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Rezension zu
Räuber

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Politisch und gesellschaftliches hochrelevantes Thema brillant umgesetzt

Von: Daniela A.
14.04.2021

Olli Leber ist 25, lebt mit seiner Mutter in einer heruntergekommenen Sozialsiedlung am Rande des In-Viertels Prenzlauer Berg und hilft als Bauarbeiter bei der Errichtung von Quartieren, die Menschen wie er sich längst nicht mehr leisten können. Dabei gab es auch mal andere Zeiten: Als Olli Kind war, konnte sich die Familie am damals noch nicht ganz so angesagten "Prenzlberg" eine schöne Wohnung leisten. Dass er sich heute mit der Mutter eine verwohnte Bleibe teilen muss, liegt nur zum Teil daran, dass der Vater gerade an den Spätfolgen eines Arbeitsunfalls gestorben ist. Der eigentliche Grund heißt: Gentrifzierung. Immer wenn die Nachbarschaft ein bisschen schicker wurde, sprich eine weitere Modernisierungswelle durchs Viertel rollte, ging das zu Lasten der "kleinen Leute", die sich die Mieten in den kernsanierten Häusern nicht mehr leisten konnten und nicht nur im übertragenen Sinne immer weiter an den Rand gedrängt wurden. Der Umzug in die abgerockte Siedlung direkt an den Bahngleisen sollte eigentlich der letzte sein, doch dann der Schock: Die Sozialbindung läuft aus, der Häuserblock wurde an einen Investor verkauft. Olli weiß, was das bedeutet: Menschen wie ihn und seine Mutter will man in den angesagten Wohnlagen endgültig nicht mehr haben. Doch anstatt sich zu fügen, beschließt er zu kämpfen - notfalls mit unlauteren Mitteln. Schließlich geht die Gegenseite ja auch nicht zimperlich vor, wenn es darum geht, die eigenen Interessen durchzusetzen. Hilfe bekommt Olli von unerwarteter Seite: Amelie, Journalistin mit gutbürgerlichem Hintergrund ist eigentlich die typische Gentrifiziererin. Als sie einige Monate zuvor für eine Story über den Wohnungsmarkt und die Verdrängung der unterpriviligierten Schichten recherchierte, war Olli einer ihrer Interviewpartner. Als die beiden sich zusammentun, steht der Schuldige für Ollis Misere schnell fest: der ebenso skrupellose wie charismatische Falk Hagen, der als Politiker einst in die Wege leitete, dass auch die letzten Siedlungen in den angesagten Vierteln aus der Sozialbindung fielen - um jetzt, als Unternehmer in der Baubranche, genau davon zu profitieren. Der Plan, den Olli und Amelie aushecken, ist schlicht aberwitzig und genau genommen an Realitätsferne kaum zu überbieten. Aber warum auch nicht? Schließlich handelt es sich nicht um ein Sachbuch, sondern um einen Roman. Und da ist Eva Ladipo ein superspannendes Stück Literatur mit einem großartigen Spannungsbogen gelungen. Davon unbenommen, hat sie sich eines großen und wichtigen aktuellen Themas angenommen. Wie bereits in ihrem ersten Roman "Wende" versteht sie es meisterlich, bestens recherchierte historische und gesellschaftliche Fakten in erstklassige Unterhaltung zu verpacken - und damit mehr zu erreichen, als es ein Schul- oder Sachbuch jemals könnte. Sehr eindrucksvoll gelungen sind auch die scheinbar beiläufig eingestreuten Bilder, die die Ohnmacht der "Abgehängten" gegenüber der wohlhabenden, gebildeten Schicht zeigen. Besonders nachdrücklich hat sich mir die Szene der Beerdigung von Ollis Vater gleich zu Beginn des Buches eingebrannt: Nachdem klar war, dass der Vater nicht mehr lange leben würde, hat die Mutter sich monatelang jeden Euro vom Mund abgespart, um ihm eine würdige, feierliche Beerdigung zu ermöglichen. Am Friedhof angekommen, wird die kleine Trauergesellschaft aber wie ein lästiger Störfaktor behandelt: Zur Trauerfeier in der Kapelle gibt es eine kurze, unpersönliche Rede, nachdem der Pastor sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die Infos und biografischen Details zu lesen, die Ollis Mutter sorgfältig zusammengestellt hatte. Anschließend geht es durch den Hinterausgang zum Grab, an dem ein ehrenamtlicher Hilfsgeistlicher den Rest übernimmt. Man will nämlich der nächsten Trauergesellschaft, die sich offensichtlich aus gutbürgerlichen Kreisen rekrutiert, sowohl unnötige Wartezeiten als auch den Anblick des kleinen Häufleins armseliger Proleten ersparen.

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