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Rezension zu
Fabrik der Schatten

Sehr gut gelungene Darstellung der Menschen und ihrer Zeit

Von: Andreas
13.07.2022

Man schreibt das Jahr 1910: Das Deutsche Kaiserreich ist unter Wilhelm II. ein bis in die letzten Winkel militarisierter Staat und die Erwartung, dass es bald zu einem Krieg kommen wird, ist weit verbreitet. Erst wenige Jahre sind seit dem ersten Flug der Brüder Wright vergangen, doch es gibt in den Reihen des Heeres schon viele, die im Flugzeug eine kommende neue Waffe sehen. Deutschland hinkt jedoch trotz seiner enormen Industrialisierung bei Thema Flugzeug hinter dem Rivalen Frankreich hinterher. Die erst kurz zuvor in Berlin neue gegründeten Albatros Flugzeugwerke kaufen daher drei Flugzeuge der neuesten Typen aus Frankreich, um die Technik zu verstehen und zu verbessern. Seltsam, dass sich das französische Militär nicht gegen diesen Verkauf ausspricht. Ein Vorgang, der die Geheimdienste auf den Plan rufen muss. Zunächst jedoch ereignet sich in Bingen, in der Nähe von Wiesbaden ein verheerender Unfall, bei dem das vordere von zwei dahin rasenden Autos von einem Zug erfasst wird, bei der anschließenden Explosion kommen auch einige Unbeteiligte ums Leben. Wäre es ein gewöhnliches Unglück, dann würde sich wohl nur die örtliche Polizei damit befassen, sieht es doch zunächst so aus, als wäre eine Verfolgungsjagd unter Gangstern schiefgelaufen. Zeugen berichten aber, dass einer der Insassen aus dem zweiten Wagen Französisch sprach, ein Umstand, der zu dieser Zeit, so nahe an der Grenze zu Frankreich, schon für Unruhe sorgen kann. Außerdem wird einer der Insassen aus dem ersten Wagen mit vier Schüssen regelrecht hingerichtet. Eine gewöhnliche Auseinandersetzung zwischen Ringvereinen, wie die Polizei annimmt, kann das wohl nicht gewesen sein. Major Albert Craemer von der Abteilung III b des Geheimdienstes reist mit seiner Kollegin Lena Vogel nach Bingen, um sich selbst ein Bild von den Ereignissen zu machen. Dort werden schon am nächsten Tag noch mehr Menschen ermordet, als zwei Attentäter in das Krankenhaus eindringen, in dem der überlebende Verletzte aus dem Wagen liegt, und diesen mit ebenfalls vier Schüssen ermorden. Auf den Gängen des Krankenhauses bleiben weitere Opfer zurück; einer der beiden Attentäter gerät auf der Flucht zu seinem Unglück an Lena Vogel … „Fabrik der Schatten“ ist ein historischer Roman und ein historischer Krimi gleichermaßen. Die allgegenwärtige Atmosphäre des Militarismus, die im Kaiserreich herrscht, lässt sich ebenso spüren wie der Enthusiasmus der Pioniere der Fliegerei, die sich auf noch recht abenteuerlichen Maschinen in die Luft wagten. Technik und Militär: daraus entspinnt sich eine Geschichte, die tatsächlich das Gefühl vermittelt, als wäre man zurückversetzt an den Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Schilderung der Lebensumstände, der gesellschaftlichen Normen, der Zeit des Überganges von althergebrachten Traditionen in die modernen Zeiten – das finde ich als wirklich gut gelungen, es vermittelt ein abgerundetes Bild. Eingebettet ist dann natürlich noch die temporeiche Agentenstory, in der Lena Vogel die Hauptrolle spielt. Sehr gut gefällt mir, dass vieles mit einem ganz deutlichen Augenzwinkern erzählt wird. Das alles ist in kurzen Kapiteln zu lesen und dank des klaren und schnörkellosen Schreibstils behält man trotz der Vielzahl der Protagonisten immer den Überblick über das Geschehen – jedenfalls so weit es das betrifft, was verraten wird. Die Zeit, als man Frauen kaum mehr Hilfstätigkeiten zugestand: Im Jahr 1910 waren Frauen in wichtigen Positionen ganz generell noch kaum vertreten und überhaupt von vielen Bereichen des Berufslebens ausgeschlossen. Die Agentin Lena Vogel ist eine dieser wenigen, die, wenn auch in untergeordneter Funktion, es geschafft haben, sich in männerdominierte Bereiche hineinzuarbeiten. Diese Lena Vogel ist ganz wunderbar charakterisiert, man hat sie richtig vor Augen, wenn sie den Männern, mit denen sie es zu tun bekommt, eine Rolle vorspielt: nämlich die Rolle der unbedarften Frau, genauso wie es die von sich selbst eingenommen Herren erwarten; die bekommen gar nicht mit, wie Lena das Heft in der Hand hält. Wirklich amüsant dabei die Dialoge zwischen Lena und ihrem Vorgesetzten Albert Craemer, dem die Qualitäten seiner Mitarbeiterin zwar durchaus bewusst sind, dem sie aber ihre Erkenntnis und Pläne immer wieder so präsentiert, als wäre alles seine Idee und Entscheidung. Manchmal wird daraus eine flotte Doppelconference, bei der beide zwar voneinander wissen, wer gerade die Richtung vorgibt (meistens Lena), dies aber augenzwinkernd hinter einem gesellschaftlich adäquaten Rollenspiel verbergen. Historischer Hintergrund: Einige der zentralen Ereignisse drehen sich um historische Tatsachen. Darunter beispielsweise die Albatros Flugzeugwerke, die im Jahr 1909, ein Jahr vor dem Geschehen im Roman, von Enno Walther Huth, der ebenfalls einen Auftritt hat, gegründet wurden. Der Flugpionier Simon Brunnhuber, Ebenso existierte von 1889 bis zum Jahr 1919 die Abteilung III b des Geheimdienstes, für die Albert Craemer und Lena Vogel arbeiten. Bei den historischen Bezügen findet sich im Roman auch ein Hinweis auf das Buch „Die Welt in 100 Jahren“ von Arthur Brehmer aus dem Jahr 1910, das viel über die damaligen Zukunftsperspektiven verrät. Das Resumee: Während man gespannt verfolgt, wie Lena Vogel und – unabhängig davon – Albert Craemer immer weitere Details herausfinden, die zu einer verborgenen Verschwörung führen, ist dann am Ende die Auflösung für meinen Geschmack ein wenig zu konstruiert, was insgesamt die Freude etwas schmälert. Aufgewogen wird das durch die wirklich sehr gut gelungene Darstellung der Menschen und ihrer Zeit, eingebettet in die Stimmungslage wenige Jahre vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Der Start einer neuen Krimireihe: Wie schon der Untertitel verrät, soll dies der erste Roman einer ganzen Serie sein. Die überaus gut gezeichneten Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller sind, da bin ich mir sicher, wirklich dazu geeignet, noch für einige weitere spannende Fälle aus der Zeit zur Verfügung zu stehen. Da jedoch der Co-Autor Rainer Wittkamp leider kurz vor der Fertigstellung dieses Romanes verstorben ist, wird sich noch herausstellen, ob es in gleicher Weise weitergehen wird. Da ich aber auch die Solo-Bücher von Co-Autor Matthias Wittekindt überaus schätze, sind Optimismus für und Vorfreude auf weitere Fälle für Lena Vogel durchaus angebracht.

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