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Rezensionen zu
Das pinke Hochzeitsbuch

Przemek Zybowski

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€ 22,00 [D] inkl. MwSt. | € 22,70 [A] | CHF 30,50* (* empf. VK-Preis)

Grau sind der Himmel und die Landschaft zu dieser Jahreszeit. Die Äcker gepflügt. Die Dörfer in Nebel gehüllt. Trauer hängt in der Luft. Gekleidet im langen Schwarz duckt sich Radomsko vor den Ankömmlingen aus Deutschland. Ausgereist sind sie, geflohen 1984, als viele dem lockenden Klang des Westens folgten. Nun kommen sie wieder: der Sohn, die Mutter und der Vater. Der Sohn aus Berlin nach neun Stunden Fahrt. Die Eltern von sonst woher aus dem ungeliebten Deutschland, um des Enkels Babcia die Ehre zu erweisen, die Letzte. Keine leichte Fahrt für die getrennte Familie in die alte Heimat, wo Vergangenheit am grauen Putz der Häuser haftet. In den Bäumen das Krähen der Raben, das nicht willkommen heißt. Im überhitzen Wohnzimmer nun die Verwandtschaft, die die Ankunft unruhig erwartet. Den Enkel, die Tochter, den Schwiegersohn. Über 30 Jahre und kein Friede, keine Vergebung zwischen den Generationen für den vermeintlichen Verrat an der Familie und an Polen. Ausgerechnet zu den Deutschen mussten sie gehen. Den Sohn zurückgelassen für die geglückte Flucht. Radomsko in der Woiwodschaft Łódź mit dem Enkel, der nicht begriff, dass die Eltern nicht wiederkommen. Ihn zurückließen bei seiner Babcia im Jahre 1984. „Dabei war es mein persönlicher Schmerz, das Verschwinden der Nachbarn […] es hat das Land verwüstet, für hunderte von Jahren, für immer […] Vielleicht ist es ähnlich mit den Beziehungen in einem selbst, mit der Liebe, sie kann verschwinden und nie wiederkommen […]“ (S. 201) Das Haus der verstorbenen Großmutter bildet sowohl das Zentrum und als auch den historischen Anker in Przemek Zybowski Debütroman ‚Das pinke Hochzeitsbuch‘. Am Totenbett treffen persönliche Erinnerungen auf längst vernarbte Wunden mit Verwünschungen und Anklagen. Anklagen an sich selbst im Verlassen sein und sich verlassen fühlen. Vorwürfe an die Eltern, die das Unglück des Protagnisten nicht verstehen, nicht annehmen wollen. Auf 219 Seiten verhandelt Zybowski in ruhiger, beinahe mystischer Sprache die Zerrissenheit einer Gesellschaft anhand des zurückgelassenen Enkels, der entwurzelter Profiteur der Flucht seiner Eltern wurde. Ein erstarrtes Land, das blutet vor lauter Vergangenheit und der Sehnsucht, die stets nur solange trägt, wie sie unerfüllt bleibt. ‚Das pinke Hochzeitsbuch‘ ist ein Zwei-Ebenen-Roman, der changiert zwischen Gegenwart und Retrospektive. Die wechselseitigen Erzählungen aus Sicht des Ich-Erzählers und Protagonisten Anhelli verwebt der Autor dialektisch zu einer synthetischen Gegenwart, einem postsozialistischen Märchen mit Phantasie und unaufgeregtem Pathos. Die gelungene Übersetzung trägt Stimmung und Tonalität einer existenziellen Suche nach dem eigenen Ort. Dem Ort, wo man sein möchte und kann, wie man ist. ‚Das pinke Hochzeitsbuch‘ stellt Fragen unter den vielen möglichen Himmeln, die darauf Antwort geben (können).

