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Rezension zu
Prosaische Passionen

Frauen schreiben, Frauen lesen

Von: Marina Büttner
11.03.2024

Ich habe ein neues Leseprojekt, welches perfekt zum heutigen Weltfrauentag passt. Seit ein paar Wochen lese ich das wunderbare kostbare und himmlisch schöne Buch Prosaische Passionen. Die Literaturkritikerin Sandra Kegel hat in diesem Band 101 Kurzgeschichten ausschließlich von Autorinnen herausgegeben. 101 sozusagen als Pendant zu den 1001 Geschichten aus 1000 und einer Nacht. „“Frauenliteratur gibt es nicht – genauso wenig wie Linkshänderliteratur oder Rothaarigenliteratur“, definierte die schottische Autorin A. L. Kennedy vor ein paar Jahren, weil Schriftsteller so unterschiedlich seien wie alle Menschen und die Ausdrucksformen und ihre Interessen „so variabel und unvorhersehbar, wie jeder vernünftige Psychologe (und jeder vernünftige Mensch) erwarten dürfte.““ Das Buch erschien bereits im vorletzten Jahr, ist mir aber jetzt erst zugefallen und mir war klar, dass ich den knapp 1000-Seiten-Band sicher nicht in einem Zug durchlesen werde. Deshalb lese ich (ähnlich habe ich es schon beim Leseprojekt Uwe Johnsons Jahrestage gehandhabt) täglich als zusätzliches Pensum, vorzüglich morgens noch vor meiner „normalen“ Lektüre, eine der Geschichten und blättere dann meist sofort neugierig zur Autorinnenbiografie am Ende der Sammlung. Es ist ein weites Feld und ich kann es jeder/m nur empfehlen. Welch eine Fülle! Passend außerdem zu meinem Vorhaben mehr Erzählungen zu lesen. So bin ich 101 Tage lang mit „Frauen lesen“ beschäftigt. Schon jetzt kann ich sagen, dass einige Perlen dabei sind. Teilweise sind es Namen, die ich noch nicht gehört hatte, teilweise bekanntere. Von manchen werde ich sicher noch mehr lesen. Sandra Kegel hat ihre Auswahl eingegrenzt auf die Geburtsjahrgänge der Frauen: 1850 bis 1921. Sie hat Geschichten aus Europa, aber eben auch aus Südamerika, Asien und Afrika ausgewählt und ich freue mich über diese Vielfalt. Und ich hoffe, dass dieser Band eine Fortsetzung mit den jüngeren Jahrgängen erhält. Kegel startet mit Sofja Tolstoja, der einzigen Frau, die etwas früher geboren wurde. Und es ist eine würdige Erzählung, die hier den Anfang macht, ist sie doch eine Hommage an die Musik und die darin verborgene Verbindung zum Göttlichen. Meine Favoritinnen auf den ersten 130 Seiten (so weit bin ich bis jetzt gekommen), sind Kate Chopin, Selma Lagerlöff, und mir gänzlich unbekannt George Egerton (ein männliches Pseudonym, wie so oft in dieser Zeit), in Irland aufgewachsen und Sui Sin Far, Tochter eines Engländers und einer Chinesin. Ganz hervorragend feministisch ist die Erzählung “ Wenn ich ein Mann wäre“ von Charlotte Perkins Gilman. Sie beschreibt, wie es wäre, wenn die Protagonistin als ihr Ehemann morgens das Haus verlassen und mit den Kollegen im Zug ins Büro fahren würde. Die Erzählung entstand 1914! „Und während sie sprachen, gelangte mit diesem neuen Gedächtnis und diesem neuen Begreifen, das den Geist all dieser Männer zu erfassen schien, ein neues und verstörendes Wissen in das unterschwellige Bewusstsein – das Wissen, was Männer wirklich von Frauen halten. […] Im Kopf von jedem Einzelnen und bei allen zusammen existierte offenbar ein Untergeschoss, das nichts mit den übrigen Gedanken zu tun hatte, ein abgesonderter Ort, der ihre Gedanken und Gefühle Frauen gegenüber enthielt.“ Sandra Kegel hat hier wirklich große Arbeit geleistet. Im Anhang finden sich ausführliche Biographien zu den Autorinnen. Zudem gibt es zu jeder Geschichte den Hinweis, wann sie entstand und in welchem Kontext sie zu finden ist. Natürlich werden hier auch die vielen Übersetzer*innen aus 25 Sprachen genannt. Im Nachwort von Kegel, in dem auch der Entstehungsprozess dargelegt wird, liest man gleich eingangs von der Gruppe 47, die vorrangig aus männlichen Teilnehmern bestand und zu der ab und an auch eine Schriftstellerin eingeladen wurde. Nicole Seifert hat zu diesem Thema gerade ein Sachbuch herausgegeben „einige Herren sagten etwas dazu“, welches schon hier zur Lektüre bereit liegt.

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