Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Unsterblich

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Eine geniale Idee, die an der Umsetzung scheitert

Von: Buntes Tintenfässchen
31.08.2016

Der Klappentext zu Jens Lubbadehs Debütroman Unsterblich hat mich total angefixt, denn er versprach eine dystopisch angehauchte Science-Fiction-Geschichte mit tollen Ideen und jeder Menge Spannung. Abseits der mittlerweile doch schon etwas ausgelutschten Jugend-Dystopien geht Jens Lubbadeh in seinem Roman nämlich auf einen Aspekt unserer Gesellschaft ein, der in nicht allzu ferner Zukunft tatsächlich zu einem solchen Szenario führen könnte, wie er es beschreibt: Dem stetigen Streben nach mehr Wissen, mehr Macht und schließlich nach Unsterblichkeit. Die Ausgangssituation ist folgende: Im Jahr 2040 herrscht sozusagen ein einziger Konzern über die Welt und sehr zu meiner Überraschung ist das nicht Google, Amazon oder Facebook. Es ist ein Unternehmen namens "Immortality", das einen Weg gefunden hat, die Menschen nach ihrem Tod unsterblich zu machen, indem es virtuelle Klone von ihnen erschafft, die sogenannten Ewigen. Diese unterliegen natürlich strengen Vorgaben, ebenso wie die Avatare der lebenden Menschen, durch die es möglich ist, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Für mich spiegelt dieses Szenario den aktuellen Technik-Wahn und den Wissensdurst der Menschen wieder. Lubbadeh beschreibt auf sehr überspitzte und eindringliche, aber dabei erschreckend authentische Weise, wo das alles hinführen kann. Zunächst klingt es natürlich überaus verlockend, nach dem eigenen Tod weiterzuleben, beim Lesen wird einem aber schnell klar, dass dieses "Leben" der Ewigen reizlos ist. Sie sind eher billige Kopien, die nach Belieben programmiert werden können. Körperliche Nähe, Essen, Trinken - all das ist nicht mehr möglich und es stört die Menschen in Lubbadehs Welt kein bisschen. Jeder will einfach nur ewig leben, egal wie. Und das ist das wirklich Erschreckende an der Geschichte. Trotzdem ist Unsterblich längst nicht so düster und bedrohlich wie manch andere Dystopie. Die Bedrohung im Jahr 2040 ist eher subtil, sie schleicht sich ein und besteht in etwas ganz anderem, als man vielleicht erwarten könnte. Es jagt nicht ein großer Knall den nächsten, vielmehr führt jedes Puzzlestück, das der Leser gemeinsam mit dem Protagonisten Benjamin Kari zusammensetzt, zu einer großen Erkenntnis. Die Stärke der Geschichte ist dabei Lubbadehs gewandter Schreibstil. Nur unterschwellig liest man die vielen Gefahren und Bedrohungen, die von Immortality und den Chefs des Konzerns ausgehen, heraus. Lubbadeh webt geschickt subtile Komik und Gesellschaftskritik in die Handlung ein und das fand ich wirklich beeindruckend. Das ein oder andere Mal musste ich sogar grinsen oder vor mich hin kichern, zum Beispiel, als der Erzähler über den (im Jahr 2040) bisher erfolgreichsten "James Bond"-Film aller Zeiten schwadroniert: Marlene Dietrich kämpft an der Seite von Sean Connery gegen den Bösewicht Klaus Kinski. Oh Mann, das würde ich sowas von gerne sehen! Leider konnte mich die Geschichte dennoch nicht wirklich überzeugen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen entwickelt sich das Ganze sehr zäh und das Verschwinden der Kopie von Marlene Dietrich ist auch nicht unbedingt DER große Knall zu Beginn der Geschichte, den ich mir gewünscht hatte. Man versteht zwar als Leser, weshalb dieses Ereignis die Menschen in der Zukunft so verstört (schließlich sind sie sich ihrer Unsterblichkeit sicher und so ist der mögliche Tod eines Ewigen ein Schock für sie), aber trotzdem ist dieses Szenario zu abstrakt, zu skurril, als dass man es wirklich fassen könnte. Und so geht es leider weiter: Alles, was Kari im Laufe der Handlung