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Rezension zu
Die Scherben der Erde

Space Opera mit Action und Hirn

Von: Buecherbriefe
30.10.2022

Mit Die Scherben der Erde liegt der erste Band der Architekten-Trilogie (The Final Architects) des bekannten britischen Autors Adrian Tchaikovsky vor. Kann er mit diesem Roman dem Science-Fiction Genre etwas Neues abgewinnen? Kunst als Bedrohung? Tchaikovsky entwirft auf den ersten Blick ein altbekanntes Szenario: Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Menschheit im Weltall ausgebreitet und ist dabei mit zahlreichen außerirdischen Lebensformen in Kontakt gekommen. Gemeinsam führen sie ein Leben in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz - bis eines Tages die Architekten auftauchen: Mondgroße (Lebe)Wesen, die einem nicht nachvollziehbaren ästhetischem Empfinden folgend ganze Planeten zu Skulpturen umformen und dabei jegliches Leben zerstören. Die Menschheit kann ihnen nichts entgegensetzen, weder konventionelle Waffen noch hochgezüchtete Kriegerklone scheinen ihnen etwas anhaben zu können. Es beginnen jahrzehntelange Flüchtlingswellen, die erst ihr Ende finden, als es dem Intermediär Idris, einem parapsychologisch begabten Menschen, gelingt, Kontakt mit einem Architekten aufzunehmen und ihm die Existenz der Menschheit bewusst zu machen. Der Architekt verschwindet daraufhin tatsächlich und Jahrzehnte des Friedens brechen an. Der gefeierte Kriegsheld Idris sucht unterdessen die Abgeschiedenheit und verdingt sich als Schrottsammler am äußersten Rande des Universums. Bis er eines Tages bei einer Mission Anzeichen dafür entdeckt, dass die Architekten zurückgekehrt sind… Informationen in Hülle und Fülle Auf den ersten Blick scheinen sich dabei meine Befürchtungen bestätigt zu haben. Von Anfang an wird der Leser mit Begriffen bombardiert, die allenfalls Genre-Lesern geläufig sind. Wir begegnen einer Vielzahl an außerirdischen Rassen, zahlreichen Planeten, unzähligen politischen Gruppierungen und werden mit unterschiedlichsten Technologien konfrontiert, die allenfalls in einem Nebensatz erklärt werden. Für den Leser birgt die Fülle dieser neuen Begriffe die Gefahr, schnell den Überblick zu verlieren. Dem wirkt allerdings der hilfreiche und umfangreiche Anhang entgegen, der für alle relevanten Begriffe eine kurze und stimmige Erklärung bereithält. Menschheit ohne Mittelpunkt Auch inhaltlich scheint der Roman zunächst überfrachtet zu sein. Das bestimmende Motiv Tchaikovskys ist die Schilderung einer Welt, deren Bewohner ihren gemeinsamen Mittelpunkt verloren haben und in ihrem verzweifelten Streben nach Halt immer weiter auseinanderdriften. Mehrere politische Bewegungen versuchen dabei die Vorherrschaft zu erlangen, seien es nun Nachfolger der Erde, eine menschlich-identitären Bewegung oder die muschelartigen und gottähnlichen Essiel, die einen Schutz vor den Architekten zu bieten scheinen. Als wäre dies alles nicht komplex genug, kommen noch viele kleinere außerirdische oder ursprünglich von Menschen geschaffenen Rassen und eine selbstständige Gruppierung von parthenogenetisch gezüchteten Kriegerfrauen hinzu. Aktuelle Fragestellungen In unterschiedlichen Ausprägungen behandelt der Autor zudem noch weitere zeitgemäße Themen wie Rassismus, Nationalismus, Inklusion, Diaspora oder Flüchtlingsbewegungen. Für den Unterhaltungsfaktor ist dabei sicherlich hilfreich, dass er den Roman nicht als Plattform für seine eigenen politischen Ansichten nutzt, sondern diese Aspekte stimmungsvoll in seine Welt integriert. So lassen sich etwa hinsichtlich der Flüchtlingsbewegungen Bezüge zu jüngeren (und natürlich auch älteren) Ereignissen auf der Erde herstellen, zwingend sind solche Rückschlüsse allerdings nicht und aus einer erhobenen moralischen Position agiert Tchaikovsky schon gar nicht. Dass wir als Leser diese Ereignisse aus den Augen unserer Figuren erleben, wirkt nebenbei bemerkt sowieso viel nahbarer und intensiver als jede geschwungene Moralkeule. Aus meinen bisherigen Ausführungen könnte man nun leicht den Schluss ziehen, dass der Roman einfach nicht genug Platz bietet, um all dem gerecht zu werden. Um es gleich vorwegzunehmen: Dies ist glücklicherweise nicht der Fall. Um der geballten Informationsflut entgegenzuwirken, bedient sich der Autor nämlich verschiedenster Elemente, die sich positiv auf das Gesamtkonstrukt auswirken. (Zu) Viel Action Hervorzuheben wäre dabei vor allem sein Drang zu zahlreichen, brachialen Action-Szenen: