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Rezension zu
Zwischen Welten

Es gibt nicht nur eine Wahrheit...

Von: an_der_see
11.02.2024

Theresa und Stefan wohnten während ihres Germanistikstudiums in Münster zusammen in einer Zweierwohngemeinschaft, wie gute Freunde, wie Geschwister. Bis Theresa´s Vater starb, sie zurück nach Brandenburg ging, um dort die Landwirtschaft ihres Vater zu übernehmen, die sie noch immer führt. Den Kontakt zu Stefan brach sie von einem Tag auf den anderen ab. Stefan machte Karriere als Journalist und arbeitet mittlerweile bei einer renommierten Hamburger Zeitung als stellvertretender Chefredakteur. Beide sind in ihren 40er Jahren angekommen, Stefan Single und ohne Kinder, Theresa verheiratet und zwei Söhne. Durch Zufall begegnen sie sich nach 20 Jahren in Hamburg an der Außenalster wieder, verbringen einen nicht sehr erfreulichen Abend zusammen und beginnen anschließend eine Unterhaltung über WhatsApp und eMail. Ihre Lebenshintergründe können unterschiedlicher kaum sein, ihr Alltag kaum gegensätzlicher. Kann unter diesen Umständen ihre Freundschaft aus Studentenzeiten fortbestehen, kann sie neu belebt und wieder aufgenommen werden, wird sich sogar mehr als Freundschaft entwickeln können? Für mich ist „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban der zeitgenössischste und aktuellste Roman den ich kenne. Die Themen könnten gegenwärtiger kaum sein. Ich bin ehrlich, wenn mein Mann mir diesen Roman nicht empfohlen hätte, hätte ich ihn nicht gelesen. Zu aktuell, zu gegenwärtig, zu wenig Fluchtmöglichkeiten beim Lesen. Und dann hätte ich sehr viel verpasst, mir wäre ein Juwel der deutschen Gegenwartsliteratur entgangen. Theresa und Stefan unterhalten sich über Klimapolitik, über die Gendersprache, Rassismus, den Krieg in der Ukraine, die Herausforderungen in der Landwirtschaft, die Auswirkungen von nur einem unangebrachten Wort, die eine ganze Existenz vernichten kann. Das was sie über diese Themen schreiben, denken und fühlen ist gegensätzlich und doch auch ähnlich. Sie leben in zwei verschiedenen Welten und haben somit auch verschiedene Perspektiven. Theresas Alltag ist vom praktischen Handeln durchzogen. Sie erlebt als Landwirtin die Auswirkungen des Klimawandels, der Klimakatastrophe jeden Tag real. Während Stefan´s Alltag eher mit theoretischen Überlegungen diesbezüglich ausgestattet ist. Die Tatsache ob es regnet oder nicht, kann Theresas Existenz bedrohen. Für Stephan´s Existenz ist es relativ egal ob es regnet oder nicht. Umgekehrt kann es Stefan seine Existenz kosten wenn er auch nur einen Fehler in der Gendersprache macht, wenn er einmal etwas Falsches, Unangebrachtes sagt und damit einen Shitstorm auslöst. Das wiederum spielt in Theresa´s Welt kaum eine Rolle. Sie führen einen Diskurs und gehen dabei selten sanft miteinander um. Es wird direkt gesprochen ohne sich in ihrer Kommunikation zu verbiegen. Dieses Buch zeigt auf, dass man sehr wohl miteinander reden kann, wenn man unterschiedlicher Meinung ist, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Eine Wohltat mitzuverfolgen wie sie ihre Diskussionen immer weiter aufbauen und auch zu spitzen. Beide haben ausreichend Selbstbewusstsein um nicht sofort beleidigt und eingeschnappt zu sein, wenn mal etwas geschrieben wurde, was den eigenen Ansichten gegensätzlich ist. Ich fand das großartig und wie eine Lehrstunde, erfrischend und berauschend. Muss denn immer alles zerstört werden, was nicht der eigenen Auffassung entspricht? Kann nicht einmal das Andere stehen gelassen werden? Ist es so schwer damit zu leben, dass nicht immer alle einer Meinung sind? Diese vielen Gruppen die sich gegenseitig bekämpfen und bekriegen, von der jede denkt, dass nur ihre Ansichten richtig sind. Das macht die Kommunikation in der heutigen Zeit so sehr anstrengend. Und umso wertvoller finde ich das Buch „Zwischen Welten“. Dann die Tatsache, dass nichts wirklich sicher ist, egal wo man lebt, mit wem man lebt, welche Umstände den eigenen Alltag bestimmen. Von einem Moment auf den anderen kann sich das Leben, die eigene Existenz gravierend verändern. Sei es wie bei Theresa durch Bestimmungen von Politikern, die ihr den Berufsalltag immer schwerer und nahezu unmöglich machen, den Auswirkungen von Starkregen oder zu wenig Regen. Oder in Stefan´s Welt die Auswirkungen von einem falschen Wort, dass einen Shitstorm auslöst, das die Masse aufbringt und sich tosend über ihn zusammenschlägt, es wird gerichtet, hingerichtet. Manchmal frage ich mich, warum in der heutigen Zeit so viel von Toleranz gesprochen wird, wenn sie doch immer weniger gelebt wird. Je mehr darüber gesprochen wird, desto weniger ist sie im Alltag zu finden. Im Laufe des Romans kann man in jeder Zeile miterleben, wie die Existenz von Theresa und Stefan immer stärker bröselt, wie beide versuchen, sie zusammenzuhalten und dabei beginnen ein sehr großes Stück Freiheit und Eigenmächtigkeit zu verlieren. Mitzuverfolgen wie beide mit dieser Entwicklung umgehen, fand ich hoch interessant und sehr spannend. „Zwischen Welten“ ist für mich ein Roman aus dem man sehr viel mitnehmen und lernen kann, der so reich an wertvollen Gedanken und Sichtweisen ist, dass es sich lohnt, ihn ein zweites Mal zu lesen. Ein Roman der mir auch mal wieder aufgezeigt hat, dass es nicht nur eine Wahrheit und ein Richtig und ein Falsch gibt und das es unserer Gesellschaft eventuell gut tun könnte, wenn sie wieder anfinge, die vielen Grautöne nicht weiter auszuschließen.

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