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Rezension zu
Die Glücklichen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein herausragendes Gesellschaftsporträt unserer Zeit

Von: Poesie und so
06.07.2015

Wie rezensiert man ein Buch, das einen so vom Hocker gerissen hat, dass man vor lauter Überwältigung überhaupt nicht weiß, wie man die richtigen Worte dafür finden und ihm gerecht werden soll? Weil man sich so viele Textstellen markiert hat, die einen in ganz besonderer Form berührt haben und die man gerne erwähnen möchte – aber andererseits am liebsten einfach nur schreiben möchte: „Lest es! Flott!“ Beginnen wir mal der Reihe nach… Worum geht’s? Vordergründig geht es um Isabell und Georg sowie deren Sohn Matti. Eigentlich könnten sie eine glückliche kleine Familie sein – doch die Fassade bröckelt. Isabells Karriere als Cellistin steht auf dem Spiel, als sie das unkontrollierte Zittern ihrer Hände nicht mehr in den Griff bekommt. Georgs Stelle als Journalist bei einer Tageszeitung wird weg rationalisiert. Dazu kommt, dass sich die beiden auch erst noch in ihre Elternrolle einfinden müssen. Der Druck und die Verunsicherung wachsen ebenso wie das Schweigen und die stillen oder auch lauteren Vorwürfe zwischen den beiden. Schon auf den ersten Seiten fiel mir die tolle Sprache von Kristine Bilkau auf: sehr präzise, klar und auf den Punkt. Dennoch war mein Lesetempo deutlich langsamer als sonst, da die Sätze trotz ihrer Klarheit recht komplex sind und ich den Eindruck hatte, dass mir sehr leicht etwas entgehen könnte, wenn ich zu schnell werde. Und trotz ihrer „Stille“ schlugen einige der Sätze für mich ein wie eine Bombe. Gerade wenn man auch selbst im Alter von Isabell und Georg ist, fühlt man sich quasi ständig persönlich angesprochen. Egal, ob es Dinge sind, die einem gerade selbst unter den Nägeln brennen oder ob es Geschichten aus dem Freundes- und Bekanntenkreis sind, an die man spontan erinnert wird – einen Nerv trifft der Roman in jedem Fall. Hierzu trägt meiner Meinung nach auch die Art der Figurenzeichnung bei: sowohl Isabell als auch Georg sind beide so gezeichnet, dass man zwar ein sehr klares Bild von beiden vor Augen hat, aber dennoch genügend auf Distanz gehalten wird, um die beiden beinahe wie durch ein Mikroskop beobachten und analysieren zu können. Anhand der Figurenzeichnung wird man nicht dazu verleitet, eindeutig für einen von beiden Partei zu ergreifen, sondern kann die Handlungen und Denkweise der beiden recht analytisch und objektiv betrachten. Und was man dadurch zu sehen bekommt, ist ein großartiges Sittengemälde unserer Zeit: wie finde ich als Frau um die 30, die scheinbar alle Möglichkeiten hat (???), meinen Platz in der Gesellschaft – ohne mich dabei verbiegen oder selbst vernachlässigen zu müssen und dem allgegenwärtigen Perfektionsdruck zu unterliegen? Welche Rolle spielt hierbei meine Partnerschaft bzw. meine Familie? Inwiefern haben der eigene Beruf und der des Partners Einfluss auf dieses Gefüge? Und was passiert, wenn eines dieser zahlreichen Mosaiksteinchen plötzlich quer liegt und Perfektion nicht (mehr) möglich ist? Und, wenn auch eher am Rande: wie zur Hölle wird in diesem Land eigentlich mit der viel zitierten „Elite“ umgegangen? Wie kann es sein, dass man sich als Akademiker von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln muss und nicht einmal genügend Sicherheit hat, um einigermaßen beruhigt eine Familie gründen und sich dieser auch ausreichend widmen zu können? Kristine Bilkau ist ein genialer Roman gelungen, der von scharfen und klugen Beobachtungen lebt und hervorragend zum Nachdenken und Diskutieren einlädt. Für mich ist „Die Glücklichen“ ein Buch, an dem man dieses Jahr nicht vorbeikommt. Ich hoffe, dass es möglichst viele Menschen lesen und sich vor allem auch über das Gelesene hinaus ein paar Gedanken machen – denn letztendlich tragen wir ja alle dazu bei, dass unser derzeitiges Gesellschaftssystem in genau dieser Form aufrechterhalten wird.

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