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Rezensionen zu
Die Architektin

Till Raether

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„Wie alle Optimisten dachte die Architektin zum Zeitvertreib gern an die Vergangenheit, denn das hinderte sie daran, über die Zukunft zu brüten.“ (S. 26) Einhundertzwanzig Meter sollte es hoch sein, das höchste Gebäude der Stadt; ein Monstrum aus grauem Stahl und Fensterfronten, direkt im Herzen West-Berlins am Rathaus Steglitz gelegen. Schon länger ist die Architektin dafür bekannt, ihre Verbindungen in die Lokalpolitik zu ihren Gunsten, für die Genehmigung und Finanzierung großer Bauvorhaben zu nutzen. Äußerst geschickt geht sie vor, diese glamouröse Frau aus Ost-Berlin, die schon während des Architekturstudiums mit ihrem selbstbewussten Auftreten für Aufsehen sorgte, machte sich in der männerdominierten Welt einen Namen mit ihrer Chuzpe und ihren Ideen. Sie heiratete den damaligen Bezirksbürgermeister – um sich kurz einige Jahre später von ihm zu trennen –, liebäugelt mit dem Finanzdirektor der Stadt, wirbt um Investoren, Gelder werden von einem Projekt zum nächsten geschoben. Und nun eben: der Steglitzer Kreisel. Alles läuft nach Plan, bis ein Artikel im Spandauer Volksblatt für Aufsehen sorgt: Spuken soll es auf der Baustelle des Kreisels, eine geisterhafte Gestalt würde auf dem Kran sitzen. Die Bauarbeiten werden pausiert, das Projekt droht ob steigender Kosten zu platzen. Wider besseren Wissens hatte Otto Bretz, der neunzehnjährige Praktikant des dünnen Blattes, den Artikel geschrieben, und gerät damit ins Visier der Architektin. So weit soll es noch kommen, dass wegen einer Märchengeschichte ihr Projekt gefährdet wird. Doch sie hat einen Plan B, und der heißt: Sylt und Sülze im Chateau Ekke Nekepenn. „Für Geister und Gespenster hatte die Architektin keine Zeit. Das waren Erscheinungen, die man nur im Rückspiegel sah. Auf der Rückbank, wenn man nach hinten sah. Sobald man erschrak, verschwanden sie, weil sie ihre Aufgabe erfüllt hatten.“ (S. 79) Ungemein humorvoll und atmosphärisch entwirft Till Raether in „Die Architektin“ ein lebendiges, zeitgeschichtliches Porträt des Berlins der 70er Jahre, irgendwo zwischen Spandau und Tempelhof, in dem zwischen zigarrenrauchenden und Mercedes fahrenden alten weißen Männern eine Frau für Aufsehen – und nicht zuletzt einen der größten Bauskandale des Jahrzehnts sorgte. Namentlich wird sie nicht genannt, doch geht aus den Grundpfeilern der Handlung und nicht zuletzt dem Steglitzer Kreisel als dem großen Faszinosum hervor, dass es sich um die Architektin Sigrid Kressmann-Zschachs (1929-1990) handelt. Leichtfüßig verbindet Raether die Geschichte um die Architektin und ihr Projekt mit der des jungen Ottos, einem jungen Burschen, der Journalist werden möchte. Eigentlich befand er sich auf dem Weg nach München zur Journalistenschule, doch das Schicksal hielt ihn in Berlin fest. Aus der Ausbildung wurde ein Praktikum beim Spandauer Volksblatt, statt in ein WG-Zimmer zieht er wieder in die Familienwohnung ein, die war „wie ein leer gefressener Adventskalender, hinter jedem Türchen nichts“ (S. 24), denn sein Vater war auf Geschäftsreise, seine Mutter saß tagein, tagaus apathisch in ihrem Sessel. Welten trennen sie, Otto und die Architektin, und naja, aus Spandau nach Steglitz raus, da braucht’s ja mindestens eine Stunde hin (vgl. S. 53), doch ihre Wege streifen einander immer öfter, unbewusst, kreuzen sich. . Liebevoll lässt Raether in ihrer beider Leben blicken, ihre Vergangenheit und Gegenwart, an ihren Gedanken und Ängsten teilhaben. Auf den ersten Blick scheint sie unnahbar, die Architektin, eine eiskalte Performerin, die die Männer für ihre Belange um den Finger wickelt, doch sie hat auch eine nachdenkliche, verletzliche Seite, liebevolle Mutter und Ehefrau. Auf der anderen Seite: Otto, der übermütige, fleißige junge Mann, der gerne als Journalist bekannt werden würde, zwischen seinen Recherchen um den Steglitzer Kreisel und dessen geisterhafte Besucher und den Schwierigkeiten des Erwachsenenlebens herumwankt, zärtliche Freundschaften schließt. Je näher sie einander kommen, desto beklemmender, gespannter wird die Atmosphäre; ein Gewitter zieht auf, grauer Sturm lässt das Baugerüst des Kreisels wanken. . Auch wenn der Plot durchaus fesselnd, seine Grundlage aus gesellschaftlicher wie politischer Perspektive auch nach mehr als fünfzig Jahren nicht an Relevanz verloren hat, und ich viel daraus mitgenommen habe, ist der letzte Funke doch nicht ganz auf mich übergesprungen. Ich habe die Geschichte wirklich gerne gelesen, die weiche Sprache und die klug gesetzten Pointen wohlig in mich aufgenommen, doch phasenweise ziehen sich die Handlungen in die Länge, fehlt es an dem letzten Kick, der weiter, immer weiter treibt. Nichtsdestotrotz, eine warme Empfehlung! Nur eine Frage: Wieso ist der Bierpinsel auf dem Cover, und nicht der Kreisel?

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