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„In der deutschen Sprache hatte ich keine Erinnerung [an die Flucht der Eltern]. Ich hätte alles erfinden müssen. Jedes Detail.“ (S. 71) Lange hatte er die Geister der Vergangenheit verdrängt, doch als ihn ein Anruf aus seiner Heimat erreicht, kommt alles wieder hoch: seine Großmutter ist gestorben. Die Frau, die ihn aufzog, als seine Eltern ihn in diesem Sommer 1984 nicht vom Bahnhof abholten. Er war gerade vom Sommercamp zurückgekommen, acht Jahre alt und Sommersprossen auf der Nase, und so froh, endlich wieder Zuhause zu sein. Alleinegelassen, wie ein unnützer Regenschirm. Als Pfand, während die Eltern mit seiner kleinen Schwester, kaum dass das Kriegsrecht in Polen gelockert wurde, nach Deutschland flohen. Was folgt, sind unerwartete Freiheiten – und Panik: Er wird von der Geheimpolizei befragt, das Wort Waisenhaus klingt in seinen Ohren. Ein Jahr später schließlich bekommt er die nötigen Ausreisepapier, nicht zuletzt dank seiner Großmutter, sie, die ihn vor den hinhaltenden Anrufen seiner Eltern bewahrte. Aber war es wirklich so? Wollte er nicht eigentlich ihre Stimme hören, das Versprechen, dass sie bald wieder vereint sein würden? Am Totenbett seiner Großmutter stehend sieht er plötzlich eine sich immer weiter ausbreitende Schrift an der Wand, die den Augen der anderen Trauergäste verborgen scheint. Und immer raumgreifender flechten sich die Erinnerungen ineinander, übereinander, bis er schließlich nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden kann. Wessen er sich jedoch sicher ist: Auch Jahrzehnte später sind die Narben nicht verheilt. Wird der Tod der Großmutter ihn mit seinen Eltern aussöhnen können? „Vielleicht bedeutete tot zu sein, als ein Schatten seines früheren Ichs herumzulaufen, der allen etwas ins Ohr flüsterte, um ein Leben vorzutäuschen.“ (S. 205) Schwermütig erzählt Przemek Zybowski in seinem Romandebüt „Das pinke Hochzeitsalbum“ mit dem sanften, um Rat suchenden Blick eines kleinen Jungen und aus der distanzierten, eher kühlen Perspektive des Mannes, der er geworden ist, von einem Leben zwischen Rast und Aufbruch, zwischen zwei Welten, die durch eine Grenze voneinander getrennt sind. Als blättere er durch ein Fotoalbum, beschreibt Zybowski abwechselnd Szenen der Vergangenheit, die den Erzähler in seiner Kindheit prägten, und lässt seinen Blick wieder in der Gegenwart schweifen, reflektierend, einordnend. Es sind die Momente der Einsamkeit und Ungewissheit ob seiner Zukunft, dem Verbleiben seiner Eltern, Enttäuschung und Zerrissenheit, nirgends dazuzugehören – weder zu den Nachbarsjungen, die ihn beim Fußballspiel torpedieren, noch später in Deutschland, wenn er wieder Wörter und Artikel vertauscht, abermals seinen Namen nennen muss, den niemand aussprechen kann –, die ihn mürbe machen. Das Einzige, das ihm Halt gibt, ist der Phoenix, der ihm eines Nachts erscheint, sein stiller Begleiter. Zwischen den Zeilen werden all die ungesagten Worte umso lauter zurückgeworfen, und ich konnte spüren, wie schnell sie durch seinen Kopf wirbelten, wie sich eine warme, bedrückende Atmosphäre über mich legte. Doch ein neues Bild, der Sprung in die Gegenwart, vertrieb sie: Der Erzähler des gegenwärtigen Strangs, die Großmutter am Totenbett betrauernd, hat eine unangenehme Kühle und Distanziertheit an sich, er ist offen berechnend – verletzt, noch immer, das ist klar. Dennoch konnte ich nur bedingt seine Perspektive einnehmen, mochte seine zuletzt zu Tage tretende Überheblichkeit nicht, wohl aber das Anklingen magischer Elemente – oder doch eher Anzeichen der Trauer, die in Wahn umschwingt? . Ein Roman, der mich inhaltlich wie sprachlich sehr bewegt hat, und der einen Blick auf eine Vergangenheit wirft, auf eine Welt, die Menschen zum Äußersten trieb. Eine Vergangenheit, deren Geschichten bis in die Gegenwart nachwirken – und darüber hinaus.

