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Rezension zu
Das letzte Wort

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ertrunken im Wortmeer

Von: ralfreitze
12.05.2016

Wer kennt das nicht? Mitten im Gespräch, mitten im Satz, stockt man, da einem das passende Wort nicht einfällt. Es liegt einem auf der Zunge, aber von dort will es einfach nicht weg. In Zeiten der schnellen Internetverfügbarkeit hat man das Wort schnell, nach einer Suche auf seinem Smartphone, gefunden. Auch strittige Gespräche oder fehlende Informationen können so schnell bereinigt bzw. ergänzt werden. Doch diese Wortfindung hat auch ihre Tücken. In vielen Nachrichtensystemen wie SMS oder Whatsapp werden automatische Vorschläge schneller geladen als es einem lieb ist. So entstehen manchmal witzige und falsche Wörter in einer digitalen Konversation. Doch was ist, ein paar Jahre, Jahrzehnte weiter gesponnen, wenn die Systeme mit dem Gehirn verbunden sind und automatische Wortergänzungen einem blitzschnell über seine MEM in den Mund gelegt werden. Wäre das nicht sensationell? Eine Revolution. Auch wenn man ein paar Cent dafür bezahlen würde, automatisch abgebucht, würde es einen doch nicht arm machen. Den Einzelnen nicht arm, aber den Konzern der dieses verkauft, sehr reich. Ausserdem lauern noch andere Gefahren. „So ist es zu unserer gegenwärtigen Krise gekommen: Unser Sprachvermögen – und vielleicht auch Denkvermögen – wird so ernsthaft beschädigt, dass selbst für so simple Dinge wie das Lesen von Schlagzeilen, das Erzählen von Gutenachtgeschichten oder ein Gruß an die Familie zu Thanksgiving diese Woche die Unterstützung eines technischen Geräts notwendig ist.“ Heutige Internetkonzerne bedienen sich beim Kunden schon aufgrund ihrer Monopolrolle. Google, Facebook, Ebay, Amazon um nur ein paar zu nennen, verändern das Bild der Welt, die Gesellschaft und auch die Wirtschaft rasch. Dadurch werden diese Konzerne zu den Hauptakteuren und können die Preise in ihren Segmenten bestimmen. In der nahen Zukunft, im vorliegenden Roman, ist es der Konzern Synchronic, der das sogenannte MEM herausbringt. Mit dem Gehirn verbunden, ahnt es blitzschnell, was seinem Benutzer gut tut. Die richtige Musik wird automatisch zu Hause aufgelegt, ein Taxi herbeigerufen, ohne dass man daran denken oder sich irgendeiner Art der Kommunikation bedienen muss. Praktisch, oder? Doch was bleibt auf der Strecke? „Seit Bücher nicht mehr gedruckt werden und wir statt zu lesen nur noch Datenstreams konsumieren und uns eher simsen als schreiben – seit Mems die Könige wurden – hat der Durchschnittsbenutzer sehr viel weniger Bedarf an echten Bedeutungen.“ Worte sind wichtig für die Kommunikation. Worte haben Bedeutung und können nicht so einfach ausgetauscht werden. Selbst neue Wörter die aus dem Leben, aus der Gesellschaft entstehen, geben Auskunft über eine veränderte Welt wieder, in der die alten Wörter nicht richtig greifen. „Worte sind Flaschenzüge durch die Zeit, wie ich gelernt habe. Portale in fremde Gedanken. Seltsame Riten. Verschandelte Herzen. Ohne Worte sind wir Waisen der Geschichte – unsere Leben und Gedanken ausgelöscht.“ Alena Graedon geht sogar noch weiter: „Vermutlich will ich nur sagen, dass Sprache zwar groß, sperrig und in ständiger Veränderung begriffen ist – mit anderen Worten, Sprache ist wie die Liebe -, doch im Gegensatz zu Dr. D. denke ich nicht, dass sie größer ist als wir. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, sie zur Geschlossenheit zu zähmen, die unruhigeren Tendenzen zu unterdrücken, ihre Bedeutung zu verifizieren und – vor allem – ihre Effizienz, ihr Potenzial zur Überbrückung von Subjektivität zu testen. (Wir sollten Sprache wirklich wie Liebe behandeln).