Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Zwischen Welten

Durchaus gelungene Ko-Autorenschaft von Juli Zeh mit Simon Urban

Von: Marina Büttner
08.02.2023

„Ich fange an, mich selbst zu zensieren. Wo darf ich hingucken, ohne dass es eine Belästigung ist? Was darf ich sagen? Wem darf ich die Tür aufhalten? Mit wem darf ich im Fahrstuhl stehen? Ich ertappe mich dabei, meine Gedanken darauf zu überprüfen, ob sie missverständlich sein könnten. Das ist Wahnsinn, Tessa.“ Inzwischen geht es mir selbst manchmal so, dass ich dreimal überlege, ob das jemand falsch verstehen kann, ehe ich etwas in den social media Kanälen poste. Die vielen shitstorms, die sich tagtäglich beispielsweise auf Twitter ereignen, erlebe ich als schockierend. Interessant ist zum Beispiel, wie dieser neue Roman von Juli Zeh in der Presse aufgenommen wird. Hier gibt es nämlich auch bereits ein kräftiges Vor-Verurteilen, weil Juli Zeh mit ihrem Schreiben und ihrer öffentlichen Meinung nicht dem Mainstream entspricht, somit scheinbar nicht auf „der richtigen Seite“ steht. „Zwischen Welten“ zeigt mir noch einmal in aller Deutlichkeit, was da wirklich passiert und welche Auswirkungen es auf betroffene Personen hat, von allen Seiten aufgrund einer Äußerung, die oftmals bewusst falsch ausgelegt wird, angeklagt und gebrandmarkt zu werden. In diesem Roman betrifft es nicht nur eine Karriere, sondern zerstört beinahe eine Familie. Juli Zeh und Simon Urban greifen Themen der aktuellen Debatten auf. Sie zeigen genau, wie es mit der Meinungsfreiheit aussieht, beim Thema Gendern, Rassismus, Klimawandel, Identität, eben „woken“ Themen, wie vorsichtig man sein muss, um nicht im Auge des Sturms zu landen. Zeh hat die Form eines Email-Austauschs gewählt, was mir zunächst unpassend erschien, dann aber doch stimmig war. „Die Welt wird nicht gerechter, wenn man an der Sprache rumschraubt und alles auf einer Meta-Ebene behandelt. Das interessiert nur die Akademikerblase. Außerhalb deiner Welt sind Menschen entsetzt, dass ihre Probleme ignoriert werden, während man Kunstwerke mit Sternchen benennt.“ Hauptprotagonisten sind Stefan und Theresa. Beide kennen sich aus ihrer Studienzeit in Münster, als sie zusammen in einer WG wohnten und die allerbesten Freunde waren. Theresa, 41, lebt inzwischen in einem Dorf in Brandenburg, sie hat nach dem Tod des Vaters den Bio-Bauernhof übernommen. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sie verschwand damals einfach ohne Erklärung aus dem Münsteraner WG-Leben. Stefan, 46, studierte weiter und schaffte es bis nach Hamburg in die Führungsebene im Bereich Kultur einer großen, bekannten Wochenzeitung. Er lebt als Single und hat sich ganz seiner Karriere verschrieben. Zufällig begegnen sich beide in Hamburg wieder und verbringen zusammen einen Tag an der Außenalster, der allerdings unversöhnlich im Streit endet. Zu unterschiedlich sind die Meinungen, die sie jeweils vertreten, zu eingefahren sind sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation. Im ersten Teil tauschen sich beide in kurzen Whats App Nachrichten aus, die oftmals wild durcheinander den anderen und dessen Meinung anklagend hin und her sausen. Hier zeigt sich, wie wenig geeignet dieser Weg ist, sich wirklich mit einem anderen Menschen auseinanderzusetzen. In diesen Nachrichten zeigt sich auch, dass Stefan wohl damals in Theresa verliebt war und womöglich immer noch ein wenig davon übrig ist. „Wer existenziell lebt (ich), muss nicht sensationell leben (du). Wer das Existenzielle verloren hat (du), braucht die Sensation. Das unterscheidet dich und mich. Es unterscheidet Stadt und Land.