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Rezension zu
Biest

Unnötig enge Bindung an „Of Mice and Men“. „Biest“ von Ane Riel wirkt unentschlossen.

Von: Sören
18.07.2022

„Biest“ von Ane Riel beginnt mit einem seiner Denk- und Redeweise nach etwas einfach gestrickten jungen Mann, der sich versteckt. Sein Freund, der auf ihn aufpasst, hat ihn angewiesen, wenn etwas schief geht, an diesem Ort zu warten. Mit dem jungen Mann geht wohl öfter etwas schief. Er tötet Tiere, die er streicheln will, und diesmal könnte möglicherweise etwas mit einem Menschen schief gegangen sein… Wer das liest, und mein bisschen Ahnung von Literatur hat, weiß gleich: Das ist das Ende von „Of Mice and Men“. Eine der stärksten emotionalen Erzählungen der Literaturgeschichte, und entsprechend schon mehr oder weniger das Eingeständnis der Autorin, sich mit diesem Roman auf die Nase legen zu wollen. Wer einen Roman so eng an ein Meisterwerk anlehnt, dass ganze Szenen wiederholt werden, schafft hoffentlich ein Werk, das mindestens ebenso stark ist wie das Vorbild, sonst kann es nicht funktionieren. Und was soll ich sagen. Es funktioniert nicht. Bzw: Der Rest des Romans wäre eine ganz ordentliche ländliche Geschichte von Liebe, Gewalt und einem Kind, das mit einem Myostatin-Defizit geboren ist, so dass es ein unglaubliches Muskelwachstum aufweist. Diese Geschichte, die schätzungsweise 450 der 500 Seiten ausmacht, geht in etwa so (ich warne hiermit – um den Text verständlich zu besprechen, werde ich über den Inhalt schreiben müssen, das nennt man dann wohl „Spoiler“): Mirko verliebt sich in seine etwas ältere Nachbarin Danica. Die geht mit fast jedem Wanderarbeiter ins Bett, der vorbeikommt. Irgendwann bleibt der Wanderarbeiter Karl bei ihr, die beiden bekommen ein Kind (das Muskelkind, Leon, siehe oben) und heiraten. Mirko kümmert sich gern um das Kind, das die meisten anderen Menschen, einschließlich der Eltern, eher befremdlich finden. Darüber baut er auch eine Verbindung zur Nachbarin auf. Mirkos Eltern schicken ihn irgendwann zur Sicherheit nach Amerika, da sie eine Affäre fürchten. Als Mirko zurück kommt, beginnt er genau diese Affäre mit der Nachbarin. Die Ehe liegt da eigentlich schon in Stücken, der Mann plant seine Flucht. Die Frau schläft auch wieder mit allen möglichen Wanderarbeitern. Irgendwann wird der Mann gegenüber der Frau gewalttätig und Mirko erschlägt den Mann. Es geschehen noch ein paar weitere schreckliche Dinge und Mirko flieht mit dem Kind. Und ganz zum Schluss erfahren wir dann auch noch von der anderen Sache, die möglicherweise schiefgegangen sein könnte, wegen der sich das Kind, mittlerweile selbst ein erwachsener Mann, versteckt und auf Mirko wartet. Mit etwas Aufmerksamkeit entdeckt man das Problem leicht: Das, was im Roman Spannung erzeugen soll, hat nicht viel zu tun mit dem, was im Roman erzählt wird. Wir haben am Anfang die Situation wie in „Of Mice and Men“ und bekommen die Frage vorgelegt: was ist passiert? Das heißt: Was ist in den letzten Stunden passiert, das dazu führt, dass der junge Mann sich verstecken muss? Wird Mirko wiederkommen? Sind die beiden in Gefahr? Erzählt wird stattdessen ein ganz anderes „was ist passiert?“, nämlich in größtenteils chronologischer Abfolge, was in den letzten 20 Jahren passiert ist, dass die beiden überhaupt in diese Situation gebracht hat. Beziehungsweise noch nicht mal das, denn die entscheidenden ca. 10 Jahre auf Wanderschaft, zwischen Flucht und Vorfall, sind ausgespart. Die Kindheitsgeschichte wiederum ist nicht sonderlich spannend, erzählt eher im Stile eines klassischen Familienromans, aber im Vergleich deutlich Holzschnittartiger, in leicht fassbaren Klischees. Zum gelungenen Roman in dieser Gattung, etwa, um bei Steinbeck zu bleiben, „Grapes of Wrath“ oder „East of Eden“, fehlt vieles: Die genaue Individuation der Figuren, die lebendigen Dialoge, die detaillierte Verknüpfung des Individuellen mit dem Gesellschaftlichen. Trotzdem liest sich die Hauptgeschichte halbwegs interessant, man langweilt sich nicht. Allerdings fragt man sich eben immer wieder: Was soll diese Rahmenhandlung? Wenn eine solche vorhanden ist, sollte diese doch mit äußerster Konsequenz mit dem Ganzen der Erzählung verknüpft sein. Und nicht einfach nur etwas, auf das die Erzählung so hin läuft, während das, was geradezu als das eigentliche Thema der Rahmenhandlung aufgeworfen wurde, über den Großteil des Romans unter ferner liefen behandelt wird. Zumal es dann nicht mal eine Überraschung gibt. Das Ende ist wieder in groben Zügen das von „Of Mice and Men“. Warum muss man sich aber auch diese zusätzliche Schwierigkeit machen und einen Vergleich mit Steinbeck erzwingen? Das muss doch ebenso schiefgehen wie etwa der von Kumpfmüller erzwungene Vergleich mit Virginia Woolf („Ach, Virginia“). Der gesamte Roman wirkt ziemlich unentschlossen. Da überrascht es dann auch nicht, dass die Autorin im Nachwort verrät, zuerst allein die Geschichte von dem Jungen mit den Superkräften in Jylland in den 1980ern angesiedelt zu haben, dann nach einer Lektüre von „Of Mice and Men“ sich entschieden zu haben, das Ganze in ein undefiniertes südosteuropäisches Land zu verlagern. Sie habe sich dann auch entschlossen, die Handlung von Jylland ins Tagelöhner-Milieu zu transportieren, so die Autorin weiter. Das stimmt noch nicht einmal wirklich. Am Anfang kommen zwar ein paar Tagelöhner vor, doch nur als gesichtslose Liebhaber. Und Karl ist zwar Tagelöhner, aber indem er in die Handlung tritt, hört er auf, Tagelöhner zu sein. Der Roman spielt nicht im Tagelöhner-Milieu, auch wenn Mirko und Leon anscheinend zu der Zeit, da die Begebenheit, die die Rahmenhandlung auslöst, geschieht, Tagelöhner sind. Doch aus dieser Zeit wird ja nicht erzählt. Sondern: „Of Mice and Men“ spielt im Tagelöhner-Milieu. Biest spielt eindeutig und fast ausschließlich im dörflichen/bäuerlichen Milieu, durch das Tagelöhner durchziehen. Das finde ich durchaus bemerkenswert: eine quasi Falschangabe über das Milieu, in dem ein Roman spielt, in einem Nachwort von der, die ihn geschrieben hat. Alles verstärkt den Eindruck von einem Text, der ganz anders geplant war, doch dann aus den Fugen ging. Wie gesagt, kein Totalausfall, aber auch keine wirkliche Empfehlung.

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