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Rezension zu
Wir bleiben noch

Eine Demokratie zu Weihnachten

Von: Lydia
15.04.2021

In Daniel Wissers „Wir bleiben noch“ lernen wir Victor kennen, der gerne Geschichten von früher erzählt. Außerdem noch seine große Liebe, die er nach 30 Jahren (wieder)gefunden hat. Neben der liebenswerten Oma Urli treffen wir auch den Rest der großen Familie und begleiten Victor von Kinderwunsch, über Scheidung und wieder Kinderwunsch auf dem Weg in seinen neuen (besseren, vielleicht sogar letzten?) Lebensabschnitt. Von Seite eins an hatte ich große Sympathie mit ihm, obwohl man direkt in eine unschöne Situation hineinstolpert, in der er sich wirklich hässlich verhält! Trotz all seiner Marotten wirkt er jugendlich und sympathisch, man wäre gerne mit ihm befreundet. Am besten gefällt mir seine trockene und sarkastische Art. Die zentrale Liebesgeschichte kommt trotz ihrer Brisanz unaufgeregt und irgendwie selbstverständlich daher. Ich fand und finde sie noch immer merkwürdig, habe aber die ganze Zeit über auf der Seite der beiden gestanden. Sie passen perfekt zueinander, haben die gleichen Hassobjekte und ergänzen sich charakterlich perfekt, von ihrem Sexleben ganz zu schweigen! Auch als es im Verlauf der Geschichte ernster wird, spürt man die Verbundenheit der beiden. Zu Beginn störten mich die Textpassagen, die als Chatnachrichten samt Emojis daherkamen. Aber so wie auch Victor, habe ich mich daran gewöhnt und sie sogar ein bisschen liebgewonnen. Immer präsent ist das Geschehen in der Familie, die irgendwann zu zerfallen droht. Mich und meine eigene erkenne ich oft wieder, wenn bei Beerdigungen, Geburtstagen, oder anderen Zusammenkünften politische, moralische und menschliche Konflikte auftreten - so wird es vielen gehen. Auch das aktuelle politische Geschehen in Österreich ist mit eingebunden. Und selbst wenn es Victor (benannt immerhin nach dem Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei) nicht schafft, endlich die großen Werke der Weltliteratur zu lesen, so doch ein paar Seiten in Kautskys sozialdemokratischen Schriften. Ihm wird irgendwann auch bewusst, was in seiner Generation schiefgelaufen ist und dass die Schuld nicht (nur) an die vorherige abgegeben werden kann… Seinen politischen Standpunkt macht er immer wieder deutlich, wobei das nie aufdringlich passiert, dafür mit viel schwarzem Humor. Die Handlungsorte Wien und die österreichische Provinz sind dezent im Hintergrund. Nie zu detailreich beschrieben, erzeugen sie doch immer die passende Atmosphäre. „Wir bleiben noch“ hat einen angenehmen personalen Erzähler, der einen mit Leichtigkeit, viel Witz und manchmal auch Melancholie durch die Geschichte führt. Die knackig kurzen Kapitel unterbrechen den Lesefluss nicht und sorgen dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Ein Buch für alle, die noch an die Liebe und Demokratie glauben!

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