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Rezension zu
Eine Liebe, in Gedanken

Kristine Bilkau, Eine Liebe in Gedanken

Von: Susanne Becker
04.06.2018

„Sie hatte 1967 darauf gewartet, von ihm nach Hongkong geholt zu werden, doch er hatte sie immer wieder um Geduld gebeten….“ Eine Liebe. Ein Mann, eine Frau. Hamburg in den 60er Jahren. Die Frau, Antonia, genannt Toni, ist aus ihrem Schleswig Holsteinischen Dorf in die große Stadt gezogen. Die Abenteuerlust, die Lust, sich ein eigenes, ein größeres Leben zu erlauben, ist ein Grund unter vielen dafür, dass sie dem Mann, Edgar, so gut gefällt. Der hat bereits einen unehelichen Sohn. Aber mit diesem hat er wenig zu tun. Edgar lebt noch im Elternhaus, er hat eine Arbeit und sieht gerne das, was nicht funktioniert. Während Toni voller Lebensfreude ist und damit auch ihn ansteckt. Wenn er sich bei ihr über sein Leben beklagt, heitert sie ihn auf. Mit seinem VW Käfer fahren sie durch die Stadt und ans Meer. Sie werden ein Liebespaar, dem alle ansehen, dass sie zueinander gehören. Dass Toni wegen ihres Status als unverheiratete Frau die Pille nicht vom Arzt bekommt, diese Problematik teilt sie nicht mit Edgar. Sie haben trotzdem Sex. Dass Toni ein Kind durch eine Fehlgeburt verliert. Sie teilt es nicht mit Edgar. Sie flüchtet heim nach Schleswig Holstein, kuriert sich bei der Mutter aus und für Edgar ist sie einfach krank. Als sich für Edgar die Chance auftut, sein unbefriedigendes Leben zu verlassen und für die Firma nach Hongkong zu gehen, ist es Toni, die ihn dazu ermutigt. Als er geht, ist sie zwar traurig, weil er sie nicht fragt, ob sie mitkommt. Aber auch das teilt sie nicht mit Edgar. Sie freut sich wirklich für ihn. Aber sich selbst verbirgt sie konsequent, als wüsste sie, dass er nur die eine Seite von ihr liebt, die fröhliche. „Du hast mir ein schönes Leben gezeigt.“ Als endlich sein Telegramm kommt, dass sie nachkommen soll, kündigt sie ihren sehr guten Job, die Wohnung, das Leben in Hamburg und wartet auf das Flugticket, das er versprach, in Kürze zu schicken. Die Zeit des Wartens wird auch der Leserin fast unerträglich, so feinsinnig beschreibt die Autorin die Tage, die Antonia zunächst damit zubringt, ihr Leben aufzulösen, dann das neue, so gut es geht, vorzubereiten. Sie lässt sich von der Schneiderin ein Ensemble nähen, das sie zu ihrer Hochzeit mit Edgar in Hongkong tragen will. Sie sind offiziell verlobt. Ein Jahr wartet Antonia auf das Flugticket. Sie wartet. Ohne Job. Ohne Wohnung. Das Ticket kommt nie. Eine Frau, in Hamburg, heute. Verheiratet, bereitet gerade eine Ausstellung der Malerin Helene Schjerfbeck vor. Sie ist Mutter einer fast erwachsenen Tochter. Während sie versucht, das Leben ihrer gerade verstorbenen Mutter Antonia zu rekapitulieren, vor allen Dingen die Liebesgeschichte mit Edgar Janssen, muss sie gleichzeitig verbergen, wie schwer es ihr fällt, ihre eigene Tochter, die erwachsen wird, loszulassen. „Niemand hatte mich gewarnt, wie schwer es sein würde, ein Kind loszulassen, und welche Anstrengungen es kostete, sich das nicht anmerken zu lassen.“ Sie möchte mehr erfahren. Sie möchte wissen, wer ihre Mutter war. Sie spielt mit dem Gedanken, Edgar aufzusuchen. „Ich wollte ihn fragen, ob er je darüber nachgedacht hatte, dass diese Frau einmal alles für ihn auf eine Karte gesetzt hatte, für ihn allein, dass sie verloren hatte, in einer Zeit, in der Frauen dieser Mut nicht verziehen wurde;…“ Es ist fast, als würde sie erst nach deren Tod ermessen können, wer ihre Mutter Antonia wirklich gewesen ist. Das neue Buch von Kristine Bilkau, Eine Liebe in Gedanken, erschienen bei Luchterhand, ist so fein und sorgfältig geschrieben, wie ihr Debüt, Die Glücklichen. Sie ist eine Beobachterin der kleinen Dinge, die geschehen zwischen Menschen und unser Leben ausmachen. Sie fängt das filigrane ein, und beim Lesen wird einem plötzlich bewusst, wie viel in unseren Leben so filigran ist und verschüttet wird unter dem lauten, grellen, neonfarbenen Vordergrund. Dieses Buch hat mich traurig gemacht. Ich konnte manchmal ein paar Tage nicht darin lesen. Es hat mich an meine Mutter erinnert, aber auch an all die Frauen, die das Frauenbild ihrer jeweiligen Zeit erfüllend, sich selbst mit ihren Träumen in Warteschleifen parken, die ein Leben lang dauerten. Den Haushalt machen, die Kinder versorgen, die wirklichen Gefühle verbergen, funktionieren, lächeln. Antonia ließ mich denken an Peter Handkes Mutter, der er so ein unumstößliches Denkmal in dem Buch Wunschloses Unglück gesetzt hat. Toni ist allerdings eigensinniger und vielleicht auch mutiger. Sie gibt sich nicht zufrieden. Zwar heiratet sie, aber schon, als ihre Tochter noch sehr klein ist, trennt sie sich vom Vater wieder. Sie lebt noch einmal einige Jahre mit einem Mann zusammen, und trennt sich wieder. Am Ende lebt sie allein. Sie hat sich für sich entschieden und für ihre Tochter. Als diese erwachsen ist, lebt sie mit einem Schrank voller Bücher, ihren Interessen und ihren Erinnerungen. Sie ist eine begeisterte und tiefsinnige Leserin. Die Bücher nähren sie, genau wie ihre Liebe, in Gedanken. Die ihr niemals jemand nehmen kann. Niemand kann Antonia jemals nehmen, dass sie bedingungslos geliebt hat. Sie ist die Frau, die ein solches Gefühl zugelassen hat. Während Edgar Janssen der kleine Krämer bleibt, der einen Handel einfädelt, und dann doch nicht zuende führt, der die Welt der Gefühle rosarot nennt und seine Art der Feigheit mit Vernunft erklärt. „Natürlich können wir Zukunftspläne schmieden, aber wir dürfen uns nicht in Tagträumen verlieren. Wir müssen fest in der Gegenwart stehen, denn die Gegenwart ist das Rohmaterial für die Zukunft.“ Ein wunderbares Buch! Ich danke dem Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar. (c) Susanne Becker

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