Ob an Bord eines Raumschiffs, gegen verschiedene Schiffe, auf zahlreichen Planeten oder natürlich die „Kämpfe“ gegen die Architekten – der ganze Roman ist gespickt mit umfangreichen und packenden Kampfszenen, die aufgrund der unterschiedlichen Szenarien tatsächlich Abwechslung bieten. Tchaikovsky gelingt es dabei, die spezifischen Gegebenheiten der jeweiligen Umgebung mit einzubeziehen und zögert auch nicht, wichtige Figuren sterben zu lassen, sodass der Leser gar nicht erst auf die Idee kommt, diesen Abschnitten weniger Aufmerksamkeit zu widmen. Aber auch die filmreifsten Szenen leiden darunter, wenn dem Leser keine Verschnaufpausen geboten werden (Action-Film Fans werden hier sicherlich widersprechen) und so kann auch der Autor nicht verhindern, dass sich ein gewisser Ermüdungseffekt einstellt. Gerade in der Mitte des Bandes fragt man sich doch das eine oder andere Mal, ob diese erneute dramatische Flucht tatsächlich notwendig war. Charaktere die ans Herz wachsen Ein weiteres wichtiges Element seiner Erzählung sind die zahlreichen und vielfältigen Protagonisten, die einem im Laufe der Handlung ans Herz wachsen. Ob nun die beiden Hauptfiguren Idris und die Kriegerin Trost, die mehr als nur sympathische Crew des Schrottsammlers Geiergott oder auch ihre Feinde: Liebevoll beschreibt und behandelt der Autor Menschen und Außerirdische mit all ihren inneren und äußeren Macken. So reichen bereits einige wenige seiner unterhaltsamen Dialoge aus, damit sie uns ans Herz wachsen. Gerade die Interaktionen der Crew der Geiergott lässt den ansonsten weiten Erzählwinkel von Tchaikovsky schrumpfen und erdet die ganze Handlung. Umso mehr fiebert man dann auch mit den Figuren in brenzligen Situationen mit, zögert der Autor doch nicht, auf beiden Seiten reihenweise Figuren sterben zu lassen. Dass die immer wieder angedeutete Liebesgeschichte zwischen Idris und Trost ein wenig in den Hintergrund rückt, können wir dem Autor dabei verzeihen. Faszination Weltall Ein weiter wichtiger Aspekt des Romans ist die Schilderung der Weltraumreisen. Die Menschheit kann sich im Weltraum nämlich nicht frei bewegen, sondern ist auf die Nutzung von Passagen angewiesen, die sich zwischen allen Planeten befinden. Außerhalb dieser Passagen liegt der sogenannte Unraum. Betreten normale Lebewesen diesen Unraum, so verlieren sie innerhalb kürzester Zeit den Verstand. Einzig die Intermediäre sind in der Lage, diesen Raum einigermaßen unbeschadet zu durchqueren und sind daher gefragte Piloten und Navigatoren. Dumm nur, dass es nur eine begrenzte Anzahl solcher Individuen gibt. Um Intermediär zu werden, ist nämlich ein brutaler Prozess voller gefährlicher Operationen und Experimente notwendig, den nur die wenigsten überleben. Die wenigen „Glücklichen“ werden meist zu bestimmten Tätigkeiten gezwungen und haben in der Regel keine große Lebenserwartung. Allerdings machen ihre parapsychischen Kräfte sie gleichzeitig auch zum einzigen Mittel der Menschheit gegen die Bedrohung der Architekten. Dabei kämpfen sie nicht im herkömmlichen Sinne – physische Gewalt kann den Architekten nichts anhaben – sondern versuchen vielmehr psychisch zu ihnen vorzudringen und Kontakt aufzunehmen. Die Schilderungen der Reisen durch den Unraum und die Kontaktaufnahmen mit den Architekten gehören dabei sicherlich zu den Highlights des Romans, liegen sie doch jenseits aller Konventionen und erinnern mich dabei ein Stück weit an Die Mauern der Welt hoch von James Tiptree Jr. Was bleibt? Man mag es gar nicht glauben, dass ein in allen Aspekten so überfrachteter Roman überzeugen kann, aber dies ist hier tatsächlich der Fall. Tchaikovsky ist es gelungen, eine wirklich umfangreiche und belebte Welt zu erschaffen, zahlreiche auch gegenwärtig wichtige Motive zu behandeln und den Leser dennoch nicht zu überfordern. Dazu bedient er sich zahlreicher sympathischer Figuren, packender Action-Szenen und einiger origineller Einfälle. Als ein Leser, der nur selten mit Space Operas in Kontakt kommt, habe ich mich hervorragend unterhalten gefühlt und fiebere bereits dem zweiten Band Die Augen der Galaxis entgegen, der im Februar 2023 erscheinen soll. Fazit: Mit Die Scherben der Erde legt Adrian Tchaikovsky einen gelungenen Auftaktband hin, der trotz seiner Informationsflut durch ein spannendes Szenario und zahlreiche Action-Szenen begeistern kann. Sicherlich kein Meisterwerk, aber eine überaus unterhaltsame Lektüre!

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