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Rezension zu
Lancelot

Lancelot - der gefallene Ritter von einer anderen Seite

Von: Ute
27.01.2022

Den meisten von uns sind auf irgendeine Weise schon mal die verschiedenen Figuren der Artus-Sage über den Weg gelaufen, ob in Kinofilmen, TV-Serien oder Büchern. König Arthur, der Zauberer Merlin und das berühmte Schwert „Excalibur“ sind uns ein Begriff, und auch wenn wir die genaue Geschichte der vielfach neu erzählten Legende nicht so genau kennen: Wir wissen, es geht um Ritter, um Mut und um Ehre. Für einen der Ritter von Arthur’s Tafelrunde war das mit der Ehre allerdings so eine Sache. Der Sage nach war er unsterblich in Arthur’s Frau, Guinevere, verliebt, und dieser Betrug läutete nicht nur das Ende der Tafelrunde ein, sondern vereitelte auch die Suche nach dem Heiligen Gral. Dieser Ritter hieß Lancelot. Giles Kristian nimmt in seiner Nacherzählung eben jene betrügerische Figur und gibt ihm eine ausführliche Backstory, die einer Rehabilitation gleichkommt. Über weite Strecken des Romans fokussiert auf Kindheit und Jugend des tragischen (Anti-)Helden, lässt sich der Autor viel Zeit für Lancelot’s coming-of-age Geschichte und für die frühen Anfänge seiner Liebe zu Guinevere. Wir lernen Lancelot als Mensch kennen, und wir begreifen, dass seine Beziehung zu Guinevere – zumindest bei Giles Kristian – kein einfaches, ehebrecherisches Begehren ist, sondern eine große Liebe von Kindertagen an, lange bevor Guinevere Arthur’s Frau wurde. Giles verwendet mehrere hundert Seiten auf Lancelot’s Aufwachsen und auf seine Ausbildung zu einem Krieger auf einer kleinen Insel vor der Küste des heutigen Cornwalls. Als jüngster einer Gruppe von Jungen muss er sich durchbeißen, körperlich wie seelisch, gegen strenge Lehrmeister und Bullies unter seinen „Mitschülern“. Auf dieser Insel lernt Lancelot, gerade mal zehn Jahre alt, auch Guinevere kennen, auf schicksalhafte Weise, die beide füreinander gleichermaßen zu bestimmen scheint als auch unter einen schlechten Stern stellt. Schon hier ahnen wir: Das kann nicht gut ausgehen. Dieses erste Drittel des Buches ist detailreich, langsam im Erzählton und trotz einiger heftiger und alles andere als zimperlich erzählten Szenen keine weniger eine ritterliche Abenteuergeschichte, sondern vielmehr eine Charakterstudie von Lancelot. In der Ich-Form erzählt, stecken wir tief in diesem begabten, aber belasteten und wütenden Jungen, der sich allmählich zum besten Krieger der Truppe mausert. Das bringt uns Lancelot nahe und ist nie langweilig. Rückblickend scheint einiges, was Kristian erzählt, allerdings eher unnötig. So verbringt Lancelot viel Zeit mit der Abrichtung eines Greifvogels, obwohl dieser Handlungsstrang komplett ins Nichts verläuft. Seltsam, da der Sperber sogar groß das englische Cover ziert. Wofür war das gut? Um Lancelot als Figur zu definieren? Als resilienten Krieger, der auch in aussichtsloser Lage alles gibt? Oder geht es um das Erleben von Verlust, von Scheitern und Trauern um etwas, das keine faire Chance bekam? Als Arthur, der große König, schließlich die Bühne betritt – als spektakulärer Krieger von magnetischer Anziehungskraft und ungeheurer Wucht – legt Kristian plötzlich den vierten Gang ein, und der Rest der Geschichte – von Arthur’s Schlachten gegen die vordringenden Sachsen, der Suche nach dem Schwert Excalibur und seinem Versuch, ganz Britannien unter sich zu vereinen, von Lancelot’s Wiederbegegnung mit Guinevere und dem „Betrug“ an Arthur – wird dann unter Zuhilfenahme von großen Zeitsprüngen und leider immer komprimierter erzählt. Das ist überraschend