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Rezension zu
Frühling der Revolution

Die vergessenen europäischen Revolutionen: Füllen Sie Ihre Wissenslücken!

Von: artwordising Diana Wieser
02.01.2024

Wären alle Sachbücher so spannend wie dieses, gäbe es wohl kein Pisa-Debakel in Deutschland. Dieses Buch füllt enorme Wissenslücken! Beispiele: Wussten Sie, dass die Welle der 1840er Revolutionen nicht im aufmüpfigen Frankreich, sondern in der beschaulichen Schweiz losgetreten wurden? Warum hatte die Abschaffung des Feudalsystems die Situation der Bauern zunächst verschlechtert? Weshalb war Großbritannien das einzige Land Europas, in dem keine Revolution stattfand? (Spoiler: Weil es die Probleme einfach auf seine Kolonien abgewälzt hatte!) Die Französische Revolution kennt jedes Kind. Umso erstaunlicher, dass die Revolutionen von 1848 ins Hintertreffen geraten sind, obwohl ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein spürbar sind. Liegt es daran, dass sie als „gescheitert“ gelten? Liegt es an ihren komplexen Verflechtungen? Bis heute sind Historiker darüber verblüfft, wie sich im Zeitalter vor WhatsApp und Social Media in den unterschiedlichsten Winkeln Europas zeitgleich revolutionäre Umbrüche entwickeln konnten. Wer mehr über diese wahrhaftige „Zeitenwende“ erfahren möchte, findet in Christopher Clarkes Buch den richtigen Begleiter. Der Autor versteht es wie in all seinen Büchern, Geschichte lebensnah, übersichtlich und menschlich darzustellen. Er führt uns hinein in den Dreck, das Elend, die Kämpfe und politischen Ränkespielchen. Zahlreiche abgedruckte Gemälde lassen die Epoche und ihre Charaktere auch optisch aufleben. Ein spannendes Sachbuch mit erhellenden „Aha“-Momenten! Revolutionen 1948 – Brutalität auf beiden Seiten Dieses über 1000 Seiten starke Werk von „Deutschlands beliebtestem Historiker“ macht eine hochkomplexe Geschichtsphase begreiflich. Das liest sich äußerst spannend. Vor dem Hintergrund von Missernten, Hungersnöten und Arbeiterausbeutung begleiten wir Clarke durch die Armenviertel europäischer Metropolen und zu den Kämpfen auf die Barrikaden. Wir verfolgen die letzten Augenblicke des demokratischen Politikers Robert Blum – dem „Gesicht der deutschen Revolution“ – vor seiner Hinrichtung. Mit tränenfeuchten Augen lesen wir eine „der ergreifendsten Passagen deutscher Prosa des 19. Jahrhunderts“ (S. 841) und zwar den Abschiedsbrief Blums an seine Frau Jenny. Schonungslos führt uns Clarke die unglaubliche Brutalität von Aufständischen und Armeen vor Augen. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen der aristokratischen Machtpolitik und seine internationalen Verflechtungen, die wesentlich zum Scheitern der Revolutionen beigetragen haben. Gleichzeitig freuen uns über faszinierende Ausnahmen wie in Dänemark und den Niederlanden. Hier ließen die Monarchen von sich aus moderne Parlamente und Verfassungen zu. Frauenpower 1848: Witwen an der Front, Prostituierte im Lazarett, adelige Berichterstatterinnen Dankenswerterweise führt Clarke auch viele weibliche Protagonistinnen ins Feld, zu denen sich die Geschichte weitestgehend ausschweigt. Die 76-jährige Witwe und Veteranin Anne-Marie Henry kommandierte bei den Pariser Revolutionen eine eigene Frauengruppe. Radikale Frauenverbände gründeten zahlreiche Kindergärten, die Frauen neue Bildungs- und Berufschancen eröffneten (und die 1851 von der preußischen Regierung wieder verboten wurden!). Laut Clarke verfasste die Comtesse d‘ Agoult – deren drei Kinder von Franz Liszt stammen und nicht von ihrem Ehemann – die beste zeitgenössische Geschichte der Revolution. Die Sozialistin Jeanne Deroin forderte in ihrer Zeitung, „die egoistische, grausame Politik, die Männer dazu treibe, einander zu vernichten, durch eine Politik von Frieden und Arbeit zu ersetzen.“ (S.604). Christina, Prinzessin von Belgiojoso, gab sogar dem Papst Paroli. Sie schrieb nicht nur reflektiert über die Mailänder Aufstände, sondern ließ während der Revolution in der Römischen Republik Lazarette errichten, in denen auch Prostituierte arbeiteten. Nach dem Scheitern der italienischen Revolutionen ging sie ins osmanische Exil, setzte sich für die Bildung von Mädchen und Frauen ein und schrieb Romane, in denen sie zum Beispiel die patriarchalischen Strukturen in einem Harem kritisierte. Sind die 1840er Revolutionen wirklich gescheitert? Über allem steht die Frage, ob man die Revolutionen von 1848 wirklich als gescheitert bezeichnen darf. Darauf Clarkes Antwort: „Wir sprechen nicht davon, ob ein Meeressturm, eine Sonneneruption oder ein 16 Tage währender Schneefall „erfolgreich“ waren oder gescheitert sind; wir messen einfach ihre Auswirkungen.“ (S. 1014). Und die sind bis heute spürbar. Verfassungen, Wahlrecht, Pressefreiheit, gesunder Wohnungsbau, Abschaffung der Sklaverei… die Errungenschaften, welche die Revolutionen losgetreten haben, waren enorm. Auch wenn die Umsetzung nicht linear verlief und immer wieder von Rückschlägen und Konterrevolutionen gekennzeichnet war. Die Spuren der Revolution lassen sich bis in die Gegenwart ablesen. Dänemark verabschiedete 1849 eine Verfassung, die bis heute weitestgehend beibehalten wurden. Die Revolutionen trieben einen entscheidenden Keil zwischen Westeuropa und Russland, dessen schreckliche Auswirkungen aktuell die Geschichte wieder umtreiben. Das liberale Piemont und die konservativ-katholischen Provinzen der beiden Sizilien setzten eine Entwicklung in Gang, die bis dato das wirtschaftsstarke Norditalien vom verarmten Süden des Landes trennt. Daneben wurden in den 1840er Jahren Kämpfe rund um die Gleichberechtigung der Geschlechter und Ethnien losgetreten, die immer noch weltweit ausgefochten werden. Sir Christopher Clarke spannt den historischen Bogen ins Heute Haben Sie keine Angst vor dem Umfang dieses Buches. Sie werden es verschlingen und sich gegen Ende selbst im Roman wiederfinden. Denn die Parallelen die Clarke am Ende zu unserer heutigen Epoche – von den französischen Gelbwesten bis zum Sturm des Kapitols in Washington – herstellt, regen zum Nachdenken an. Bereits in seiner Essay-Sammlung „Gefangene der Zeit: Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump“, zeigte Sir Christopher Clarke, wie er den intellektuellen Bogen um die Jahrhunderte spannen und große Zusammenhänge herstellen kann. Für seine Verdienste bezüglich der britisch-deutschen Beziehungen wurde der an der Universität von Cambridge lehrende Geschichtsprofessor von der Queen zum Ritter geschlagen. Auch sonst hat Clarke vom Bundesverdienstkreuz über die Karlsmedaille bis zum Buchpreis so ziemlich alles an Auszeichnungen im Schrank stehen. Was heißt das für Sie? Räumen Sie „Frühling der Revolutionen“ ebenfalls einen Platz in Ihrem Bücherschrank ein! Sie werden es nicht bereuen.

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