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Rezension zu
Die Hafenschwester (3)

"Kleine Leute" in schwierigen Zeiten

Von: Edith N.
20.01.2022

Der dritte und letzte Band der Hafenschwester-Reihe beginnt im Jahr 1923 und endet 1955. Es geht hier weniger um die Helden der beiden Vorgängerbände – die Hamburger Krankenschwester und engagierte Sozialdemokratin Martha Studt und ihren Mann, den kriegsversehrten Ingenieur Paul -, sondern um deren drei Kinder. Die Werte, die man Rudolf, Alfred und Ella Studt daheim vorgelebt hat, sind nicht kompatibel mit dem aufkommenden politischen Zeitgeist. Wie die drei versuchen zu überleben, ohne ihre Ideale zu verraten und inwieweit ihnen das gelingt, schildert dieser Roman. Darum geht’s: Irgendwie scheint Rudi, das älteste der Studt-Kinder, nie verkraftet zu haben, dass ihn seine jüngeren Geschwister als „Prinz“ entthront haben. Permanent fühlt er sich zurückgesetzt und zu kurz gekommen und hat den Eindruck, der langweilige Fredi und die hübsche Ella würden bevorzugt. Er tut alles, um aufzufallen, und wenn’s negativ ist. Nach einem handfesten Skandal muss er die Universität verlassen. In Berlin könnte er weiterstudieren, allerdings fehlen seinen Eltern dafür die nötigen finanziellen Mittel. Es sei denn, sie gäben Rudi das Geld, das sie für Ellas Medizinstudium zur Seite gelegt haben. Sie soll erst einmal den Beruf einer Krankenschwester erlernen und ggf. später studieren. Zähneknirschend stimmt Ella zu. Der mittlere Bruder, Fredi, will zum Glück nicht studieren. Er schlägt die Polizeilaufbahn ein. Fassungslos staunend erlebt er mit, wie Kollegen, die er bislang für ganz normal und anständig gehalten hat, auf einmal krude rassistische Thesen vertreten. Er findet das abstoßend, ist aber so schlau, das für sich zu behalten. Anwalt Rudi dagegen hält sich für unbesiegbar und legt sich mit Leuten von der NSDAP an. Dies und die Tatsache, dass er mit einer Schauspielerin jüdischer Abstammung liiert ist ruft die SA auf den Plan. Um seinen Bruder zu geht Fredi gewissermaßen einen Pakt mit dem Teufel ein. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sein politisches Doppelleben auffliegt. Und das bekommt ihm nicht gut. Die Menschen an sich sind unzulänglich. Aus Gedankenlosigkeit und Egoismus fügen sie einander Schaden zu, aus Naivität gefährden sie sich und andere. Und es fällt ihnen schwer, zu verstehen, dass der alte Freund, der nette Kollege, der liebevolle Familienvater oder der charmante Liebhaber auch zu unfassbaren Gräueltaten fähig ist. Selbst die, die für eine gute und gerechte Sache eintreten, sehen sich auf einmal zu Aktionen genötigt, die denen der Gegenseite an Brutalität und Grausamkeit kaum nachstehen. Manche Passagen sind schwer zu ertragen. Die KZ- und Folterszenen, zum Beispiel oder die Bombardierung der Stadt, aber darum kommt man bei diesem Thema einfach nicht herum. Die inneren und äußeren Konflikte und die Entwicklung der Figuren sind überaus spannend. Und wie aus stinknormalen Leuten Folterknechte und noch Schlimmeres werden konnten, sehen wir hier auch. „(...) Ich hatte mir vorgenommen, anhand von Marthas Familiengeschichte ein zeitgeschichtliches Bild von der Weimarer Republik über die Schrecken des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs bis zum Beginn des Wirtschaftswunders zu zeichnen“, schreibt die Autorin im Nachwort. „Meine Protagonisten stehen für viele kleine Leute, die in schwierigen Zeiten das Richtige getan haben.“ (Seite 698) Dieses Vorhaben ist ihr mit der Hafenschwester-Reihe meiner Meinung nach geglückt. Ich werde die Familie Studt vermissen.

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