“ Stefans Zeitung ist im Umbruch; er selbst sorgt mit dafür, dass Themen, wie der Klimawandel in den Vordergrund treten, lässt gar „Aktivisten“ ohne Zeitungserfahrung in der Redaktion mitarbeiten, stellt damit aber auch die Neutralität der Presse in Frage. Einige Zeit später merkt auch Stefan, dessen Mentor und Chef, ein kluger Mann mit reichem Erfahrungsschatz, der ihm viel Verantwortung überträgt, dass es eben doch aus dem Ruder geraten kann, wenn einseitig angesagte Themen die klassische Berichterstattung plötzlich dominieren soll. „Und verdächtig wird es in meinen Augen, wenn sich ein Mainstream entwickelt, der keinen Widerspruch mehr duldet. Wenn Leute (wie du) auf einmal blind werden für Gegenargumente und abweichende Meinungen. Wenn es keine Diskussion mehr geben soll, sondern nur noch alternativloses Handeln.“ Theresa kämpft im dörflichen Brandenburg um ihr Überleben als Landwirtin. Sie ist auf Zuschüsse vom Staat angewiesen, damit sie ihre Angestellten bezahlen kann und ihre Familie durchbringt. Die Ehe mit Basti kriselt, die beiden Jungen leiden darunter. Doch die Regierung sagt heute so, morgen so. Ein langfristiges Planen ist da nicht drin, in der Landwirtschaft gerade mit Tieren, aber notwendig. Kühe sind nicht mehr angesagt. Doch der Nachbar, der deshalb extra eine Biogasanlage gebaut und das Vieh abgeschafft hat, wird ebenfalls durch Gesetzesänderungen im Stich gelassen und steht am Rand der Insolvenz. Warum sich Stefan und Theresa weiter austauschen, ist mir oft unklar. Sie treffen sich sogar noch einmal in Hamburg, doch auch diese Begegnung endet im Streit und in einer körperlichen Auseinandersetzung (die Stefan später sogar zum Verhängnis wird). Als sie dann jedoch beginnen, sich lange Emails zu schreiben und tiefer auf einander eingehen, scheint sich ein Weg zueinander anzubahnen. Vielleicht auch, weil sich in dieser Zeit, bei beiden so viele Widrigkeiten in der Arbeit ergeben, dass sie sich einsam fühlen und einander durch den Austausch stützen können. Fast gehen sie soweit, gemeinsame Zukunftspläne zu überlegen. Doch kommt es anders. Stefans Chef wird aus der Zeitung gemobbt, weil er einen „falschen“ Satz sagt. Stefan ist damit gleich wieder im Rennen. Und Theresa wird selbst zur politischen Kämpferin um bessere Bedingungen für die Landwirtschaft. Für sie endet es weitaus bitterer als für Stefan, der sein Fähnchen offenbar leichter im Wind schwenken kann … Überall gibt es Stimmen, die diesen Roman für vollkommen misslungen halten. Selten höre ich Lob. Nun ist natürlich klar, dass Juli Zehs Romane vom Inhalt leben. Sprachlich und formell gibt es da keine Highlights. Ich empfinde den Roman trotzdem als gelungen und als sehr wichtiges Zeitdokument. Mir spricht die Heldin Theresa sehr oft aus dem Herzen. Zumal ich durchaus einmal Einblick hatte, wie Landwirtschaft und generell das Leben auf dem Land/Dorf grundlegend anders funktioniert als in der Großstadt. Es ist immer gut, einmal „in den Schuhen eines anderen zu gehen“. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die nicht nur mit dem Mainstream mit schwimmen, sondern mutig dagegen halten. Gerade in der Presselandschaft mangelt es meinem Empfinden nach daran. Presse sollte neutral berichten und keine politisch vermeintlich richtigen Positionen beziehen. Was Juli Zeh in Interviews bezüglich der Lesart sagt, finde ich noch wichtig zu erwähnen. Simon Urban und sie wollten damit darauf hinweisen, dass es wichtig und sinnvoll ist im Gespräch, im Austausch zu bleiben, auch wenn man vollkommen gegenteilige Meinungen vertritt.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.