“ Doch das soll jetzt keine philosophisch wissenschaftliche Abhandlung über Wörter, Bücher oder Kommunikation werden, zurück zum Buch. Ana und ihr Vater Doug Johnson arbeiten an der Auflage eines der letzten Bücher, ein Lexikon. Die gedruckte Auflage ist höchstens dreistellig, Bücher sind ein aussterbendes Produkt, kaum jemand liest sie noch, die MEM von Synchronic beherrscht den Markt. Doug Johnson verschwindet plötzlich von der Bildfläche ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Zeitgleich bringt Synchronic eine Weiterentwicklung der MEM, den Nautilus auf den Markt. Ein Apparat der über die DNA mit dem Körper verbunden ist. Ana sucht verzweifelt ihren Vater und kommt einer Geheimverschwörung auf die Spur. Durch den Nautilus und den Wortaustausch, will Synchronic den kompletten Markt beherrschen und ihr Vater hat das herausgefunden. Zeitgleich wird bei manchen Menschen eine Aphasie, ja sogar eine sogenannte ‚Wortgrippe‘ mit Fieberschüben, Wortaussetzern, die bis zum Tode führen, festgestellt. Der Virus breitet sich schnell über die ganze Welt aus. Hat Nautilus etwas damit zu tun? „Der Trick, die Bedeutungen von Wörtern zu vertauschen, ist einer der ältesten. Man denke nur an Freiheit und Demokratie. …Letztendlich ist es ein Problem der Kurzsichtigkeit. Eine Abhängigkeit von dem, was als Nächstes kommt. Die Menschen sind so besessen von der Zukunft, dass sie sie erfinden, dass sie die Nachrichten erschaffen, ihre eigene Auswertung erdichten. Wir tun das bereits seit Jahren.“ Der Roman wird immer gut wenn die Charaktere ihre philosophische Sicht der Dinge erzählen. Gedanken zu Wörtern, der Gesellschaft: „Durch Zufall hat das gedruckte Buch uns anhaltende Konzentration, abstraktes Denken und Logik gelehrt. Unsere natürliche Tendenz ist, der Ablenkung nachzugehen – den Horizont beständig nach Angreifern abzusuchen und neue Wege einzuschlagen, Bücher brachten uns dazu, dies Aufmerksamkeit nach innen zu richten, immer prächtigere Schlösser in dem stillen Königreich unseres Geistes zu erbauen. Durch diesen Prozess der Reflexion und des tiefgründigen Denkens haben wir uns weiterentwickelt.“ Doch passiert dies leider viel zu wenig. Die Geschichte wird aus der Sicht von Ana, eine Frau Ende zwanzig erzählt, die gerade ihren Freund verlor und dem Leser hysterisch und schwafelnd die Suche nach ihrem Vater erzählt, sich dabei viel zu oft in unwichtigen Dingen verliert. Manche Kapitel sind aus der Sicht ihres Kollegen erzählt, der in Ana verliebt ist, aber durch die Wortgrippe verliert er seine Fähigkeit sinnvolle Sätze zu schreiben. Manche Logiklöcher tun sich munter in der Erzählung auf und so wird die ganze gute Idee langsam und wortgewaltig im Wortmeer begraben. Alleine die Idee bewahrt die Geschichte noch vor dem Ertrinken und am Ende schafft es Alena Graedon trotzdem noch, das Buch ins Trockene zu bringen. „Worte funktionieren nicht immer. Manchmal kommen sie schlecht weg. Gespräche können zu Konflikten führen. Diplomatie kann scheitern. Manche Unterschiede bleiben trotz aller Gespräche unvereinbar. Menschen machen leere Versprechungen, halten ihr Wort nicht, sagen Dinge, die sie nicht glauben. Doch Verbindung mit uns selbst und anderen ist der einzige Weg, wie wir leben können.“ Ein paar gute Ideen sind zu verzeichnen, aber das alleine macht noch keinen guten Science Fiction Roman aus. Diese Autorin sollte man trotzdem im Auge behalten, sie wird bestimmt noch für die eine oder andere Überraschung sorgen.

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