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Rezension zu
Den Mund voll ungesagter Dinge

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Emotional und Aufwühlend

Von: Liberiarium
06.03.2017

PLOT Sophie hat die Nase gestrichen voll. Mit ihrem Vater soll sie zu seiner neuen Freundin nach München ziehen. Sie vermisst Hamburg und ihr altes Leben, auch wenn sogar dort nicht immer alles perfekt war: ihre Mutter hat sie nach der Geburt verlassen, Sophie war noch nie richtig verliebt gewesen und bis auf Lukas, der aber mittlerweile in Frankreich lebt, hat sie kaum Freunde. In München fühlt sie sich einsamer denn je – bis sie das Nachbarsmädchen Alex trifft. Eigentlich möchte sich Sophie ihr nicht öffnen, sondern schmollen und einfach zurück nach Hamburg gehen, doch Alex hat etwas an sich, dass Sophie nicht loslässt. Und auf einmal wird durch einen Kuss alles anders. MEINUNG Als ich von Den Mund voll ungesagter Dinge erfuhr, war ich hellauf begeistert. Ich schätze Anne Freytag als Autorin sehr und war gespannt auf die Umsetzung ihrer Idee. Deshalb habe ich mich gefreut, als die Überraschungspost vom Verlag vor einiger Zeit bei mir eintraf. Der Titel umfasst an die 400 Seiten und folgt der Perspektive der siebzehnjährigen Sophie aus der ersten Person Singular, sodass man sich trotz ihres Missmuts sofort mit ihr identifizieren kann. Der Text wird ab und an von Chatverläufen unterbrochen, doch nie so stark, dass der Bezug verloren gehen könnte. Ganz im Gegenteil, die WhatsApp und Facebook Nachrichten lockern die Atmosphäre meist auf und sorgen dafür, dass man sich fühlt, als stünde man mitten in Sophies Leben. Sophie ist die Protagonistin der Geschichte, die uns Leser auf ihre Reise mitnimmt. Ich habe ihre Charakterdarstellung als eher ungewöhnlich empfunden: sie scheint von allem genervt zu sein und ist auf alle sauer (ob auf ihren Vater, seine neue Freundin, Schulkollegen…). Augenscheinlich wirkt sie dadurch auf den ersten Blick nicht gerade sympathisch, doch Sophie trägt viele innere Konflikte mit sich selbst aus, was dazu führt, dass der Leser einen enormen Einblick in ihre Gedankenwelt erhält. Man weiß sofort, was Sophie genau an ihrem Umfeld und ihrem Leben stört, doch sie hat nicht den Mut, die Dinge laut auszusprechen. Deshalb wirkt sie unnahbar und regelrecht scheu – eine Protagonistin, wie man sie eben nicht oft findet und das genau macht sie zu etwas ganz Besonderem. Sophie muss man einfach in sein Herz schließen. Anne Freytag schafft es, neben Sophie weitere enorm starke Frauenfiguren zu zeichnen. Man könnte meinen, das Nachbarsmädchen Alex wäre ein krasses Gegenstück zu der oft schlecht gelaunten Sophie: sie ist redseliger und weniger launisch, dafür aktiv und sportbegeistert. Aber auch bei Alex geht nicht immer alles im Leben gut. Die Autorin entwickelt interessante Konzepte unterschiedlicher Frauen, die nicht das sind, was sie im ersten Moment zu sein scheinen. Man wird überrascht und gleichermaßen verzaubert. Neben Alex und Sophie gefiel mir Lena sehr gut, die neue Freundin ihres Vaters. Ihr Schicksal rührte mich zu Tränen und machte mich regelrecht sprachlos. Es ist besonders interessant zu sehen, wie sich die Beziehung von Sophie und Lena entwickelt und ich war sehr glücklich über die Auseinandersetzung mit der Familiensituation von Sophie. Die männlichen Charaktere rückten sich für mich durch die starken Frauenfiguren eher in den Hintergrund. Sophies Vater, Lukas und ihre Schulkollegen sowie die männlichen Mitglieder ihrer neuen Familie sind zwar nicht weniger originell, doch sie haben eben auch mit einer enormen Konkurrenz um das Leserherz zu kämpfen. Anne Freytag bündelt viele Themen in ihrem Roman: es beginnt mit einem ungewollten Umzug und die Angst vor dem Umgebungswechsel. Wie fühlt es sich an, wenn man alles stehen und liegen lassen und in eine unbekannte Stadt ziehen muss? Sophie hat keine Lust auf eine neue Schule, wo sie doch kurz vor dem Abitur steht und erst recht will sie nicht in dem Haus wohnen, in dem die Freundin ihres Papas mit ihren Kindern lebt. Familie ist ein wichtiger Aspekt, der