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1984 wird der 8-jährige Erzähler im polnischen Radomsko bei seiner Großmutter zurückgelassen. Die Eltern sind heimlich mit seiner Schwester nach Deutschland geflüchtet. Jahre später erinnert er sich am Totenbett seiner Großmutter an das Jahr, das er alleine mit ihr in Polen verbracht hat. Die Handlung wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen die verschwommenen Erinnerungen des 8-Jährigen. Parallel reflektiert der Protagonist die Erlebnisse. Im Fokus: das Verhältnis zu seinen Eltern. Obwohl er ihnen viel verdankt, kann er ihnen auch nach Jahren nicht verzeihen. Der Vorwurf der Schuld schwebt über der ganzen Familie. Przemek Zybowskis Protagonist hat ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland. Er wird vom Blick seiner Großmutter auf “die Deutschen” und ihren Erinnerungen an den Krieg geprägt. In der Familie herrscht Unverständnis für die Entscheidung der Eltern, ins “Täter-Land” zu flüchten. Gleichzeitig hat er aber auch ein schwieriges Verhältnis zu Polen. Seine eigene Ausreise hängt von der Willkür der polnischen Elite ab. Dementsprechend entwickelt er früh ein Gefühl von Ungerechtigkeit dem Staat gegenüber. Ein richtiges Heimatgefühl spürt er in keinem der beiden Länder. Sprachlich hätte der Roman deutlicher sein können. Er lebt eher von Umschreibungen als von klaren Botschaften. Gepaart mit den verschwommenen Erinnerungen bleibt vieles nebulös. Gut gefallen hat mir, dass die Perspektive zwischen beiden Handlungssträngen wechselt. Der allwissende Erzähler in der Vergangenheit wird der Ich-Perspektive in der Gegenwart gegenübergestellt, ein schönes Spiel zwischen Nähe und Distanz.

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»Das pinke Hochzeitsbuch« ist Przemek Zybowskis Debütroman und ist gefüllt mit allerhand autobiografischen Elementen. So floh der Autor selbst 1985 aus Polen Richtung Westen auf der Suche nach Freiheit – damals noch keine zehn Jahre alt. Es ist ein Buch über Trauer und Verlust, über das alleine sein und das allein gelassen werden. Zu einer Zeit, als die Welt in zwei große Blöcke gespalten war, getrennt von einer nahezu unpassierbaren Mauer, wuchs die Hoffnungs- und Trostlosigkeit zu einer solchen erdrückenden Masse an, dass unzählige Menschen ihr Leben riskierten, um Richtung Westen zu fliehen. Doch steht die Flucht nicht im Mittelpunkt des Werkes. Viel mehr ist es eine Mischung aus jenen Gefühlen, die mit einer Flucht einhergehen. Obwohl das Buch durchaus Emotionalität erzeugt, kratzt es doch zu oft an der Oberfläche. Während die Perspektive des Jungen – der später zum Mann heranwächst – eine deutliche innere Verletztheit zum Ausdruck bringt, fehlt doch der letzte Funke, um das Buch wirklich packend werden zu lassen. Die Stimmung, die im Werk aufkommt, wird nicht in dem Maße genutzt, in dem es hätte geschehen können. So wird viel Potential liegen gelassen. Sprachlich ist es eher schlicht, tendiert aber zu einer emotionalen Stimmung, die ebenfalls ausbaufähig erscheint. Doch trotz der Kritik ist das Buch eine wichtige Perspektive in der historischen Auseinandersetzung mit der Zeit des Kalten Krieges. Es ist eine Erinnerung, wenn auch eine sehr subjektive, die häufig vergessen wird: Das Schicksal jener Kinder, die bei der Flucht der Eltern zurückgelassen wurden. Die seelischen Narben, die dadurch entstanden, sitzen tief und tragen noch lange Jahre ihre Früchte. Noch heute sind viele Traumata nicht aufgearbeitet. Zybowskis Erinnerung verpackt er geschickt in Fiktion, hüllt sie so vorsichtig ein und packt sie weich beiseite. Doch kommen sie immer wieder an die Oberfläche, zeigen sich zaghaft und verhelfen dem Buch so zu seinem Glanz. Trotz Kritik bleibt es ein spannendes Werk, das noch viel Potential in sich trägt.

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