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Rezension zu
Unterleuten

heiliges Ego

Von: der Michi
04.07.2016

In der Regel ist der Gesellschaftsroman ein klassisches Genre, zu dem man in Schule oder Studium aufgrund seiner Sperrigkeit erst genötigt werden muss. Zeh gelingt es, eben diese Nische auf elegante Art für immer noch relevant zu erklären. Ihre Unterleutner stellen eine ebenso realistische wie dezent kritisch betrachtete Auswahl verschiedenster Typen dar, die ihren Begierden nach und nach erliegen. Der Streit um die Windräder, der schon manches real existierende Dorf entzweit haben dürfte, ist letztendlich nur der Auslöser für das, was bei jedem einzelnen längst unter der Oberfläche brodelt. Unterdrückte Konflikte brechen urplötzlich wieder hervor, zur Tradition gewordene Feindschaften werden neu belebt. Die redenden Namen von Orten und Gegenden sprechen für sich. In Unterleuten ist man nun einmal wohl oder übel "unter Leuten". Wer im benachbarten "Groß Väter" lebt, kann man sich auch denken und die beinahe ausgestorbenen "Kampfläufer" sind aus gutem Grund nur in diesem Landstrich zu finden. Jedes Kapitel widmet sich abwechselnd einem der Dorfbewohner, den der Leser darin so gut kennen lernt, dass er seine Motive gelegentlich fast nachvollziehen will. Wenig später wendet man sich aber beschämt von seiner Lieblingsfigur ab. Diese mit scharfem Blick porträtierten Persönlichkeiten sind das eigentliche Highlight in Unterleuten. Das Geschehen ist punktuell durchaus spannend, kommt sogar (fast) ohne Mord und Totschlag aus, die Unberechenbarkeit der Beteiligten macht den Roman aber erst richtig packend. Eindeutige Sympathieträger sucht man vergeblich, man stellt vielmehr bald fest, dass auch Altkommunisten, Kapitalisten, Naturschützer, linksliberale Bildungseliten, Konservative, Wendeverlierer, Karierrefrauen, Politiker, Unternehmer, Hipster, Streber und schräge Randgestalten unter den richtigen Umständen zum Schlimmsten fähig sind. Ideologie und Idealismus sind hier in der Regel nur Vorwände für das Erreichen der eigenen Ziele. Anhand dieser exemplarischen Mini-Gesellschaft wird ganz nebenbei der individuelle Egoismus als eigentliche Triebkraft und zentrales Übel der Jetztzeit entlarvt. Fazit: Ein großer Roman, eine kritische Gesellschaftsanalyse, eine romantikbefreite Hommage an Land und Leute und vieles mehr. Juli Zeh hat es spätestens jetzt geschafft, mit vollem Recht in einem Atemzug mit Autoren wie Dave Eggers oder Uwe Tellkamp genannt zu werden. Noch dazu ist ihre gleichzeitg klare und doch poetische literarische Sprache ein Genuss und wiegt sogar einige wenige Flauten in der Handlung wieder auf. Wer Literatur nicht nur zur Gedankenberieselung nutzt, für den ist "Unterleuten" Pflichtlektüre. Das Buch ist übrigens mehr, als man zwischen den Buchdeckeln findet. Einrichtungen wie der "Märkische Landmann" und die Vogelschutzwarte Unterleuten haben eigene Internetauftritte, einzelne Figuren betreiben eigene Facebookprofile, ein im Buch erwähntes anderes Buch ist tatsächlich erschienen. Deutlicher kann man den Bezug zur realen Welt gar nicht mehr machen. Seitenzahl: 640 Format: 14,9 x 22,6 cm, gebunden Verlag: Luchterhand

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