und schade und wirkt, als wäre dem Autor plötzlich klar geworden, dass er ja irgendwie noch die ganze Geschichte in dieses eine Buch quetschen muss, anstatt sich damit über mehrere Bände hinweg Zeit zu lassen (die ich gerne gelesen hätte!) Das ist ein kompletter Bruch mit der vorherigen Erzählweise, und aus einem Buch, dessen Ausführlichkeit ich bis zu diesem Punkt zu schätzen gelernt habe, wird eine „zack-zack“-Abhandlung, die den Boden verliert. Dennoch: Dazwischen gibt es beeindruckende Schlachten, und die sind grimmig und brutal und filmreif geschrieben. Giles hat nichts übrig für die Romantisierung von Kämpfen mit Schwert, Axt oder Speer. Da wird geschlitzt, geköpft und aufgespießt, was das Zeug hält. Es riecht nach Blut und aufgerissenem Gedärm, und trotzdem macht Giles das in episch-heroischem Stil. Mit grausigem Pathos brennt er uns die Schlachtszenen ein, in der Mitte Lancelot als schier unbesiegbarer Krieger. Dafür hat Giles ein echtes Talent, und diese Szenen hinterlassen Eindruck. Überhaupt ist sprachlich nichts zu beanstanden an diesem Roman, weder im englischen Original noch in der deutschen Übersetzung von… Irgendwo zwischen viriler Poesie, grimmiger Dramatik und Modernität genug, um leicht lesbar zu sein, sorgt Giles für reichlich Stimmung und Bilder im Kopf. Das macht den Schluss auch zu einem beeindruckenden, emotionalen Showdown. Denn zum Glück besinnt sich Giles auf den letzten Seiten wieder darauf, uns tief in Lancelot hinein blicken zu lassen und das Ende ebenso episch wie ergreifend zu schildern. Man kann nicht wegsehen und nicht wegfühlen von diesem vorherbestimmten, von bittersüßer Tragik durchfluteten Untergang. Es gäbe noch ein paar mehr Kritikpunkte. So bleiben die Frauenfiguren – einschließlich Guinevere – relativ flach. Gerade aus ihr holt Giles nicht all das heraus, was er andeutet. Das liegt vielleicht an seinem Fokus auf Lancelot. Andererseits erschafft er ein paar tolle, erinnerungswürdige und ans Herz gehende männliche Nebenfiguren, wie Lancelot’s Freund Bors, eine Art Samwise Gamgee für unseren jungen Recken, oder Lancelot’s Lehrmeister Pelleas. Eine im Buch beinahe stattfindende Vergewaltigung und deren Folgeszene verwirren mich immer noch, weil ich bis heute nicht weiß, ob das animalisch oder sexy wirken sollte. Ich konnte das Verhalten von Lancelot und Guinevere nicht nachvollziehen und fand das einfach nur merkwürdig. Wer erwartet, viel von Arthur, Merlin oder den anderen Tafelrittern mitzubekommen, dürfte ebenfalls enttäuscht sein. Sie alle sind nur Randfiguren, die teils sehr anders wirken, als wir sie aus den diversen Varianten der Sage kennen. Hier geht es um Lancelot, und das sollte jedem klar sein. Fazit: Bei all den Holprigkeiten, die der Roman hat: Unterm Strich ist es eine mutige, unterhaltsame Nacherzählung mit ambitioniertem Tiefgang und weit ausholender Backstory, gespickt mit spektakulären Kampfszenen. Im sehr emotionalen Nachwort wird klarer, warum Giles den Roman so gewichtet hat: Es geht ihm um eine Geschichte von von dem, was hätte sein können, wenn es hätte sein dürfen. Um hoffnungsvolle Anfänge, die das Leben abrupt beendet. In diesem Fall: Um Lancelot, der so viel mehr war als ein Betrüger. Wer so etwas mag – mehr zu erfahren über die Motive, die Geschichte und die Charakterentwicklung einer legendären Nebenfigur – der ist bei „Lancelot“ genau richtig. Dazu sollte man noch Geduld mitbringen und blutige Schlachtbeschreibungen mögen. Und eine gewisse Nachsicht mitbringen, was das Vermischen von Historie, Sage und kompletter Fiktion angeht.

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