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Rezension zu
Was nicht glücklich macht, kann weg

Kulturclash-Komödie mit ernstem Hintergrund

Von: Edith N.
18.11.2021

Ihr Leben lang hat die Buchhalterin Sibylle „Billie“ Berthold, 55, geglaubt, es liege an ihr, dass sie sich mit Beziehungen schwertut. Freunde hat sie keine, ihre Ehe mit Tischlermeister Thilo, 62, hat gerade noch so die Kurve gekriegt und ihr Sohn Jonas, 30, spricht seit rund zehn Jahren nicht mehr mit ihr. Ihr Sohn Jonas trägt das Herz auch nicht auf der Zunge, weshalb Billie bis heute nicht weiß, warum er damals Knall auf Fall den Kontakt abgebrochen und seine Eltern von seiner Hochzeit, der Geburt seines Sohnes und dem Tod seiner Frau lediglich per Karte informiert hat. Jetzt allerdings braucht Jonas ihre Hilfe. Sein Arbeitgeber schickt ihn für ein halbes Jahr nach London, aber sein Sohn August soll in Deutschland eingeschult werden. Freunde hat Jonas schon, aber keinem von ihnen möchte er für so lange Zeit die Verantwortung für seinen Sohn übertragen. In deren Alltag passt kein kleines Kind. Seine Eltern dagegen haben Zeit. Sie sind, egal was man sonst von ihnen halten mag, zwei fitte Vorruheständler, die es nicht wagen werden, nein zu sagen, wenn er sie bittet, vorübergehend nach Köln zu ziehen und sich um ihren Enkel zu kümmern. Papa Thilo ist sofort Feuer und Flamme. Er hat ein Faible für Köln und den Karneval. Billie freut sich, ihrem Sohn helfen zu können, aber da sie schüchtern ist und weder flexibel noch spontan, fürchtet sie sich auch vor den Veränderungen. Sie, die Landpomeranze aus Krudhof-Oederort passt doch gar nicht nach Köln! Aber natürlich kommen die beiden der dringenden Bitte ihres Sohnes nach. Elfie und ihr Mann – Freunde von Jonas - haben eine bunt gemischte Clique, die die Bertholds einfach „adoptiert“. Für die schüchterne Billie bedeutet dieses laute, bunte und fröhliche Völkchen einen regelrechten Kulturschock. Sie kommen einfach unangemeldet vorbei, stellen hemmungslos indiskrete Fragen und schleppen die Bertholds zu allen möglichen Veranstaltungen mit. Sie verstehen es zu feiern (Augusts Einschulung! Die improvisierte Grillparty mit dem wirkungsvollen Nachtisch!) und sie sind sofort zur Stelle, wenn Hilfe gebraucht wird. Gegen ihren Willen schließt Billie die Clique ins Herz. Und nun graust ihr vor dem Tag, an dem Jonas wieder aus England zurückkehrt und ihre Aufgabe hier erledigt ist. Dann müssen sie zurück nach Krudhof zu ihren spießig-verbiesterten Nachbar:innen und sind weit weg von Enkel August und ihren neuen Freunden. Billie treibt die Frage um, wer August betreuen soll, wenn sie wieder in Krudhof sind, denn auch in Deutschland muss Jonas ja ganztags arbeiten. Die Leser:innen beschäftigt etwas anderes: Wer oder was hat Jonas Berthold vor zehn Jahren dazu bewogen, den Kontakt zu seinen Eltern abzubrechen? Er hat keiner Menschenseele je den Grund verraten, auch seiner Frau nicht, die unter dem Zerwürfnis gelitten hat. Bei Billie und Thilo ist die Angst vor der „Wahrheit“ im Lauf der Jahre ins Unermessliche gewachsen. Lieber erdulden sie das Schweigen und die Ungewissheit als ihren Sohn nach seinen Beweggründen zu fragen. Die Kölner Freunde des Paares sind da weniger zurückhaltend. Ausgerechnet an Weihnachten bringen sie dieses heikle Thema aufs Tapet. Welche Bombe wird jetzt platzen? Werden Bertholds ihren Sohn und ihren Enkel nun endgültig verlieren? Und wie verkraftet es der Kleine, wenn ihm jetzt schon wieder wichtige Bezugspersonen abhandenkommen? „Humor-Kracher“ steht auf der Rückseite des Covers. Hm. Ich sehe hier eher einen großen Spagat zwischen einem ernsten Thema (Entfremdung innerhalb der Familie) und einer brüllkomischen Kulturclash-Geschichte (introvertiertes Landei trifft auf extrovertierte Kölner Clique). Die Leser:innen werden emotional mächtig hin- und her geschleudert zwischen tragischen, sehr berührenden Momenten sowie Szenen und Formulierungen, die einen laut loslachen lassen. Ich habe mit Billie mitgefühlt. Der unkonventionelle Kölner Freundeskreis hätte mich genauso überfordert wie sie. Ich habe mit ihr mitgelitten, als sie sich nicht getraut hat, mit ihrem Sohn zu sprechen, habe laut gelacht über die Einblicke in ihre Ehe und ihren Alltag, über ihre Kommentare zur Haushaltshilfe und über den Renovierungswahn ihres Gatten. Hier kann man sich über Beobachtungen, Beschreibungen und Bemerkungen amüsieren, ohne das Gefühl zu haben, nur platte Albernheiten konsumiert zu haben. Es gibt hier nämlich auch viel Kluges: Hören wir auf Charly und packen wir das Glück beim Schopf! Verplempern wir keine Zeit, denn das Leben ist endlich. Reden wir MIT den Menschen statt ÜBER sie! Und wenn wir irgendwo partout keinen Anschluss finden, sind nicht zwangsläufig wir selbst das Problem. Vielleicht passt einfach das Umfeld nicht.

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