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Rezension zu
Schützenfest

Pure Notwehr

Von: Thomas Lawall
08.01.2022

Wie Bernemann schreibt? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall mit beiden Fäusten. Und in Standbildern. Eines nach dem anderen und eines gnadenloser als das andere. Das fängt bereits in den ersten Zeilen mit jener Abschiedsszene an. Nicht nur Montage sind scheiße, sondern auch und besonders Donnerstage. Dabei möchte man doch viel lieber "den Abwasch machen, Tiere streicheln, Rolltreppen fotografieren." Ein Tipp: Langsam lesen, um nicht von der Bilderflut überrannt zu werden. Gemütlich zurücklehnen ist eher angesagt. Entspannung sei angeraten, unter Zuhilfenahme des einen oder anderen Bierchens und vielleicht dem unsäglichen Gesöff in den winzigen Flaschen, welches angeblich nur nette Leute trinken. Warum diese gediegene Atmosphäre? Ganz einfach: Es wird unangenehm. Ziemlich. Das Leben in der Stadt ist Zumutung genug, aber wenigstens abwechslungsreich. Einer Katastrophe folgt die nächste. Das kann im Extremfall sogar Spaß machen. Weniger erfreulich gestaltet sich dann das Leben, zu dem man ungefragt zur Teilnahme und Bewältigung gezwungen wurde, auf dem Lande. In Reckfeld, Dörrfeld oder sonst wo. In letzterem bis Ende zwanzig in Wohnhaft, entschied sich Gunnar Bäumer zur Flucht in die gelobte Stadt Berlin. Ein sicher nicht in allen Punkten optimal gewählter Schritt und dennoch genau der richtige, um dem Mief des Elternhauses und der drohenden Eingleisigkeit einer provinziellen Gegenwart und Zukunft zu entkommen. "Heimat, überwindbares Areal." Für eine Woche kehrt der verlorene Sohn zurück, um das Haus seiner Eltern während deren Urlaubsreise an die Nordsee zu hüten. Rosen gießen, Fische füttern und so. An eine vermeintliche Erholung von all dem Lärm und Krach der Stadt ist jedoch nicht zu denken. Allein die Kindheitserinnerungen, die plötzlich wie Unkraut aus allen Ecken des Hauses sprießen, wollen ertragen werden. Leider bleibt es nicht bei diesen Lähmungserscheinungen, denn zwangsläufig trifft man jene Menschen wieder, die man längst in Vergessenheit wähnte. Gunnar will jedoch nicht die abgehobene Position eines eingebildeten Stadtmenschen einnehmen und versucht sich mit den alten Kumpels einigermaßen zu arrangieren. Eine Fehlkalkulation, wie sich herausstellt. Für ihn gleichermaßen wie für die in ihrer Entwicklung Stehengebliebenen. Der größte Fehler jedoch war die Zusage für ein gemeinsames Treffen auf dem aktuell angesagten Schützenfest. Das Drama beginnt, wie sich das laut traditionellem Regelwerk gehört, mit einem Festumzug, "Dümmste ironische Militärinszenierung," und setzt sich mit einem Massenbesäufnis im Festzelt fort... Dirk Bernemann gefällt sich "immer weniger" in seiner Rolle als Nörgler und Zweifler. Auch vor der eigenen Tür kann er kehren. Schließlich teilt er mit jenen in Sackgassen parkenden Dörflern und deren durchgeplanten Lebensentwürfen immerhin gewisse Berührungspunkte. Wirklich zufrieden ist er ebenfalls nicht, "nur woanders unglücklich." Also schon wieder ein Buch, das zur Lebensberatung nix taugt? Vielleicht ist es eben doch die Hauptsache zu wissen, wie man NICHT leben will. Darin waren wir doch früher alle ganz groß. Wozu hat man sonst die Heimat verlassen? Ob die Wurzeln vollständig gekappt wurden, steht dann auf einem ganz anderen Blatt. Egal. Das Buch ist für Freunde der gepflegten Sozialkritik ein wahres Schützenfest. Bernemanns Breitseiten sind nicht etwa diffuse Verunglimpfungen, sondern pure Notwehr.

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