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Rezension zu
Das Leben ist zu kurz für irgendwann

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein sehr persönlicher Roman und Appell für die Legalität von Sterbehilfe

Von: Literaturina
29.08.2021

TW: (primär progrediente) Multiple Sklerose, Suizid, Sterbehilfe, Demenz, von Elternteil verlassenes Kind, Flüchtlingslager, Pflege naher Verwandter, Ableismus, Nutztierhaltung & -verzehr In der Regel greife ich nicht unbedingt zu Büchern dieser Thematik, #sicklit wie diese Art von Romanen gerne mal betitelt wird. Doch dann erfuhr ich, dass es hier um eine Protagonistin mit Multipler Sklerose geht, einer chronischen und bis heute unheilbaren Erkrankung des zentralen Nervensystems mit unklaren Ursachen, an der auch ich leide und wozu ich noch keinen einzigen Roman gelesen oder auch nur gefunden habe. Gleichzeitig erfuhr ich, dass sich eben jene Protagonistin, wie der Klappentext bereits verrät, aufgrund der MS umbringen möchte. Und war sehr hin und her gerissen, ob ich darüber wirklich lesen kann und möchte. Da ich mir jedoch sehr wünsche, dass es mehr Romane und allgemein Bücher außerhalb der Medizinwerke diesbezüglich gibt und diese auch mehr Aufmerksamkeit bekommen, entschied ich mich nach der Leseprobe fürs Lesen. Terry aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, ist eine einsame, vorsichtige (Haus-)Frau und Mutter zweier erwachsener Töchter, die außerhalb dieser Rollen weder von ihrer Familie noch sonst jemandem gebraucht oder gesehen zu werden scheint. Ihr eigenes Leben ist mehr oder weniger pausiert, während sie sich für andere aufopfert und sich große Mühe gibt, es jedem recht zu machen und Rücksicht auf alle zu nehmen, ohne, dass diese es zu würdigen wissen oder auch nur bemerken. Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, dass sie mehr oder weniger als Inventar und selbstverständliche Putzhilfe gesehen wird. Als sie jedoch zufällig und ausgerechnet am Geburtstag ihrer einzigen Freundin Iris erfährt, dass diese sich just auf den Weg in die Schweiz gemacht hat, um sich dort umzubringen, lässt sie alles stehen und liegen, um ihr nachzureisen, fest entschlossen, sie davon abzuhalten. Wie es der Zufall so will, hat auch noch ihren dementen Vater mit dabei. Schnell treffen die drei aufeinander, doch damit beginnt die Geschichte und ein sowohl tragischer als auch passagenweise heiterer Roadtrip über Ländergrenzen hinweg erst. Wie nicht anders zu erwarten, verändern sich die Protagonist*innen und ihre Beziehungen zueinander währenddessen: Durch den plötzlichen Ausbruch aus dem Alltagstrott und die Abkapselung von ihren sonstigen Verpflichtungen wandelt sich Terrys anfängliche Angst bis Panik hin zu einer Art Befreiungsschlag. Es gibt Rückblicke auf das Kennenlernen von Terry und Iris und längst vergessene Erinnerungen an Terrys Vater sowie ihre Kindheit werden geweckt, wodurch sie lernt, hinter all dem Pflichtgefühl auch wieder Liebe zu fühlen. Terry, die Unsicherheit in Person, ohne einen Funken Selbstliebe, lernt trotz oder gerade wegen der Umstände der Reise, positiv(er) zu denken und sich mehr zuzutrauen, weil sie die einzige nicht-Kranke ist und dementsprechend die Verantwortung übernehmen kann/muss, und die Einzige, die all das schaffen kann - so wirkte es oft auf mich. Womit wir auch bei einem meiner Meinung nach sehr wichtigen Punkt angelangt sind: einerseits wird Iris als die Willensstarke und Lebensfreudige der beiden beschrieben und gezeigt, dass sie von Anfang an - ein Jahr im Voraus – geplant hatte, allein bis in die Schweiz zu gelangen; sogar den umfangreichen, schwer verständlichen Papierkram, den sie so hasst, hatte sie allein erledigt. Die Leser*innen merken, wie gut sie alles durchdacht und vorbereitet hat und dass es ihr häufig schlecht geht, wovon Terry selbst überrascht ist, weil sie dies zuvor nie bemerkt hat. Und dennoch trifft Terry, Iris‘ Freundin, immer wieder hinter deren Rücken und über ihren Kopf hinweg ihre eigenen Entscheidungen über ihr (Weiter-)Leben, ohne ihr diese mitzuteilen, und nimmt ihren Wunsch, eben jenes zu beenden, solange sie selbst noch die Kontrolle und Entscheidungsgewalt darüber hat, nicht ernst. Terry handelt vor allem aus Angst vor dem Tod ihrer (einzigen!) Freundin und überstürzt, so viel ist klar. Meinem Eindruck nach handelt sie vor allem aus egoistischen Motiven und - so gut sie sich in manchen Situationen in Bezug auf die Behinderungen ihrer Freundin (oder auch ihres Vaters) verhält – auch ableistisch. Sie unterschätzt Iris und ist oft der Meinung, besser zu wissen, was gut für sie ist und wie sie sich fühlt, ohne ihr wirklich zuzuhören und ihre Meinung zu akzeptieren. Da sich dies noch etwas ändert, gehe ich allerdings davon aus, dass die Autorin dieses Verhalten aufgrund von Terrys Persönlichkeit so beschrieben hat. Schade fand ich eher, dass eben dieser Wandel und die familiäre Veränderung auf den letzten Seiten und im Epilog nicht mehr Raum gegeben wurde; das hätte mich noch mehr interessiert. Auch hätte ich mich über noch mehr Hintergründe zu Iris‘ Leben gefreut. Insgesamt ist es eine Lese-Empfehlung für alle, die sich durch die erwähnten Punkte nicht zu stark getriggert fühlen könnten. Der Roman mit Ciara Geraghtys schönem Schreibstil in kurzen Sätzen lässt sich sehr schnell lesen und ich empfand ihn auch als sehr atmosphärisch. Eine nette Abwechslung zu den sonst so häufig ausgeschlachteten Krebs-Geschichten :P Übersetzt wurde diese Ausgabe von Sibylle Schmidt. Danke an das Bloggerportal und den Goldmann Verlag für dieses Rezensionsexemplar!

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