen Strangs, die Großmutter am Totenbett betrauernd, hat eine unangenehme Kühle und Distanziertheit an sich, er ist offen berechnend – verletzt, noch immer, das ist klar. Dennoch konnte ich nur bedingt seine Perspektive einnehmen, mochte seine zuletzt zu Tage tretende Überheblichkeit nicht, wohl aber das Anklingen magischer Elemente – oder doch eher Anzeichen der Trauer, die in Wahn umschwingt? . Ein Roman, der mich inhaltlich wie sprachlich sehr bewegt hat, und der einen Blick auf eine Vergangenheit wirft, auf eine Welt, die Menschen zum Äußersten trieb. Eine Vergangenheit, deren Geschichten bis in die Gegenwart nachwirken – und darüber hinaus.

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