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Rezension zu
Gullivers Reisen

Als ungekürzte Ausgabe eine Offenbarung

Von: Buecherbriefe
28.04.2022

Gullivers Reisen von Jonathan Swift gehört gleichermaßen zu den bekanntesten und meistgekürzten Werken der Weltliteratur. Auch ich las als kleiner Junge lediglich die zensierten Fassungen und war gespannt, wie sich das Leseerlebnis mit der ungekürzten Fassung gestalten sollte. Jonathan Swift führte ein Leben im Zeichen des Widerstandes. Sein Vater verstarb bereits vor seiner Geburt und so wurde er von seinen Verwandten aufgezogen. Auf Wunsch eines Onkels absolvierte er ein Theologiestudium, das er nur mit viel Wohlwollen bestand. Er wurde zwar Priester, legte in diesem Beruf aber keine große Karriere hin. Das lag zum einen daran, dass er sich politisch auf die falsche Seite stellte und zum anderen an seinen satirischen Werken, in denen er unverblümt Missstände anprangerte. Diese Schriften verfasste er zwar zum größten Teil anonym, doch seine Identität war ein offenes Geheimnis. Sein Einfluss in der Bevölkerung war dadurch sogar so groß, dass sich keine Obrigkeit traute, ihn wegen seinen Schriften zu belangen. Gullivers Reisen reiht sich somit nahtlos in sein Schaffen als Autor ein. Man kann dieses Buch irgendwo zwischen phantastischer Reiseliteratur und Satire einordnen. Zu dieser Zeit erlebten (fiktive) Reiseberichte einen Boom und der belesene Swift war sich dessen durchaus bewusst: Er kopierte einige typische Eigenschaften dieser Gattung und verdeckte damit zumindest oberflächlich seine Gesellschaftskritik. So erleben wir die Geschichte zwar aus der Perspektive Gullivers, aber vor und nach der Handlung sind fiktive Briefe und Erläuterungen des vermeintlichen Herausgebers und Autors beigefügt. Wie bei Defoe finden sich auch hier vermeintlich präzise Zeit-, Positions- und Maßangaben, die dem Leser Authentizität vorgaukeln sollen. Als Autor benutzt Swift dabei gerne ausufernde Sätze und nicht enden wollende Aufzählungen, die die Aufmerksamkeit des Lesers fordern. Das muss man mögen, ansonsten droht schnell Langeweile oder Überforderung. Die ersten beiden Reisen ermöglichen es dem Autor die englische Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspektiven zu kritisieren, auf Liliput etwa im Miniaturformat, um die großen Zusammenhänge zu beleuchten und auf Brobdingnag mit der Lupe, um mit deutlichen Worten Missstände anzuprangern. Auf seiner dritten Reise begegnet Swift vor allem verkopften Geisteswissenschaftlern, die völlig den Bezug zur Realität verloren haben. So etwa in der Universität von Lagado, in der sich innovative Wissenschaftler hoffnungsvollen Projekten, wie etwa der Gewinnung von Sonnenlicht aus Gurken oder der Abschaffung der gesprochenen Sprache, widmen. Seine Schilderungen sind dabei gespickt von Angriffen gegen zahlreiche Wissenschaftler der damaligen Zeit. Seine vierte und oft unterschlagene Reise führt ihn auf eine Insel, auf der die pferdeartigen Houyhnhnms herrschen und menschenähnliche Yahoos als und Nutztiere halten. Diese Reise soll ihn prägen, da sich die Houyhnhnms als moralisch überlegen herausstellen und ein Leben führen, in dem Begriffe wie Böse oder Lüge gar nicht existieren. Als er die Insel verlassen muss, bricht ihn das innerlich. Zu verhasst sind ihm die Yahoos, wie er die Menschen von da an nennt. Sie werden von kaum mehr als ihren Instinkten beherrscht und betrügen und belügen sich gegenseitig am laufenden Band. Hat er zuvor vornehmlich die Verhältnisse in England kritisiert, so wechselt hier der Schwerpunkt seiner Kritik auf die ganze Menschheit. Fazit: Gullivers Reisen ist ein Buch, dessen volle Bedeutung mir sich erst durch die Übersetzung von Christa Schuenke erschloss. Es handelt sich um keine klassische Abenteuergeschichte, sondern um eine bitterböse Satire über die englische Gesellschaft und im weiteren Verlauf über die Menschheit im Allgemeinen. Ein zeitloser Klassiker!

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