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Rezension zu
Die andere Hälfte der Welt

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Fünf Sterne für eine Welt ohne Männer

Von: Michael Kothe
18.10.2021

Für Eilige: Die Leseprobe hatte mich neugierig gemacht: Eine Welt ohne Männer! Geht es Christina Sweeney-Baird um die Überbevölkerung, das Problem, das Dan Brown in Inferno angeprangert hat? Beugt sie sich am Ende wie er dem Mainstream? Nein, das hat sie nur einmal angerissen: Der Klimawandel bildet sich zurück, da die Weltbevölkerung im Jahr 2025 auf 55% des bis dahin aktuellen Umfangs zurückgeht. Doch das ist nicht Gegenstand des Romans. Das Werk lebt von Gefühlen, von den Gefühlen der Frauen und von ihren Schicksalen. Wie aber passt das mit dem lockeren, selbstironischen Schreibstil zusammen? Die Ernsthaftigkeit greift ebenso schnell Raum, wie der Leser begreift, dass sich die Welt im Krieg befindet: im Krieg gegen ein tödliches Virus. Inhalt: Im Einzelnen eine Handlung wiederzugeben, fällt mir schwer. Sweeney-Baird verfolgt das Schicksal eines halben Dutzends Frauen, die ihre Ehemänner, Söhne oder Väter verlieren. Wie gehen sie damit um - versinken sie in Verzweiflung oder in blindem Aktivismus? Oder stellen sie sich der Situation und arbeiten an einer neuen Weltordnung? Die Welt wird anders mit nur 10% der Männer. Politik, Wirtschaft, Bildung - alles ändert sich für die Gesellschaften. Evakuierungsprogramme, Arbeitszwang, Rationalisierung - alles ändert sich für die Frauen und die verbliebenen Männer. Manche Schicksale werden erst am Ende des Romans zusammengeführt: im Licht einer neuen Weiblichkeit mit gestiegenem Selbstbewusstsein, mit Erfahrung in neuen Berufen und dem eisernen Willen, die Rasse Mensch nicht aussterben zu lassen. Schreibstil: Ein Buch in gefühlten 100 Kapiteln, alle erzählt aus der Ich-Perspektive. Das machte es mir anfangs schwierig zu erkennen, wer die Erzählerinnen dieser Kapitel waren und welche Rolle sie spielten. Raffiniert führt die Autorin im Verlauf des Protokolls die Schicksale, Aufgaben und Gefühle zusammen. Mit dem Verlauf der Pandemie ändert Sweeny-Baird den Schreibstil. Von der anfänglichen Leichtfüßigkeit und Selbstironie bleibt Schritt für Schritt immer weniger übrig. Die Sprache kennzeichnet die jeweiligen Charaktere, indem sie die Gefühle und Stimmungen treffend formuliert: Verzweiflung klingt anders als Zuversicht und Durchhaltewillen, Resignation anders als Hilfrsbereitschaft, Aggression anders als Verständnis und Aufopferung. Das nimmt dem in Protokollform (Person, Tag der Pandemie seit dem Ausbruch, Ort der jeweiligen Protagonistin) strukturierten Buch jeglichen Anschein nüchterner Berichterstattung, man will, man muss weiterlesen! Die Maschen, in denen die Schicksale miteinander verwoben sind, werden immer enger. Die Gefühle wirken stets authentisch, wodurch die Dramatik betont wird, ohne reißerisch zu wirken. Bilder aus der Kriegs- und Nachkriegszeit machen Die andere Hälfte der Welt sowohl nachvollziehbar als auch dringlich mahnend. Fazit: Nachdem man sich über die Struktur des Buches klargeworden ist, will man es nicht mehr aus der Hand legen. Packend geschrieben bietet es eine Perspektive fernab von heutiger Umweltzerstörung und Überbevölkerung. Einfach eine neue Weltordnung des Matriarchats. Für mich als Leser haben die geschilderten Konsquenzen einer männermordenden Pandemie Hand und Fuß. Trotz aller Dramatik und trotz des sich ändernden Rollenverständnisses hin zur weiblichen Vorherrschaft ist das Buch keine verbittert klingende Abrechnung mit der Dominanz der Männer in Beruf, Wirtschaft und Politik. Es ist eine Alternative, die es gilt ernsthaft und geschlechterneutral zu betrachten. Dadurch, dass die Autorin die ganze Welt in den Fokus rückt, wird das Buch neben einem Roman zur Kritik an unserer heutigen Gewohnheit, nichts als System zu betrachten, sondern alles in manchmal widerstreitenden Subsystemen optimieren zu wollen: Das System als Ganzes, die Welt an sich bleibt ohne diese Sicht auf der Strecke. Aber egal, welchen Aspekt der Leser in den Vordergrund stellt: Sweeney-Bairds andere Hälfte der Welt ist eine packende und lesenswerte Lektüre.

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