Sophies Leben einen Halt geben könnte – wenn sie es nur zulassen würde. Als Ansprechpartner fungiert nur ihr bester Freund, der aber seit einiger Zeit in Frankreich lebt. Die Autorin thematisiert auch, wie schwer es sein kann, in einer fremden Stadt neue Freunde zu finden. All das begleitet Sophie auf ihrem steinigen Weg zum Erwachsenwerden. Stetig stellt sie sich die Frage, wer sie eigentlich ist. Was mache ich mit meinem Leben? Wo will ich hin? Bin ich eigentlich so, wie ich immer dachte? Dazu gehören auch die neuen Gefühle, die für Alex aufkeimen. Sophie stand bisher nur auf Jungs und fühlt sich nun das erste Mal zu einem Mädchen hingezogen. Wie muss es sich anfühlen, wenn die eigene Sexualität infrage gestellt wird? Sophie fällt es schwer, die Gefühle zuzulassen. Spannend fand ich auch, wie vor diesem Hinblick das sogenannte Slutshaming aufgegriffen wird. Die Kapitel sind meist recht kurz, was dazu führt, dass man schnell noch ein Kapitel lesen will und auf diese Weise regelrecht durch die Seiten fliegt. Ich habe das Buch innerhalb von drei Tagen gelesen, weil ich es einfach nicht aushielt, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Aus mal eben ein Kapitel wurden dann kurzerhand 150 Seiten Lesegenuss. Das liegt aber auch daran, dass Anne Freytag einen fantastischen Schreibstil hat. Poetisch und doch klar. Sie bringt alles genau auf den Punkt und schafft es trotzdem, dem Geschriebenen Schnörkel und Rundungen zu geben. Ich bin absolut verliebt in Anne Freytags schriftstellerische Poesie. Die äußere Coveraufmachung hat mich sofort angesprochen – sie erinnert rein optisch durch die Zeichnung an Anne Freytags Mein bester letzter Sommer, unterscheidet sich aber gleichzeitig stark von dem Titel. Das Rot des Hintergrunds greift nicht nur unterschwellig die aufgestaute Wut der Protagonistin auf, sondern bezieht sie sich auch auf die Farbe von Sophies Lippenstift. Erst auf den zweiten Blick erkennt man das angedeutete Regenbogen-Muster in der Schrift, was mir besonders gut gefiel. Dadurch wird nämlich sogleich auch auf die Regenbogenfahne, ein Zeichen für Toleranz, angespielt. Aber nicht nur äußerlich hat der Titel etwas zu bieten, denn schon innerhalb der Klappenbroschur ist eine Sammelillustration mit unterschiedlichen Gegenständen (wie beispielsweise ein Glückskeks oder ein Regenschirm) vorzufinden. Einige dieser Objekte tauchen auch als Vignetten über einer Kapitelüberschrift auf. Viele Kapitelüberschriften sind übrigens an Filmtitel angelehnt, was mich häufig zum Schmunzeln brachte. Wie bei Anne Freytags Romanen üblich, enthält auch Den Mund voll ungesagter Dinge eine Playlist zum Buch. Musik spielt nicht nur für Sophie, sondern auch für die Beziehung zu Alex eine relevante Rolle. Immer wieder tauchen innerhalb der Geschichte Anekdoten zu Songs auf oder man erlebt, dass die Figuren Musik hören. Man kann die Musik zwischen den Seiten förmlich spüren – Gänsehaut-Feeling garantiert! Da ist es besonders schön, dass man die Songs noch einmal alle am Romanende gesammelt vorfindet. Die Playlist könnt ihr euch übrigens hier über ANNE FREYTAGS WEBSITE anhören. Den Mund voll ungesagter Dinge beendete ich mit vielen Tränen in den Augen, weil ich sprachlos war, wie gut mir der Titel gefiel. Ich war überglücklich, so eine großartige Geschichte entdecken zu dürfen, die mir so viel gegeben hat. Sie hat mir auch geholfen, einen besseren Einblick in introvertierte und stillere Menschen zu erhalten. Eine emotionale Achterbahnfahrt, nicht nur für Alex und Sophie, sondern auch für mich. FAZIT In diesem Jahr habe ich noch nichts gelesen, das an Den Mund voll ungesagter Dinge herankommt. Das Buch hat mich ergriffen, mich zum Lachen und zum Weinen gebracht und mich ganz und gar abgeholt. Die Figuren sind interessant und vielschichtig, die Erzählung ist spannend und aufregend. Die Themen sind wichtig und aus dem echten Leben gegriffen. Man kann dieses Buch gar nicht aus den Fingern legen! Ich vergebe deshalb an Den Mund voll ungesagter Dinge von Anne Freytag fünf von fünf Lesebrillen!

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