aufdeckt, überrascht einen nicht wirklich und so will leider nicht so recht Spannung aufkommen. Viele Geschehnisse kommen zu plötzlich, als dass sie Eindruck hinterlassen könnten. An anderer Stelle ermüdet das seitenlange Nachsinnen des Protagonisten über den Sinn des Lebens einfach nur. Gegen Ende wird es zwar ein wenig actionreicher, aber das macht aus dem Roman dann leider auch keinen packenden Thriller (oder wenigstens Krimi) mehr. Insgesamt ist die Geschichte eher philosophisch, nicht aber so psychologisch und mitreißend, wie sie es hätte sein können. Auch die Charaktere waren für mich nicht (wie man so schön sagt) das Gelbe vom Ei. Benjamin Kari, der zunächst auf der Seite von Immortality steht und dann bei seinen Ermittlungen einen Beweis für die zwielichtigen Machenschaften des Unternehmens nach dem anderen findet und nach und nach "bekehrt" wird, ist meiner Meinung nach ebenso stereotypisch dargestellt wie die hübsche Journalistin Eva, mit der er sich kurzerhand zusammentut. Sie ist eine leidenschaftliche Gegnerin des Konzerns und verfolgt genau wie Kari zunächst ihre ganz eigenen Ziele - bis die beiden ein Team werden. Und dann ist da noch der geniale Hacker, der einfach nicht kleinzukriegen ist und den ganzen Laden hochnehmen will. Natürlich ist er psychisch nicht ganz auf der Höhe, dafür aber ein echtes Wunderkind, das einfach alles kann - ALLES. Auf der anderen Seite die Bösen, die auch vor Schusswaffen und sogenannten Killdrohnen nicht zurückschrecken, nur um noch ein bisschen mächtiger zu werden. Das hat man leider alles schon gelesen. Auch die wiederauferstandene Marlene Dietrich bringt in diese Konstellation leider keinen frischen Wind, denn aktiv taucht sie kaum auf und ist eher Mittel zum Zweck - der Auslöser für alles, was folgt. Warum gerade Marlene Dietrich - das fragt sich nicht nur Kari immer wieder, sondern auch der Leser. Ein weiterer Minuspunkt ist für mich, dass es Jens Lubbadeh nicht so richtig gelingen will, dem Leser die sogenannte Blended Reality, die virtuelle Realität, greifbar zu machen. Das ist immer unglaublich schwierig und so läuft der Autor Gefahr, dass seine virtuelle Welt innerhalb seiner erdachten realen Welt zu abstrakt und zu weit weg wirkt. Leider ist das in Unsterblich der Fall. Programmieren, Hacken, mit einem einzigen Algorithmus und durch Hand Auflegen die gesamte Struktur umwerfen - das sind Dinge, die man meiner Meinung nach als Autor irgendwie plastisch machen muss. Natürlich braucht es immer auch die Fantasie der Leser, aber wenn die Grundlage zu schwammig ist, kann ich einfach nichts damit anfangen und die virtuelle Welt und das ganze System, das hinter dem Konzept der Unsterblichkeit in Lubbadehs Roman steckt, bleiben schlichtweg Worte auf Papier. Das fand ich unglaublich schade, denn die Grundidee der Geschichte fasziniert mich nach wie vor und lässt mich sicher nicht so schnell wieder los. Aber leider ist es Lubbadeh nicht ganz gelungen, mir das Ganze greifbar zu machen und logisch zu erklären. Mein Fazit: Jens Lubbadehs Idee ist gut - richtig gut. Und aus ihr hätte ein fantastischer Science-Fiction-Roman mit dystopischen Zügen werden können. Doch leider haben allzu klischeehafte Personenkonstellationen, ein zu abstraktes und für den Leser kaum greifbares Universum, eine zähe Handlung und die zum Ende hin noch fix hingeworfenen Actionelemente die Geschichte eher dröge und beliebig gemacht. Schade, denn Lubbadehs Konzept von der Unsterblichkeit und sein subtil komischer Erzählstil wären eigentlich die besten Voraussetzungen für einen fulminanten Roman. Freunde gepflegter Science-Fiction-Literatur und etwas anderer Dystopien werden an Unsterblich aber sicher trotzdem ihre Freude haben.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.